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       # taz.de -- Historienfilm „Des Teufels Bad“: Kochen mit dem Vaterunser
       
       > In der frühen Neuzeit waren Depressionen ein Tabu. Im Historienfilm „Des
       > Teufels Bad“ zeigt sich das Grauen in gesellschaftlichen Zwängen.
       
   IMG Bild: Agnes (Anja Plaschg) bittet Gott in „Des Teufels Bad“ um Vergebung
       
       Oberösterreich, 1750. Eine Frau steht am Rande eines imposanten Wasserfalls
       in den Ausläufern der Alpen. In ihren Armen wiegt und streichelt sie
       fürsorglich ein schreiendes Baby. Ein kurzes Innehalten, ehe sie das Kind
       in die tosenden Wassermassen hinunterwirft. Mit einem Kreuzzeichen
       besiegelt sie den begangenen Kindesmord.
       
       Es sind grauenhafte und kaum bekannte Gerichtsprotokolle, auf denen „Des
       Teufels Bad“, der neue Film des österreichischen Regie-Duos Veronika Franz
       und Severin Fiala, beruht. In der frühen Neuzeit des 18. Jahrhunderts gab
       es vor allem im deutschsprachigen Raum zahlreiche Fälle dessen, was zur
       damaligen Zeit als mittelbarer Selbstmord bezeichnet wurde.
       
       Um der ewigen Verdammnis durch einen direkten Selbstmord zu entgehen,
       griffen verzweifelte Menschen zu drastischen Mitteln: Sie evozierten durch
       einen Mord ihre eigene Hinrichtung. Ein Großteil der 400 dokumentierten
       Fälle betraf Frauen. Die Opfer waren meist Kinder, da ihre Seelen als rein
       galten und ihnen so ein Eintritt in das Himmelreich nachgesagt wurde.
       
       Jene Frau, die im Prolog das Kind in den Tod wirft, beging einen solchen
       mittelbaren Selbstmord. Ihr enthaupteter Körper und der dazugehörige Kopf
       werden als gottesfürchtiges Mahnmal auf einem Waldhügel ausgestellt.
       
       Einer der abgeschnittenen Finger landet wenig später unter dem Ehebett von
       Agnes (Anja Plaschg). Der Bruder hat ihn ihr zur Hochzeit geschenkt – als
       Glücksbringer für ihren sehnlichen Kinderwunsch. Der bleiche, verwesende
       Finger wirkt jedoch mehr wie der Vorbote einer hereinbrechenden
       Katastrophe.
       
       Harsche Realität des Alltags 
       
       Das neue Leben von Agnes, getrennt von Mutter und Bruder, wird nach der
       ausgelassenen Hochzeit jäh von der harschen Realität des Alltags eingeholt.
       Denn das täglich Brot erfordert beschwerliche Verrichtungen. Ihr Ehemann
       Wolf (David Scheid) zeigt abends, nach getanem Tagwerk als Karpfenfischer,
       kaum ein sexuelles Interesse an ihr.
       
       Die strenge Schwiegermutter (Maria Hofstätter), die in ihrem neuen Zuhause
       ein und aus geht, macht ihr das Leben nicht leichter. Über dem dunklen und
       kargen Steinhaus am Waldrand hängt eine tiefe Schwermut, die Agnes langsam
       ins Straucheln geraten lässt.
       
       [1][Veronika Franz und Severin Fiala sind mit „Ich seh, Ich seh“ (2014)]
       oder „The Lodge“ (2019) bekannt für ihre düsteren und nuancierten
       Genrewerke. Ihr neuester Film „Des Teufels Bad“ reiht sich nahtlos ein und
       verlangt dem Publikum einiges ab. Das historische Setting ist dabei
       keineswegs nur eine folkloristische Staffage für den einsetzenden Horror.
       
       Das Grauen zeigt sich auch in den gesellschaftlichen Bedingungen und
       Zwängen jener Zeit. Für Menschen abseits der Norm gab es keinerlei
       Verständnis oder Akzeptanz.
       
       Gefühlskalte Bauernwelt 
       
       So findet die tiefreligiöse, sensible und naturverbundene Agnes in dieser
       gefühlskalten und von Entbehrungen gezeichneten Bauernwelt keinen Platz.
       Anstatt sich als ehrbare und fleißige Ehefrau zu fügen, streift sie lieber
       durch den Wald und sammelt tote Insekten, die sie wie kleine Kostbarkeiten
       aufbewahrt.
       
       Ihr Unvermögen, sich den Erwartungen der Mitmenschen zu fügen, manifestiert
       sich in einer schweren psychischen Erkrankung. Als Bad des Teufels wurde zu
       jener Zeit das beschrieben, was heutzutage als Depression gilt. Etwas, das
       in einer Gesellschaft voller religiöser Doktrin und Tabus nicht sein darf.
       Eine Gewalttat scheint für Agnes bald der einzige Ausweg zu sein.
       
       Es sind vor allem die historischen Details des Films, die ungemein zur
       dichten und bedrückenden Atmosphäre des Films beitragen. Wie etwa das
       Vaterunser als verwendete Zeiteinheit beim Kochen. Das Beten ist
       allgegenwärtig im Film. Oder die mühevolle Handarbeit auf dem Feld, für die
       die abgemergelten Tagelöhner in ihren zu großen Kleidern mit einer alten
       Scheibe Brot entlohnt werden.
       
       „Ich wollt weg von der Welt“, wird Agnes am Ende des Films sagen, als sich
       der Tod ein weiteres Mal über die Gemeinschaft gelegt hat. [2][Anja
       Plaschg, die als Soap&Skin auch die Musik komponierte], spielt den
       Leidensweg einer der Welt überdrüssigen Frau mit großer Intensität. Sie
       gibt den Unsichtbaren und längst vergessenen Frauen jener Zeit, gefangen in
       den untröstlichen Verhältnissen, ein Gesicht der Verzweiflung, das lange in
       Erinnerung bleibt.
       
       Dem Leiden der Menschen steht die Natur mit großer Gleichgültigkeit
       gegenüber. Kameramann Martin Gschlacht, der bei der Berlinale den Silbernen
       Bär für eine herausragende künstlerische Leistung erhielt, fängt die
       düsteren Waldkulissen, die jegliches Licht zu schlucken scheinen, in
       beeindruckenden Bildern ein.
       
       Es ist diese existenzielle Urgewalt des Daseins, die den Wäldern innewohnt
       und die einen gleichermaßen erstaunen und erschaudern lassen. Der tiefe
       Glaube, den die Menschen hier in sich tragen, wirkt angesichts des
       Schweigens der Welt wie ein verzweifelter Hilferuf. Dass die Menschen dabei
       zu ihrem eigenen Teufel werden, zeigt der Film auf erschütternde Weise.
       
       18 Nov 2024
       
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