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       # taz.de -- Doku über Hitlers Geburtsstadt Braunau: „Der Ort gilt als Ursprung des Bösen“
       
       > Regisseur Günter Schwaiger über seinen investigativen Dokumentarfilm „Wer
       > hat Angst vor Braunau?“ und eine bis heute zu Unrecht stigmatisierte
       > Stadt.
       
   IMG Bild: In einem Barber-Shop in Braunau am Inn
       
       Der Name allein ruft allerlei Reaktionen hervor: „Braunau“. Eine Stadt, die
       man sich so vorstellt, wie ihr Name klingt. Hitlers Geburtsort, rechter
       Fleck, braune Stadt am Inn. Die Wahrheit könnte nicht gegensätzlicher sein.
       Nicht nur ist Braunaus Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg größtenteils
       sozialdemokratisch geprägt, Günter Schwaiger geht in seinem Film „Wer hat
       Angst vor Braunau“ sogar einen Schritt weiter: Es gibt für ihn keinen Ort,
       an dem es einfacher ist, Antifaschist zu sein, als in Braunau. 
       
       taz: Herr Schwaiger, nach der Doku „Seit die Welt die Welt ist“ und dem
       Spielfilm „Der Taucher“ wenden Sie sich nun Ihrer Herkunft aus
       Oberösterreich zu. Wieso war es Ihnen wichtig, eine Doku über Braunau und
       das Hitler-Haus zu machen? 
       
       Günter Schwaiger: Es ist nichts, wonach ich gesucht hätte, sondern das ist
       an mich getreten. Ich habe 2017 gehört, dass in das vom Staat enteignete
       Hitler-Haus eine soziale Einrichtung hineinkommen soll und habe diese Idee
       mit Euphorie aufgenommen. Ich habe damals 1989/90 Österreich verlassen, in
       einer Zeit, [1][in der die Waldheim-Affäre aufgebrochen ist.] Und dieses
       Österreich, das düster seiner Vergangenheit nachhängt, macht 30 Jahre
       später endlich einen Schritt nach vorne und baut dieses Haus endlich um und
       schafft eine großartige Einrichtung rein.
       
       Da ich sowieso vorhatte, wieder mal einen Film in Österreich zu drehen, war
       das ein Thema für mich. Ein neuer Blick auf das Land, das ich einst
       verlassen habe. Es hat sich was getan. Das war meine ursprüngliche Idee,
       noch mit einer positiven Absicht. Und als ich schon mitten beim Dreh war,
       kam plötzlich völlig überraschend die Entscheidung: Die Polizei kommt rein.
       Und das war ein Aha-Erlebnis. Ich dachte ernsthaft, dass wir an einem
       anderen Punkt seien.
       
       Danach mussten wir an einer neuen Idee arbeiten. Begleiten wir die Polizei
       bei ihrem Umzug? Findet ein verantwortungsvoller Umgang mit dem Haus statt?
       Wie geht die Stadt Braunau mit ihrer Geschichte und mit ihrem Stigma,
       worunter sie in Österreich leidet, um? In die Tiefe gegangen bin ich, als
       es plötzlich einen Architektenwettbewerb gab für die „Naturalisierung“ der
       Fassade, und so wurde es zu einem investigativen Dokumentarfilm mit der
       sehr persönlichen Frage „Warum ist es für ein Land wie Österreich so
       schwierig, mit der eigenen Vergangenheit umzugehen?“
       
       taz: In Österreich gibt es auch den „Opfermythos“. Beeinflusst dieser den
       Umgang mit der eigenen Vergangenheit? 
       
       Schwaiger: Ja, ganz stark. Das Geschichtsbild, das Österreich nach innen
       und außen gibt, ist historisch immer von oben geprägt worden, das geht
       zurück bis zur Monarchie. Und nach dem Krieg hat man sich entschieden, und
       da waren sich die großen Parteien einig, die Mitschuld der NS-Verbrechen
       vor der Bevölkerung zu verschweigen und Österreich als ein Land zu
       präsentieren, wo eine kleine Minderheit von Nazi-Fanatikern den Staat
       übernommen und den Rest unterdrückt hat.
       
       Diese Opferinszenierung wird mit einer idyllischen Fassade und einer
       Verkitschung der Vergangenheit, wie man es bei den „Sissi“-Filmen sehen
       kann, unterstrichen. Diese Vergangenheit mit einem lieben alten Kaiser und
       einer netten Kaiserin hat es niemals gegeben. Es wurde stets eine Lüge mit
       der nächsten ausgetauscht. Dieses Kartenhaus stand, bis die Waldheim-Affäre
       es zusammengebrochen hat.
       
       taz: Im Film wird erwähnt, dass Braunau wie ein ungewolltes Kind ist, bei
       dem man als Deutschland froh sein kann, dass es gerade noch so in
       Österreich liegt. Welche Verantwortung bringt diese Stadt mit sich? 
       
       Schwaiger: Ich würde eher sagen, dass dieser Stadt aus Bequemlichkeit die
       Verantwortung und Schuldgefühle zugeschoben wurden. Projektive
       Identifikation ist, wenn ich etwas, das ich an mir selber nicht mag, auf
       jemand anderen projiziere, bei dem es mich stört, und genau das passiert
       mit Braunau und dem Rest von Österreich. Braunau selbst hat sich nämlich
       nie durch eine starke Präsenz der Nationalsozialisten oder irgendwelcher
       Verbrechen ausgezeichnet, aber dennoch gilt der Ort als der Ursprung des
       Bösen. In Österreich herrscht das Bild, dass Braunau ein Nazi-Nest ist, wo
       man nicht hin will.
       
       Obwohl Braunau eigentlich eine schöne Kleinstadt ist, leugnen viele
       Braunauer deswegen, dass sie aus Braunau kommen und sagen stattdessen, dass
       sie von nördlich von Salzburg kommen. Der Umgang der Stadt Braunau mit dem
       Geburtshaus von Hitler ist eigentlich sehr verantwortungsvoll. Im Gegensatz
       zu anderen österreichischen Kleinstädten tut man da sehr viel für die
       Aufarbeitung der NS-Geschichte, weil sie ständig damit konfrontiert sind.
       
       Während des Drehs habe ich begriffen, wofür dieses Haus symbolisch steht,
       denn es geht ja nicht um das Haus an sich, sondern es symbolisiert die
       Verstrickung Österreichs in die NS-Verbrechen, obwohl, wie man im Film
       sieht, das Haus von innen sehr unscheinbar ist.
       
       taz: Im Film fällt auch der Satz „Es ist nirgendwo einfacher, Antifaschist
       zu sein, als in Braunau!“ Wie ordnen Sie das ein? 
       
       Schwaiger: Es sind natürlich nicht alles bewusste Antifaschisten dort, aber
       im gesamten stimme ich dem Satz zu, weil man in Braunau durch die Präsenz
       des Hauses immer damit konfrontiert ist. Braunau ist das ideale Beispiel
       dafür, warum es wichtig ist, mit der NS-Vergangenheit konfrontiert zu
       werden. Wenn man die verschleiert, dann findet keine Bewusstseinsbildung
       statt, diese ist aber wichtig, damit es kein Vergessen gibt und damit nicht
       ähnliche Kräfte in der Zukunft wieder an Macht gewinnen. Das geht nur dann,
       wenn man immer wieder damit konfrontiert wird.
       
       19 Nov 2024
       
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