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       # taz.de -- Untersuchungsausschuss Afghanistan: Ein Horst Seehofer macht keine Fehler
       
       > Ex-Innenminister Seehofer (CSU) blieb im
       > Afghanistan-Untersuchungsausschuss kritikunfähig. Unklar ist, wie der
       > Ausschuss nach dem Koalitionsbruch weitergeht.
       
   IMG Bild: Prototyp des alten weißen Mannes: Ex-Innenminister Horst Seehofer (CSU)
       
       Berlin taz | Seine [1][vielzitierte Aussage], dass „ausgerechnet an meinem
       69. Geburtstag“ im Juli 2018 genau 69 Afghanen abgeschoben wurden, die
       höchste Zahl jemals auf einem Abschiebeflug nach Kabul, dies von ihm aber
       „nicht so bestellt“ gewesen sei, sei nur „Ironie“ gewesen.
       
       Daraus sei damals „ein Popanz der Arroganz“ gemacht worden, beschwerte sich
       der frühere Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) am Donnerstag im
       [2][Untersuchungsausschuss des Bundestages zum deutschen
       Afghanistan-Einsatz]. „Wo kann man heute noch etwas Ironisches sagen“,
       fragte er rhetorisch. „Es gibt viele Sätze von mir.“ Aber: „Es gibt keinen
       Anlass, einen davon zu korrigieren oder zu relativieren.“
       
       Auch sonst legte Seehofer, inzwischen 75 Jahre alt und ohne politisches
       Amt, wenig Bereitschaft zu Selbstreflexion an den Tag, von Selbstkritik
       ganz zu schweigen. Mit Bezug auf Afghanistan könne er „bis heute sagen, wir
       haben da keine Fehler gemacht“.
       
       Das betreffe auch die Evakuierung von Ortskräften oder gefährdeten
       Afghan*innen. Im Gegensatz zu vielen anderen der seit September vorletzten
       Jahres vor den Ausschuss geladenen Zeugen hielt er es nicht einmal für
       nötig, eine Eingangserklärung abzugeben. Auch bei Details zeigte er sich
       wenig erinnerungsfähig. Dies stünde ja in den Akten.
       
       ## Seehofer verwickelt sich in Widersprüche
       
       Auch in seiner Migrationspolitik von „Humanität und Ordnung“ insgesamt
       fühlt der frühere CSU-Chef und bayerische Ministerpräsident sich durch den
       [3][„Konsens“] bestätigt, der sich inzwischen entwickelt habe. Wobei „für
       Humanität umso mehr Raum“ gegeben sei, „je mehr Ordnung sie gewährleisten“.
       Ordnung heiße, „nach offensichtlichen Regeln“ zu agieren. Das habe
       bedeutet, es habe Priorität, „dass wir sicher sein müssen, keine
       Sicherheitsprobleme zu importieren“, weil „Fehler irreversibel wären“.
       
       Das bezog Seehofer auch auf die Ortskräfte aus Afghanistan. Ohne Regeln
       könne man sich „ein Sicherheitsproblem aufladen – Stichwort Islamismus“.
       Man habe vor allem „Größenordnungen“ einreisender Afghan*innen
       befürchtet wie in den „berühmten Jahren 2015/16“. Insgesamt könne er auch
       in dieser Frage „in den Spiegel schauen“. Die damalige Bundesregierung habe
       sich „in vielen Fällen flexibel gezeigt“.
       
       Beim Thema der Abschiebeflüge verwickelte sich Seehofer zunehmend in
       Widersprüche. Über den „ganzen Sommer“ 2021 sei der Vormarsch der Taliban
       ja für jeden sichtbar, gewesen „im Gegensatz zu dem, was die
       Nachrichtendienste sagten“. Zu diesem Zeitpunkt sei „offenkundig“ gewesen:
       die afghanische Regierung „ist zusammengebrochen“. An anderer Stelle sagte
       er aus, dass „niemand gedacht habe“, dass die Regierung in Kabul „so
       schnell“ zusammenbrechen würde.
       
       Im Ausschuss zog er sich auf die Position zurück, dass dafür ein Abkommen
       mit der Regierung in Kabul bestand und diese Abschiebungen akzeptiert habe.
       Er erwähnte nicht, dass Kabul mehrmals darum „bat“, diese auszusetzen, und
       Anfang Juli sogar ein einseitiges Moratorium für alle Abschiebungen aus der
       EU verkündete. Zu einer Forderung war Kabul nicht in der Lage, weil
       militärisch und finanziell auch von Deutschland abhängig. Intern hatten
       deutsche Diplomaten wiederholt mit Mittelkürzungen gedroht, sollte Kabul
       nicht kooperieren.
       
       ## Abschiebungen nach Afghanistan „nicht umstritten“
       
       Abschiebungen nach Afghanistan führten Seehofer und die Bundesregierung bis
       Juli 2021 durch. Eine letzter, für Anfang August geplanter Flug wurde
       mehrmals neu terminiert, kam aber nicht mehr zustande. Seehofer schrieb
       noch am 5. August mit fünf europäischen Amtskollegen nach Brüssel, dass die
       EU auf Kabul Druck ausüben solle, das Abschiebemoratorium wieder
       aufzuheben. Die Frage, warum er das angesichts der kurz vor dem Kollaps
       stehenden afghanischen Regierung noch umsetzen wollte, ersparten die
       Mitglieder des Ausschusses Seehofer leider. Insgesamt, so Seehofer, sei das
       Thema Abschiebungen nach Afghanistan in der Bundesregierung „nicht
       umstritten“ gewesen: „Das war, was die Regierung, die damals im Amt war,
       wollte.“
       
       Seit Wiederaufnahme von Sammelabschiebeflügen im Dezember 2016 schob
       Deutschland insgesamt 1.104 abgelehnte afghanische Asylbewerber ab. Diesen
       Oktober führte die Bundesregierung eine erste Abschiebung zu den Taliban
       durch, mit 28 betroffenen Afghanen, die sie überwiegend als „schwere
       Straftäter“ bezeichnete.
       
       In der derzeitigen Regierungskrise steht auch die Arbeit des
       Afghanistan-Ausschusses unter Vorbehalt. Geplant war ein ausführlicher
       Abschlussbericht bis Ende der regulären Legislaturperiode. Dafür könnte
       jetzt die Zeit fehlen. Ausschusschef Ralf Stegner (SPD) sagte der taz
       jedoch, „wir wollen den Auftrag abarbeiten. Näheres besprechen wir nächste
       Woche.“ Von einem der Mitglieder war zu hören, dass auch diskutiert werde,
       alternativ einen Kernbericht mit umfassenderen Sondervoten zu
       verabschieden.
       
       7 Nov 2024
       
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   DIR Thomas Ruttig
       
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