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       # taz.de -- Jugendzentrum in Hannover bedroht: Extremismus-Klausel zurück
       
       > Wer an Organisationen vermietet, die vom Verfassungsschutz beobachtet
       > werden, soll keine Förderung mehr bekommen. So will es die
       > Deutschlandkoalition.
       
   IMG Bild: Das Jugendzentrum in Hannovers Kornstraße war schon häufiger in Existenznöten: Das geht nun wohl wieder von vorne los
       
       Hannover taz | Seit die SPD vor einem Jahr [1][die grün-rote Koalition im
       Rathaus platzen ließ], regiert in Hannover ein inoffizielles
       Deutschland-Bündnis aus SPD, CDU und FDP gegen den grünen
       Oberbürgermeister. Inoffiziell deshalb, weil es formal keinen
       Koalitionsvertrag gibt. Nach dem Bruch hieß es von der SPD zunächst, man
       wolle mit „wechselnden Mehrheiten“ abstimmen. Das ist seither allerdings
       eher selten geschehen.
       
       [2][Jetzt sorgen die Haushaltsentwürfe des Bündnisses für Furore]. Sie
       sehen Kürzungen bei migrantischen Vereinen, alternativen Kulturangeboten,
       beim Klimaschutz und Umweltverbänden vor, gestärkt werden sollen
       stattdessen Sportvereine und bürgerliche Institutionen vom
       Wilhelm-Busch-Museum bis zum Schützenfest, aber auch Verbände, die den
       Parteien näher stehen wie Caritas und AWO. Dagegen formiert sich Protest.
       
       Vertreter von SPD, CDU und FDP sprechen von einer „Hetzjagd“, die in
       sozialen Medien gegen sie veranstaltet werde, befeuert und unterstützt von
       den Grünen, wo sich mittlerweile selbst Landtagsabgeordnete in die Debatte
       einmischen.
       
       Am Freitag demonstrierten betroffene Vereine und Verbände vor dem Rathaus
       in Hannover, auch in den Fachausschüssen, die zuerst über die
       Haushaltsanträge beraten und sie beschließen müssen, tummeln sich
       protestierende Besucher. Anhören möchte man sich die aber lieber nicht: Da
       werden Einwohnerfragestunden kurzerhand von der Tagesordnung gestrichen,
       Beifalls- oder Unmutsbekundungen aus den Zuschauerreihen mit Verweis auf
       die Hausordnung rigoros unterbunden.
       
       ## Umstrittene Kürzungsanträge
       
       Einzelne Vereinsvorstände berichten, ihnen sei signalisiert worden, die
       Kürzungen könnten noch zurückgenommen werden – wenn sie sich mit
       politischen Äußerungen zurückhalten. Tatsächlich hat die
       Deutschlandkoalition einige Kürzungsanträge zurückgenommen – nur nicht die,
       die öffentlich am heftigsten umstritten waren.
       
       Dass es dabei oft mehr um politische Symbolik als um tatsächliche
       Einsparungen geht, zeigt auch der Antrag, der am heutigen Montag im
       Jugendhilfeausschuss verhandelt wird. Die Zuwendungen für [3][das
       Unabhängige Jugendzentrum Kornstraße (UJZ Korn)] sollen davon abhängig
       gemacht werden, dass der Verein seine Räumlichkeiten nicht an
       Organisationen vermietet, die vom Verfassungsschutz beobachet werden.
       
       Eine solche „Extremismus-Klausel“ ist rechtlich hochumstritten. [4][2011
       versuchte die damalige Familienministerin Kristina Schröder (CDU) sie für
       diverse Demokratieförderprogramme im Bund einzuführen]. Sie wurde jedoch
       teilweise von Verwaltungsgerichten kassiert und musste in der Folge stark
       abgeschwächt werden. Für die CDU war dies der Versuch, dafür zu sorgen,
       dass linksextreme Strukturen nicht mit staatlichen Mitteln gefördert
       werden. Wer ein Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung
       nicht unterschreiben wolle, entlarve sich selbst, fand Schröder. SPD, Grüne
       und Linke befürchteten, dass auf diese Art und Weise Initiativen gegen
       rechts in ihrer Arbeit behindert würden.
       
       Dies vor allem, weil die Ursprungsklausel eben auch verlangte, dass man für
       Kooperationspartner haftet – sobald also irgendjemand mit einer
       entsprechenden Vorbelastung einen Vortrag hielte, müsste man mit einer
       Rückforderung der Gelder rechnen. Das gilt dann möglicherweise auch für
       Leute, die in ganz anderen Zusammenhängen ins Visier des
       Verfassungsschutzes geraten sind, und für Aussteiger.
       
       Tatsächlich gehörte dies zu den Punkten, die das Konstrukt juristisch
       angreifbar machten. Fraglich war schon, ob man von einem Verein, der ein
       paar Zuschüsse erhält, so viel verlangen kann wie beispielsweise von einem
       Staatsbediensteten. Auch der zugrunde gelegte Extremismusbegriff schien
       Verwaltungsgerichten zu unbestimmt, die Haftung für die Meinungsäußerungen
       Dritter zu umfassend. Schon 2014 wurde die Klausel deshalb zu weiten Teilen
       wieder einkassiert. Übrig geblieben ist eine Demokratieerklärung, die
       Bestandteil des Förderbescheides ist, aber keine weiteren Aktionen des
       Empfängers voraussetzt.
       
       ## Langgehegter Herzenswunsch der CDU?
       
       Warum man dieses Fass nun in Hannover wieder aufmachen möchte, bleibt
       unklar. Möglicherweise handelt es sich um einen langgehegten Herzenswunsch
       der CDU, die (genauso wie die AfD) vor Jahren schon einmal einen ähnlichen
       Antrag gestellt hatte. Im Sommer hatte sich die Junge Freiheit in einer
       Serie über „Antifa-Areas“, noch einmal prominent an der Korn abgearbeitet.
       Autor war Hinrich Rohbohm, der sonst in der WerteUnion den Brückenschlag
       zwischen CDU und AfD vorantreibt.
       
       Die Vorwürfe gegen die Korn sind so alt wie das Jugendzentrum selbst. Mit
       seinen 52 Jahren gehört es zu den ältesten autonomen Jugendzentren der
       Republik. Problematisiert wird meist die Nähe zu kurdischen Vereinen, die
       der PKK nahestehen oder aber Veranstaltungen der Interventionistischen
       Linken (IL) und der Roten Hilfe.
       
       Unklar bleibt allerdings, wie genau so etwas künftig unterbunden
       beziehungsweise geahndet werden soll. Immerhin kann der Verein nicht
       einfach so beim niedersächsischen Verfassungsschutz nachfragen, ob dieser
       Verein oder jener Referent wohl eine Akte hat. Er könnte allenfalls
       Verfassungsschutzberichte durchsehen – oder seinerseits entsprechende
       Treueschwüre auf die freiheitlich-demokratische Grundordnung von seinen
       Untermietern einfordern.
       
       Unklar ist auch, ob die Zuwendungen bei Verstößen zurückgefordert werden
       sollen oder für die Zukunft gestrichen, ob dies in vollem Umfang geschehen
       soll oder anteilig. Über all diese lästigen Details scheint man sich nicht
       so viele Gedanken gemacht zu haben. taz-Nachfragen dazu möchten vor allem
       die SPD- und die CDU-Fraktion nicht beantworten. Einzig FDP-Mann Patrick
       Döring erklärt, diese Detailfragen müsste man dann zwischen Verwaltung,
       Politik und Zuwendungsempfänger noch klären.
       
       ## Hoffen auf Ablehnung des Antrags
       
       Vielleicht aber auch nicht: Insider hoffen, dass der Antrag im
       Jugendhilfeausschuss abgelehnt wird. Immerhin müssten andere Träger
       befürchten, dass es schon aus Gleichbehandlungsgründen nicht bei der
       vergleichsweise kleinen Korn bleibt. Dann müssten künftig auch sie
       Gesinnungstests durchführen.
       
       Drollig ist das auch deshalb, weil die Stadt diesem Anspruch „keine
       Vermietung an Organisationen, die vom Verfassungsschutz beobachtet werden“
       selbst gar nicht gerecht werden kann. [5][Vom Verfassungsschutz beobachtet
       – zumindest als Verdachtsobjekt – wird ja auch die AfD].
       
       Trotzdem muss die Stadt ihre Freizeitheime regelmäßig für deren Stammtische
       zur Verfügung stellen, [6][solange die Partei eben nicht verboten ist].
       Auch wenn dort Referenten auftauchen, die in anderen Bundesländern als
       „gesichert rechtsextrem“ eingestuft werden und bekanntermaßen unter
       Beobachtung stehen.
       
       17 Nov 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Gruene-Mehrheiten-ohne-Macht/!6028352
   DIR [2] /Ungerechte-Umverteilung-von-Foerdergeld/!6042546
   DIR [3] https://ujz-korn.de/
   DIR [4] /Programm-gegen-Linksextremismus/!5049630
   DIR [5] /Treffen-von-AfD-Politikern-mit-Neonazis/!6034283
   DIR [6] /FAQ-zum-Parteiverbotsantrag/!6041028
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Nadine Conti
       
       ## TAGS
       
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