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       # taz.de -- Stallhaltung in Deutschland: Schweineparadies in Gefahr
       
       > Die Ampel hatte Bauern Geld versprochen, die ihre Schweinehaltung
       > verbessern. Nach dem Regierungskollaps ist die Zukunft des Programms
       > ungewiss.
       
   IMG Bild: So viel Auslauf wird es wohl für die meisten Ferkel in Zukunft nicht geben
       
       SUPPINGEN taz | Als Landwirt Matthias Barth sich seinem Schweinestall
       nähert, stürmen die rosa Tiere in den Auslauf. Sie spüren die 12 Grad
       Lufttemperatur, den Wind, die Sonne. Die Betonmauer an der Längsseite des
       Stalls ist unter dem Dach weit offen, so dass Wind und Sonnenstrahlen
       eindringen können. Bei Kälte können sich die Tiere in einen geschlossenen
       Teil zurückziehen. Dieser Frischluftstall im baden-württembergischen Dorf
       Suppingen ist besser als die meisten Schweinehöfe in Deutschland, die
       hermetisch geschlossen sind.
       
       Aber Barth reicht das nicht. Er baue gerade ein „Schweineparadies“, sagt
       der 30-Jährige. Dafür erhält er als einer der ersten Landwirte Geld vom
       Bundesprogramm „Förderung des Umbaus der Tierhaltung“, das Agrarminister
       Cem Özdemir (Grüne) durchgesetzt hat.
       
       Mit den 600.000 Euro Zuschuss vom Bund lässt Barth den 56 Meter langen
       Stall um 7 Meter verbreitern. Eine Planierraupe hat einen so großen
       Streifen Erde direkt neben dem Gebäude gerade plattgewalzt. Sie steht noch
       da, als der taz-Reporter den Hof besucht. Bald kommt Beton auf den Boden.
       Später soll er tief mit Stroh eingestreut werden.
       
       Schweine lieben das, denn sie können mit ihren Schnauzen in den
       getrockneten Halmen wühlen, wie es ihr Instinkt verlangt. Jedes 110
       Kilogramm schwere Tier soll am Ende mindestens 2,5 Quadratmeter Platz haben
       – mehr als doppelt so viel wie bisher und mehr als dreimal so viel wie
       vorgeschrieben. Barth hofft, künftig dann Ferkel kaufen zu können, denen
       nicht mehr der geringelte Teil des Schwanzes abgeschnitten wird. Diese
       Amputation soll verhindern, dass sich die Tiere etwa vor lauter Langeweile
       gegenseitig die Schwänze blutig beißen.
       
       ## Bis zu 60 Prozent Förderung
       
       Nicht billig ist das „Schweineparadies“, das Veganer natürlich nie so
       bezeichnen würden, weil die Tiere ja immer noch in Gefangenschaft leben und
       am Ende einen frühen Tod beim Schlachter sterben. Aber die meisten Menschen
       essen eben immer noch Fleisch: Knapp 1,3 Millionen Euro investiert Barth
       nach eigenen Angaben in die Anlage für seine 800 Schweine. „Das geht nur,
       weil ich 50 Prozent Förderung bekomme“, sagt der Bauer, der Jeans,
       Sportschuhe und einen roten Kapuzenpullover mit dem Namen seines Hofladens
       auf dem Revers trägt.
       
       Die meisten Tiere in Deutschland leben unter fragwürdigen Bedingungen.
       Umfragen zeigen, dass viele Menschen die aktuelle Tierhaltung kritisieren.
       Sie ist zudem maßgeblich dafür verantwortlich, dass die Landwirtschaft
       inklusive der Emissionen aus Böden und Maschinen laut Umweltbundesamt 13
       Prozent der Treibhausgase hierzulande verursacht. Viele Tiere produzieren
       auch hohe Gülleüberschüsse, die das Wasser belasten und zum Artensterben
       beitragen. Mehr Platz für jedes Tier könnte die Viehbestände und
       Umweltschäden reduzieren.
       
       Das Programm zum Stallumbau ist neben der verpflichtenden Kennzeichnung der
       Haltungsbedingungen eines der wenigen großen Tierschutz-Projekte, die die
       Ampelkoalition beschlossen hat. Der Bund subventioniert seit diesem Jahr
       Schweinebauern, die auf die Haltungsformen Frischluftstall,
       Auslauf/Freiland und Bio umbauen oder die Tiere bereits so halten. Wer bis
       zu 500.000 Euro investiert, bekommt [1][60 Prozent vom Bund]. Für Beträge
       darüber und bis 2 Millionen gibt es 50 Prozent, bis 5 Millionen 30 Prozent.
       Ab 2025 will der Staat auch die laufenden Kosten bezuschussen, die durch
       die Haltungsformen „Frischluftstall“, „Auslauf/Weide“ und „Bio“ im
       Vergleich zum gesetzlichen Mindeststandard zusätzlich entstehen. Doch nach
       dem Aus der Ampelkoalition ist die Zukunft des Programms unklar.
       
       Warum nimmt Barth an dem Bundesprogramm teil? „Für meine Vermarktung muss
       ich und will ich auch das Tierwohlrad an sich weiterdrehen“, antwortet der
       Schwabe. „Bei hoher Qualität erwartet der Kunde heutzutage Stroh.“ 70
       Prozent seiner Kunden kämen zu ihm, weil es seinen Schweinen besser geht
       als denen für den Massenmarkt, schätzt Barth. „Der Trend zum Nachhaltigen,
       zum: Ich kaufe da ein, wo ich weiß, wo’s herkommt, der ist einfach da“,
       ergänzt der Landwirt. Das sehe er an seinen Kunden, von denen viele Grüne,
       aber vermutlich auch AfD wählten. „Beide wollen Tierwohl.“
       
       ## Nur 40 bewilligte Anträge
       
       Seine Kunden zahlten an seinen Marktständen oder in seinem Hofladen schon
       jetzt 10 bis 15 Prozent mehr fürs Fleisch als anderswo, zum Beispiel rund
       14 Euro pro Kilogramm Schweinekamm. Viel mehr als das könne er aber nicht
       nehmen, um den Stallumbau zu bezahlen. „Ich find’s gut, dass die
       Bundesförderung kommt“, sagt Barth. „Ich finde es auch gut, dass Özdemir
       gemacht hat, was er versprochen hat.“
       
       Das Problem ist bloß: Außer Barth haben bis 23. Oktober laut
       Bundesagrarministerium nur rund 130 der Ende Mai rund [2][15.000
       Schweinehalter] in Deutschland insgesamt 83 Millionen Euro
       Investitionsförderung beantragt. Lediglich ungefähr 40 Anträge sind bis zum
       Stichtag bewilligt worden. Wahrscheinlich wird der Bund die für das
       Programm im Haushaltsplan 2024 vorgesehenen 150 Millionen Euro nicht
       komplett ausgeben.
       
       Barth sagt, er kenne keinen einzigen Kollegen, der ebenfalls die Förderung
       beantragt hat. „Ich bin überzeugt, dass die Förderung nicht so läuft, wie
       es der Minister sich gedacht hat“, so der Bauer. An sich sei das
       Bundesprogramm gut, „weil in der Schweinehaltung muss was gemacht werden,
       weil der Kunde und Verbraucher das will.“ Die Förderhöhe sei auch völlig
       ausreichend.
       
       Aber: „Das Problem ist, dass man nicht aufstocken kann.“ Tatsächlich gibt
       es das Geld vom Staat nur, wenn der Antragsteller wegen des Umbaus nicht
       mehr Schweine hält als vorher. „Das macht’s schwer, eine Finanzierung zu
       kriegen“, erläutert Barth. Banken wollten sehen, dass der Umsatz wächst,
       wenn der Landwirt einen Kredit investiert. Ohne mehr Tiere sei das für die
       meisten Höfe aber schwer. Oft zahlten die Schlachter gar keinen
       Preisaufschlag für Fleisch aus besseren Haltungsformen, und wenn, nicht
       genug. Sein Betrieb sei eine Ausnahme, weil er sein Fleisch sowieso schon
       hauptsächlich mit dem Argument Tierwohl und ausschließlich direkt an den
       Verbraucher verkauft.
       
       Den Zuschuss zu den laufenden Kosten hat Barth gar nicht erst beantragt.
       Der bürokratische Aufwand ist ihm zu groß für das vergleichsweise wenige
       Geld. Tatsächlich müssen Bauern sich regelmäßig kontrollieren lassen.
       
       ## Zukunft? Ungewiss.
       
       Und es gibt noch eine große Hürde: Laut Agrarministerium haben bis Ende
       Oktober rund 370 Höfe die Anerkennung als förderungsfähiger Betrieb
       beantragt. Das ist die Voraussetzung dafür, dass sie dann jedes Jahr das
       Geld anfordern können. Es soll das erste Mal 2025 ausgezahlt werden. Zwei
       Drittel sind den Angaben zufolge Biohöfe, die [3][die Anforderungen wie
       einen intakten Ringelschwanz und regelmäßige Kontrollen] sowieso erfüllen.
       
       Auch die Interessengemeinschaft der Schweinehalter Deutschlands (ISN)
       kritisiert, dass „die Zugangsvoraussetzungen sehr hoch sind“ für das
       Bundesprogramm. Der Deutsche Bauernverband macht für die geringe Zahl von
       Anträgen auf Investitionsförderung zudem verantwortlich, dass viele
       Landwirte keine Genehmigung etwa für einen modernen Außenklimastall
       bekommen würden. Denn bei solchen Anlagen entweichen die Gerüche, etwa der
       Gülle, direkt in die Umwelt, es gibt keinen Filter wie in geschlossenen
       Ställen. „Dieses Programm leistet mit dieser finanziellen Ausstattung und
       den eingebauten Beschränkungen keinen ernsthaften Beitrag zum Umbau der
       Tierhaltung in der Fläche“, urteilt der Bauernverband. Die ISN spricht nur
       von „einem [4][ganz kleinen Schritt] nach vorne“. Auch der Deutsche
       Tierschutzbund kritisiert, dass der Etat des Programms viel zu klein sei.
       
       Doch Özdemirs Ministerium teilt der taz mit, aus seiner Sicht „wird das
       Programm gut angenommen“. Der Bundestag habe auf Vorschlag der Ampel das
       Baugesetzbuch so geändert, dass Stallumbauten außerhalb leichter genehmigt
       werden. Warum das Ministerium darauf beharrt, dass die Höfe nicht mehr
       Tiere halten nach dem Umbau, lässt die Pressestelle auch nach mehreren
       Nachfragen unbeantwortet. Die Ampel stelle aber für die Weiterentwicklung
       der Tierhaltung 1 Milliarde Euro aus dem Haushalt bereit – so viel Geld
       „wie keine Bundesregierung zuvor“.
       
       Das war vor dem Bruch der Ampel. Im [5][Haushaltsentwurf für 2025] hatte
       sie für das Programm 200 Millionen Euro vorgesehen. „Dieser Haushalt hat
       sich mit dem Aus der Koalition aber nun erst mal erledigt“, kritisiert der
       Deutsche Tierschutzbund.“ Könnte die Förderung bei einer vorläufigen
       Haushaltsführung weiterlaufen? Ein Sprecher des Ministeriums antwortet der
       taz nur, „dass ich zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine weiteren Auskünfte zur
       Haushaltsaufstellung geben kann“. Steffen Bilger, Vize-Chef der
       CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, schreibt der taz: „Bei der dauerhaften
       Finanzierung milliardenschwerer Kosten für bessere Haltungsbedingungen
       steht Cem Özdemir komplett blank da.“
       
       „Die überschaubare Anschubfinanzierung, die Cem Özdemir in seiner zu Ende
       gehenden Amtszeit im Bundeshaushalt für den Stallumbau und damit für mehr
       Tierwohl sichern konnte, ist allenfalls ein Tropfen auf den heißen Stein“,
       sagt Bilger. Das würde sogar gelten, wenn das Bundesprogramm doch noch
       seine 1 Milliarde Euro in den nächsten Jahren erhielte. Wenn wie bisher 75
       Prozent des Geldes für Investitionen ausgegeben würden und jeder Hof wie
       bislang im Schnitt 600.000 Euro bekäme, würde das nur für ungefähr 1.300
       Betriebe reichen – rund 8 Prozent aller Höfe.
       
       21 Nov 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.ble.de/DE/Projektfoerderung/Foerderungen-Auftraege/Bundesprogramm_Umbau_Tierhaltung/Investive_Foerderung/investiv_node.html
   DIR [2] https://www.destatis.de/DE/Themen/Branchen-Unternehmen/Landwirtschaft-Forstwirtschaft-Fischerei/Tiere-Tierische-Erzeugung/schweine.html
   DIR [3] /Regeln-fuer-Stallumbau-Subventionen/!5900926
   DIR [4] https://www.schweine.net/news/100ster-antrag-investitionsfoerderung-des-bundes.html
   DIR [5] https://www.bundeshaushalt.de/static/daten/2025/soll/draft/epl10.pdf
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jost Maurin
       
       ## TAGS
       
   DIR Schweine
   DIR Schwerpunkt Bio-Landwirtschaft
   DIR Landwirtschaft
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   DIR Landwirtschaft
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