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       # taz.de -- Die Wahrheit: Bilderbesen gegen Lebewesen
       
       > Dank an den Tugendminister der afghanischen Taliban und den gesamten
       > Hindukusch: Dort wird unsere ästhetische Tugend heftig verteidigt.
       
   IMG Bild: Hurra! Endlich keine Kätzchenbilder mehr im Internet!
       
       Katzenbilder verstopfen das Internet – und was tut die Regierung dagegen?
       Nix! Ganz anders handeln die umsichtigen Taliban im fernen Hindukusch. Dort
       kuscht man noch vor einem Minister, der nicht umsonst Tugendminister heißt.
       Dieser hat nun endgültig alle Abbildungen von Lebewesen strikt verboten.
       Das gilt für Bücher, Schilder und das gesamte Internet!
       
       Endlich ist dort Schluss mit süßlichen Katzenbildern und Abbildungen von
       bärtigen Männern. Jetzt freut man sich in Afghanistan auf Selfies ohne
       störende Lebewesen. Vorbei das Erstellen der nervigen Passbilder, denn
       Passbilder sind Lebewesenbilder. Endlich ist Schluss mit dem lästigen
       Passautomatenfotostress kurz vor dem Urlaub. Urlaub in einem fernen Land
       voller Abbildungen von lebendigen Lebewesen, die der Reisende aus
       Talibanistan selbstverständlich nicht mehr fotografieren darf.
       
       Doch die feine neue Regelung des Tugendministers, die eine
       Lebewesendarstellung rundum verbietet, wirft auch Fragen auf. Die
       Grundfrage lautet: Was ist eigentlich ein Lebewesen?
       
       Viren zählen die meisten Wissenschaftler nicht dazu, weil die Partikel nur
       nackte Nuklein-säuren in fremden Wirtszellen sind. Ein Virenfreund könnte
       nach dieser Lesart also getrost ein Virus abbilden – als Werbetafel für
       einen Kinderarzt beispielsweise. Hat ein Wesen aber wenigstens eine eigene
       Zelle, dann ist es ein amtliches Lebewesen und darf dem Tugendminister
       zufolge nicht abgebildet werden.
       
       Dem schließen sich weitere Fragen an, zum Beispiel die, ob tote Lebewesen
       als Lebewesen gelten und ob dann bildliche Wiedergaben zulässig sind. Das
       können nur Männer mit langen Bärten und mindestens knielangen Hosen
       beurteilen, denn kürzere Hosen wurden vom Tugendminister kurzerhand
       verboten. Auch diese Entscheidung begrüßen wir wohl alle aus ästhetischen
       Erwägungen.
       
       ## Schwester Pflanze lebt ebenfalls
       
       Und was ist eigentlich mit Abbildungen von Schwester Pflanze, denn die
       Pflanze ist ja auch unzweifelhaft ein Lebewesen? Abbildungsverbot, ja oder
       nein? Und ist eine getrocknete und gepresste Pflanze eine Abbildung einer
       Pflanze oder einfach nur die Pflanze selbst? Wir blicken in nachdenkliche
       bärtige Gesichter. Und wie schaut es aus mit den romantischen Poesiealben
       der träumerischen Taliban, müssen die Alben jetzt ausgejätet werden und von
       pflanzlichen Glanzbildern befreit werden? Ein bärtiges Nicken stimmt dem
       zu.
       
       Das Abbildungsverbot hat noch weitreichendere Folgen, denn es gilt auch für
       alle dreidimensionalen Ausformungen des Lebendigen. Also gibt es auch ein
       Schneemannverbot, und über Gummibärchenentzug braucht der gemeine Taliban
       gar nicht erst nachzudenken, weil er sowieso keine Gummibärchen
       verschnabuliert, da sie aus Schweinegelatine sind und damit nicht halal.
       
       Dass es für Muslime eigens Haribo Halal gibt, zählt nach dem Bilderverbot
       nicht. Künftig gibt es keine Backwaren mehr, die wie tote Tiere aussehen.
       Das bedeutet ein Pizza-Verbot wegen des flunderartigen Aussehens und
       schließlich ein Verzicht auf amöbenartiges Krümelgebäck, ganz zu schweigen
       von der ganzen Palette an kartoffelesken Knabbergebäcken.
       
       Lebensmittel sind strenggenommen allesamt tote Lebewesen, sei es
       pflanzlicher oder tierischer Natur, also gilt hier auch vollumfänglich das
       Abbildungsverbot. Schluss also auch mit den angeberischen Fotos von selbst
       verzehrten Restaurantgerichten, die unsere Internetkanäle verstopfen. Nie
       mehr wieder Foodporn!
       
       Dafür sagen wir danke, weiser Tugendminister, und danke, weiser
       Lebewesenabbildungs-wächterrat. Danke dafür, dass unsere ästhetische Tugend
       wenigstens noch am Hindukusch verteidigt wird!
       
       19 Nov 2024
       
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