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       # taz.de -- Kampf gegen Judenfeindlichkeit: Bundestag beschließt Antisemitismus-Resolution
       
       > Der Bundestag stimmt für einen gemeinsamen Antrag der scheidenden
       > Ampel-Parteien und der Union. Die Linke enthielt sich, das BSW stimmte
       > dagegen.
       
   IMG Bild: Der Bundestag bei der 197. Sitzung am 7. November
       
       Berlin taz | Als ein „Signal der Gemeinsamkeit“, sah der SPD-Abgeordnete
       Dirk Wiese die Zusammenarbeit zwischen den scheidenden Ampel-Parteien und
       der Union. Am Donnerstagmorgen stimmte der Bundestag mehrheitlich für den
       Antrag „Nie wieder ist jetzt – Jüdisches Leben in Deutschland schützen,
       bewahren und stärken“. An dieser [1][umstrittenen
       Antisemitismus-Resolution] arbeiteten SPD, Grüne und FDP sowie die Union
       gemeinsam seit nun beinahe einem Jahr.
       
       Dem interfraktionellen Antrag reichten für eine Mehrheit die Stimmen der
       Ex-Ampel-Parteien und der Union. Die extrem rechte AfD nutzte den Antrag
       als Rampe und stimmte ihrerseits dafür. Die AfD-Abgeordnete Beatrix von
       Storch bedankte sich bei den Antragstellenden dafür, dass sie in dem Papier
       angeblich Positionen ihrer Partei aufgenommen hätten. Beispielsweise, dass
       Antisemitismus auf Einwanderung beruhe, oder dass die BDS-Bewegung verboten
       werden müsse. Auch die „Ausschöpfung repressiver Maßnahmen“, wie es in der
       Resolution heißt, begrüßte sie, vor allem im Asylrecht.
       
       Beinahe an alte Zeiten erinnerte das Abstimmungsverhalten der Gruppen BSW
       und der Linken. Beide hatten Änderungsanträge zur Resolution eingebracht.
       So stimmte das BSW für den Antrag der Linkspartei. Das war es aber auch
       schon mit der Nostalgie: Denn die Abgeordneten der Linkspartei stimmten
       entweder gegen den BSW-Antrag oder enthielten sich.
       
       Das BSW stimmte außerdem gegen den interfraktionellen Antrag, die
       Linkspartei enthielt sich. Letzteres sorgte bei einigen in den sozialen
       Medien für Unverständnis. Kritiker:innen meinten, die Linkspartei hätte
       dagegen stimmen sollen. Auf taz-Anfrage konnte die Linkspartei nicht
       erklären, warum man sich für eine Enthaltung statt Ablehnung entschied.
       „Für uns als Linke war von vornherein klar, dass wir der Resolution nicht
       zustimmen können, da wir die massive Kritik aus Zivilgesellschaft und
       Wissenschaftsbetrieb teilen“, lies Heidi Reichinnek mitteilen.
       
       ## Streit um Antisemitismus-Definition
       
       Die sogenannte Antisemitismus-Resolution soll jüdische Menschen in
       Deutschland besser schützen, so die Autor:innen. Seit dem Angriff der Hamas
       auf Israel am 7. Oktober 2023 ist die Zahl der antisemitischen Übergriffe
       in Deutschland stark gestiegen. Die Resolution fordert, dass keine
       staatlichen Gelder an Organisationen gehen dürfen, die Antisemitismus
       verbreiten.
       
       Was dabei antisemitisch ist, dafür soll die sogenannte [2][IHRA-Definition]
       maßgeblich sein. Diese wird von einigen Regierungen verwendet, [3][ist aber
       umstritten], weil sie Antisemitismus weit fasst. Kritiker:innen
       fürchten, dass sie so ausgelegt werden kann, dass darunter legitime Kritik
       an Israels Regierung fallen könne. Außerdem wird in dem Text ein
       Zusammenhang zwischen Zuwanderung und Antisemitismus hergestellt.
       
       Sevim Dağdelen vom BSW kritisierte die Anwendung der IHRA-Definition. „Sie
       wollen eine wissenschaftlich umstrittene Antisemitismus-Definition
       staatlich postulieren. Und auch die Kritik an der zum Teil rechtsextremen
       israelischen Regierung Netanjahu wird so unter den Verdacht des
       Antisemitismus gestellt“, warf sie den Antragstellenden vor.
       
       Unter Applaus sowohl seiner eigenen Partei, als auch des BSW, kritisierte
       ebenfalls der Linkspartei-Abgeordnete Gregor Gysi die Resolution: „Die
       Kritik an der israelischen Regierung muss erlaubt sein und hat mit
       Antisemitismus nichts zu tun, wenn sich nicht dahinter eine Ablehnung des
       Judentums verbirgt“, sagte er. Der vorliegende Antrag sei „nicht gut“, weil
       er unterschiedliches jüdisches Leben in Deutschland nicht wirksam schütze
       und viele eine Einschränkung der Kunst- und Wissenschaftsfreiheit
       befürchten.
       
       Vor kurzem veröffentlichten Wissenschaftler:innen und
       Künstler:innen einen Brief, da sie aufgrund der im Antrag benutzten
       Antisemitismus-Definition der IHRA eine Einschränkung der Meinungs- und
       Wissenschaftsfreiheit befürchten.
       
       ## Kuhle: „Soll das Thema nicht abhaken“
       
       Kritik, die die Redner:innen der ehemaligen Koalitionsfraktionen und
       Union größtenteils zurückwiesen. So zeigte sich Andrea Lindholz von der CSU
       „ziemlich sprachlos darüber“, was in den vergangenen Monaten an Abgeordnete
       herangetragen worden sei. „Ich will diesen Leuten aber nochmal ganz klar
       sagen: Unser Grundgesetz erlaubt keinen Antisemitismus. Wir müssen
       verhindern, dass Antisemitismus unter dem Deckmantel von Grundrechten
       verbreitet wird“, sagte sie in Richtung der Kritiker:innen. Sie halte zudem
       keine andere Definition als die IHRA-Definition für maßgeblich.
       
       Lindholz wiederholte die Antisemitismusvorwürfe und Rücktrittsforderungen
       gegen Bundestagsvizepräsidentin Aydan Özoğuz, genauso wie der
       AfD-Abgeordnete Jürgen Braun, der gefühlt die Hälfte seiner Redezeit dafür
       verwendete. Die SPD-Politikerin hatte Mitte Oktober einen [4][viel
       kritisierten Post der Organisation „Jewish Voice for Peace“] in ihrer
       Instagram-Story geteilt. Özoğuz hatte sich dafür entschuldigt. Sie habe auf
       das zivile Leid beider Seiten aufmerksam machen wollen, ließ sie auf
       taz-Anfrage mitteilen.
       
       Konstantin Kuhle, Fraktionsvize der FDP, gab sich angesichts der
       IHRA-Definition weniger absolut. Er habe sich über manche Kritik der
       vergangenen Tage gewundert, sprach aber von einem fundamentalen
       Missverständnis, „denn diese Resolution der Fraktionen soll die Diskussion
       über Antisemitismus fördern und nicht beenden, sie soll das Thema nicht
       abhaken.“
       
       ## Vereinzelt Kritik auch aus SPD und Grünen
       
       In den vergangenen Tagen gab es aber auch vereinzelt ablehnende Stimmen aus
       Reihen von SPD und Grünen. Die Grünen-Bundestagsabgeordnete Canan Bayram
       teilte am Dienstag mit, gegen den Antrag stimmen zu wollen. Er ignoriere
       „die Debatte, in der Jurist*innen, jüdische Intellektuelle, israelische
       Menschenrechtsorganisationen, Kulturschaffende & Wissenschaftler*innen
       aufgezeigt haben, welche Probleme“ durch die Verabschiedung der Resolution
       entstehen würden. Sie widerspreche wissenschaftlichen Standards. Das
       bestärkten am Mittwoch auch Wissenschaftler:innen in der
       Bundespressekonferenz.
       
       Donnerstagmittag veröffentlichten die sechs Grünen-Abgeordneten Tobias B.
       Bacherle, Deborah Düring, Erhard Grundl, Tabea Rößner, Michael Sacher und
       Merle Spellerberg einen Brief, in dem sie ihre Enthaltung bei der
       Abstimmung begründeten. Sie seien überzeugt, dass es klare und konsequente
       Maßnahmen „zum Schutz und der Stärkung des jüdischen Lebens bedarf“, heißt
       es darin. Sie hätten jedoch Zweifel, „ob der Antrag in der jetzigen Form
       nachhaltig Schutz des jüdischen Lebens in seiner Vielfalt leisten kann.“
       
       Sowohl die SPD-Abgeordneten Isabel Cadematori als auch Nina Scheer
       forderten eine Überarbeitung der Resolution. Die ehemalige
       SPD-Justizministerin Herta Däubler-Gmelin kritisierte die Resolution
       ebenfalls. In einem Brief an die Fraktionsspitze warb sie dafür, gegen die
       Resolution zu stimmen. Der SPD-Abgeordnete Hakan Demir enthielt sich bei
       der Abstimmung und kritisierte in seiner Rede die Herausstellung von
       Zuwanderung beim Thema Antisemitismus. „Gleichzeitig findet der
       antisemitische Terror-Anschlag eines Rechtsextremisten auf eine Synagoge in
       Halle im Jahr 2019 keine Erwähnung“, heißt es in einer persönlichen
       Erklärung.
       
       7 Nov 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Antisemitismus-Resolution-im-Bundestag/!6047369
   DIR [2] https://www.antisemitismusbeauftragter.de/Webs/BAS/DE/bekaempfung-antisemitismus/ihra-definition/ihra-definition-node.html
   DIR [3] /Soziologin-ueber-Antisemitismusresolution/!6046643
   DIR [4] https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/oezoguz-post-kritik-100.html
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Baha Kirlidokme
       
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