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       # taz.de -- US-Präsidentschaftswahlen: Warum wählen sie Trump?
       
       > Der Vater unseres Autors war Maschinist in Pennsylvania, ist in den
       > 1990ern unter Bill Clinton arbeitslos geworden. Wie denken er und
       > Kollegen heute?
       
   IMG Bild: Präsidentschaftskandidat Trump bei einem Wahlkampfauftritt in Pittsburgh, Pennsylvania, 4. November
       
       Berlin taz | Als wir uns den Schlaf aus den Augen wischten, war er längst
       weg. Unser Vater hatte uns in der Hütte im Wald zurückgelassen, um zurück
       nach Scranton zu fahren und eine spontane Schicht in der Fabrik zu
       arbeiten. Während wir den endlosen, ruhigen Sommertag beim Schwimmen in
       einer stillen Bucht des Lake Wallenpaupack verbrachten und davon träumten,
       ein eigenes Boot zu haben, bohrte er schwitzend Löcher durch Stahl.
       
       Solche Tage gab es während meiner Jugend häufiger. Für meinen Vater wurde
       es aber zunehmend schwieriger, und in der Fabrik wurden viele Arbeiter
       entlassen. Das hieß mehr Zeit mit Papa, doch für ihn und seine
       Maschinistenkollegen bedeutete es vor allem Arbeitslosigkeit und
       Ungewissheit. Der Antrag auf Sozialhilfe wurde abgelehnt und mein Dad
       missmutig.
       
       Pennsylvania ist ein komplexer [1][Swing State], und mein Vater und seine
       Kollegen in der gewerkschaftlich organisierten Maschinenfabrik von General
       Dynamics gehören zu einer der wichtigsten Wählergruppen: weiße Wähler aus
       der Arbeiter- und Mittelschicht. Ich habe mit einigen von ihnen gesprochen,
       um zu verstehen, was sie vor der Präsidentschaftswahl umtreibt.
       
       Alle sind sich einig, dass der Abstieg in den 1990ern begann. Schuld hatten
       für meinen Vater das [2][NAFTA-Handelsabkommen] und die Demokraten. Das
       Abkommen trat 1994 unter Präsident Bill Clinton in Kraft, um Mexiko auf
       Augenhöhe mit den USA zu bringen, den Handel zu fördern und die
       Einwanderung einzudämmen. Doch besonders die Arbeitsplätze im
       verarbeitenden Gewerbe wurden zunehmend über die Grenze nach Süden
       verlagert – wie die in den kleinen Maschinenwerkstätten der NEPA-Region
       (Northeastern Pennsylvania).
       
       ## Über allem steht die Arbeitsmoral und die Idee von früher
       
       Obwohl es sich bei NAFTA um einen Vertrag handelte, dem alle Parteien
       zugestimmt hatten, schoben die Republikaner die negativen Folgen des
       Abkommens erfolgreich den Demokraten zu. Einst treue Wähler aus der
       Arbeiter- und Mittelschicht fühlten sich von den Demokraten im Stich
       gelassen und getäuscht.
       
       Doch wieso unterstützen sie einen Mann wie Trump, der politische Gegner
       beleidigt, befreundete Staaten vor den Kopf stößt, das Wahlsystem in Frage
       stellt und zudem eine arbeitnehmerfeindliche Politik vertritt? Auf dem
       Papier ist das Programm der Demokraten für die Mittelschicht besser als das
       der Republikaner. Wieso aber erhalten die Demokraten immer weniger
       Unterstützung aus dieser Gruppe?
       
       James Rabarcak arbeitet als Production Manager bei General Dynamics. Mit
       seinen 61 Jahren hat er viele Veränderungen erlebt. Er wuchs mit vier
       Geschwistern in einer katholischen Arbeiterfamilie auf. Sein Vater
       schuftete in der Zeche, seine Mutter war Krankenschwester. Er selbst ging
       zunächst zu den Marines, wurde Maschinist und schließlich Manager. Diese
       Herkunft prägt seine Weltsicht nachhaltig: Er glaubt an die
       Leistungsgesellschaft, an Eigenverantwortung und Fleiß.
       
       Eine Firma schickte Rabarcak ins Ausland, nach Japan und Deutschland, um
       sicherzustellen, dass die Maschinen, die die Firma kaufen wollte,
       funktionierten. Er sah, wie japanische Arbeiter einen Haufen Metall und
       Teile nahmen und in 48 Stunden eine neue Maschine fertigstellten. „Das war
       eine ganz andere Arbeitsmoral. 12 bis 14 Stunden am Tag. Das war vielleicht
       ein bisschen viel, aber sie waren alle sehr engagiert. Im Vergleich mussten
       wir ihnen wie ein fauler Haufen vorgekommen sein. Ich wünschte, wir hätten
       diese Art von Arbeitsmoral in den USA.“
       
       ## „Die Demokraten verschenken zu viel Geld“
       
       Er erinnert sich noch gut an den Kölner Dom, den Rhein – und die deutschen
       Arbeiter. „Sie waren gelassener als ihre japanischen Kollegen und
       glücklicher als die Amerikaner. Die Deutschen waren stolz auf ihre Arbeit
       und überzeugt, dass sie das beste Produkt besaßen. Das sehe ich bei der
       jüngeren Generation in den USA heute nicht mehr,“ sagt er.
       
       „Früher wurde man für harte Arbeit belohnt. Ich war stolz auf unsere
       Arbeitsmoral im Kohlebergbau. Jetzt strömen gering qualifizierte
       Arbeitskräfte über die Grenze. Billige chinesische Produkte breiten sich
       aus. Wir verlieren in der NEPA-Region die Basis an Fachkräften. Es wird
       bald zu Ende gehen,“ fürchtet Rabarcak.
       
       „Gerade der jüngeren Generation fällt es schwer zu glauben, dass sich harte
       Arbeit noch lohnt, das System scheint gegen sie zu sein“, werfe ich ein,
       „Sie können sich keine Häuser oder eine adäquate Gesundheitsversorgung
       leisten, sie haben hohe Studienkredite und das Klima steht vor dem Kollaps.
       Die Leute haben das Gefühl, dass sich der Aufwand nicht lohnt.“
       
       „Nein, so sehe ich das nicht“, entgegnet Rabarcak. Ich frage ihn was aus
       seiner Sicht die Lösung sei. „Sie zahlen hier unglaubliche Löhne, aber
       niemand nimmt das Angebot an! Ich denke, es ist ein Problem des
       Wohlfahrtsstaates. Ich glaube, die Demokraten verschenken zu viel Geld, und
       das macht die Leute faul.“
       
       ## Andrew hat zu allem eine Meinung – und wählt Trump
       
       Als ich Andrew Andrewsh, 35, am Telefon erreiche, schließt er gerade seine
       Haustür auf, begrüßt seine halbkoreanische Frau, seine drei Töchter und
       seine Schwiegermutter – und ruft Ihnen zu: „Sorry, ich habe Deutschland am
       Apparat!“ Er ist naturverbunden und handwerklich begabt. Sein Stiefvater
       weckte in ihm die Begeisterung für Mechanik.
       
       Der 11. September 2001, die Anschläge auf New York und Washington, waren
       für ihn ein Schlüsselerlebnis. Fast nostalgisch erinnert er sich an die
       Zeit danach: „Die Welt stand still, aber wir standen zusammen. Es herrschte
       Einigkeit, jenseits von Herkunft oder politischen Überzeugungen. Wir haben
       alle zusammengehalten. Daran müssen wir wieder anknüpfen. Wir müssen die
       Menschen und ihre Unterschiede respektieren.“
       
       Ich frage ihn, ob er Rassismus und Gewalt von Rechts heute als Problem
       wahrnehme. Dem stimmt er zu, aber mit Trump habe das wenig zu tun: „Trumps
       faschistische, rassistische Rhetorik ist nur Schall und Rauch. Er ist ein
       Arsch und sagt Dinge, die er nicht sagen sollte, aber wir müssen uns eben
       gegen diesen Unsinn wehren.“ „Gegen welchen Unsinn?“ „[3][BLM [Black Lives
       Matter]], Transgender-Toiletten.“ Er kennt die Positionen der Black Lives
       Matter nicht wirklich, nur vom Hörensagen, ist skeptisch gegenüber
       Schlagworten wie „weißes Privileg“, aber zugleich sicher, dass rassistische
       und vorurteilsbehaftete Systeme existieren.
       
       Der nachdenkliche, gesprächige Andrew hat zu allem eine Meinung, von den
       Medien über die Wirtschaft und den Klimawandel bis hin zu [4][Taylor
       Swift]. Einige seiner Ansichten sind sachlich, andere grenzen an
       Verschwörungstheorien. „Ich traue niemandem, außer vielleicht meiner
       Schwiegermutter. Sie war Klempnerin!“ Das viele Geld in der Politik sei
       definitiv ein Problem – zu viele Leute wollen sich bereichern. Trump
       allerdings sei schon so reich, dass er „das gar nicht nötig“ habe.
       
       ## Scranton, das Zentrum der Welt
       
       Andrews Mangel an Vertrauen in das politische System ist kein Einzelfall.
       Mehr als zwei Drittel der republikanischen Wähler glauben zum Beispiel an
       die sogenannte „Big Lie“, also daran, dass Joe Biden in 2020 nur durch
       Wahlbetrug an die Macht gekommen sei. Es ist schwer, sich in diesem
       Wahlkampf auf Fakten zu einigen. Desinformationen verfangen leicht.
       
       Mich interessiert darum, welche Nachrichten meine Gesprächspartner
       konsumieren. Sowohl Andrew als auch James geben an, Medien von beiden
       Seiten des politischen Spektrums zu beziehen. James´ favorisiert Fox News,
       aber ab und an schaue er auch BBC, „um aus der Amerika-Blase
       herauszukommen“, wie er sagt.
       
       Im Werk von General Dynamics werden gepanzerte Fahrzeuge gefertigt, die
       auch in der Ukraine zum Einsatz kommen. „Was hältst du davon, dass Trump
       droht, die Hilfe an die Ukraine einzuschränken und der Nato die
       Unterstützung zu entziehen“, frage ich Andrew. „Krieg ist dumm und
       egoistisch“, antwortet er. „Russland braucht das nicht. Was nützt es, wenn
       all diese Frauen und Kinder sterben? Wir müssen uns zusammensetzen und
       einfach über alles reden.“ Andrew setzt auf Verhandlungen.
       
       „Die anderen Nationen zahlen ihren gerechten Anteil nicht“, moniert James
       die Mängel der Nato. „Magst du Trump?“, möchte ich von ihm wissen. „Wir
       würden keine Freunde werden, aber ich glaube, dass seine Politik
       funktionieren kann.“
       
       James, Andrew und mein Vater legen Wert auf harte Arbeit. Sie wollen, dass
       Leute ihren eigenen Beitrag leisten. Das sei nur fair, sagen sie. Und wie
       alle anderen machen sie sich Sorgen um die Zukunft. Wir leben schließlich
       in unsicheren Zeiten: Pandemien, Kriege und i[5][mmer extremere
       Wetterphänomene] fordern unsere Gesellschaften heraus. Ist unser
       politisches System dem gewachsen? Haben unsere Regierungen die richtigen
       Antworten? Ihre Fragen sind berechtigt, aber sind ihre Antworten auch
       stimmig?
       
       In Scranton scherzen wir, dass die Stadt das heimliche Zentrum des
       Universums sei. Alle Wege führen hierher:die Anthrazitkohle, die die Welt
       mit Energie versorgte, kommt ebenso hierher wie die Kohlestreiks, die diese
       zum Stillstand brachten. Und dann ist da noch eine gewisse politische
       Macht, weil Pennsylvania ein wahlentscheidender Swing State ist.
       
       Ukraines Präsident Selenskjy war neulich dort und besichtigte die
       Artillerie-Granatenfabrik Chamberlain. Meine Mutter beklagte sich im
       Nachhinein über das Verkehrschaos – und gleich darauf über meinen Vater: Er
       arbeite zu viel und habe keine Zeit, das Boot auf Lake Wallenpaupack
       richtig zu genießen.
       
       Der Autor ist US-Amerikaner, Mitarbeiter der taz Panter Stiftung und lebt
       in Berlin.
       
       5 Nov 2024
       
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