URI: 
       # taz.de -- Auflösung der Ampel-Regierung: Sag zum Abschied leise „Doof“
       
       > Die Kündigungsurkunden an die FDP-Minister sind verteilt, die gegenseite
       > Enttäuschung zum Ausdruck gebracht – offen bleibt, wie es jetzt weiter
       > geht.
       
   IMG Bild: Olaf Scholz am Abend des 6. November im Bundeskanzleramt
       
       Berlin taz | Seit 25 Jahren sitzt Axel Schäfer für die SPD im Bundestag,
       aber nun versteht er die Welt nicht mehr. „Meine grünen Fraktionsfreunde
       grüßen mich nicht mal. Jetzt hat wohl der Wahlkampf begonnen.“ So ist es.
       
       Die Grünen ziehen grußlos und ziemlich bedröppelt an dem Mann im roten
       Schal vorbei und flüchten in die Fahrstühle des Reichstagsgebäudes wie in
       eine Rettungskapsel. Es ist Mittwoch kurz vor Mitternacht, das Ende eines
       denkwürdigen Tages an dem am Morgen Donald Trump als nächster US-Präsident
       feststand und am Ende alle Ampel-Fraktionen zu Nachtsitzungen
       zusammenkamen.
       
       [1][Denn die erste Ampelregierung der Bundesrepublik ist Geschichte.]
       Mittwochabend, um 21.15 Uhr, gab Bundeskanzler Olaf Scholz das Aus bekannt.
       Er kündigte an, am 15. Januar im Bundestag die Vertrauensfrage zu stellen,
       im März soll dann neu gewählt werden. Zuvor hatte Scholz Lindner gefeuert,
       um wie er sagt „Schaden von unserem Land abzuwenden.“ Zu oft habe dieser
       „kleinkariert parteipolitisch taktiert. Zu oft hat er mein Vertrauen
       gebrochen.“
       
       Das alles stellt Scholz in einer für seine Verhältnisse wortgewaltigen Rede
       dar. Klar wird: Ganz unvorbereitet war er nicht. Seitdem Lindner in der
       Vorwoche ein „Wirtschaftswende-Papier“ mit ordoliberalen Maximalforderungen
       veröffentlicht hatte, gab es Spekulationen über ein Ende der Ampel. Offen
       war vor allem die Frage, wer zuerst die Nerven verliert: Scholz oder
       Lindner. Zu zweit trafen sich beide am Sonntag im Kanzleramt, schon damals
       soll Lindner dem Kanzler vorgeschlagen haben, das Ganze in „Würde zu Ende“
       zu bringen.
       
       ## Kanzler geht mit Gegenvorschlag in den Koalitionsausschuss
       
       [2][Doch Scholz beraumte weitere Treffen an, mit Lindner, Vizekanzler
       Habeck und am Mittwoch den Koalitionsausschuss.] Parallel dazu feilten FDP
       und SPD jeweils an ihren eigenen Exit-Drehbüchern.
       
       Im Kanzleramt ging die Befürchtung um, dass Lindner an diesem Freitag einen
       Vorschlag für Neuwahlen öffentlich machen wolle, also zu einem Zeitpunkt,
       wo Scholz beim EU-Ratsgipfel in Budapest ist. So von der FDP vorführen
       wollte man sich aber nicht ein zweites Mal.
       
       Also ging der Kanzler mit einem Gegenvorschlag in den Koalitionsausschuss.
       In einer elfseitigen Agenda für Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätze
       reihte er vor allem Vorschläge aneinander, die größtenteils
       sozialdemokratischer Beschlusslage entsprachen: etwa Strompreise zu senken
       und einen Pakt für Arbeitsplätze in der Automobilindustrie zu schnüren. Mit
       dem Vorschlag für Sonderabschreibungen und Investitionsprämien für
       Unternehmen hoffte man der FDP einen Gefallen zu tun. Kernpunkt des Papiers
       war aber der Vorschlag, die Ausgaben für die Ukraine aus dem Haushalt
       herauszurechnen und nach der Wahl Trumps noch mal ein Schippchen
       draufzulegen.
       
       Signal: Jetzt erst recht. Für insgesamt 15,5 Milliarden Euro sollte der
       Bundestag einen sogenannten Überschreitensbeschluss beschließen, also eine
       Ausnahme von der Schuldenbremse. Dass die FDP da freudig mitgehen würde,
       erwartete niemand im Kanzleramt, deshalb wurden parallel drei Reden
       vorbereitet: Eine für den Fall, dass es klappt, eine für den Fall, dass
       Lindner hinschmeißt und eine dritte für den Fall, dass Scholz ihn
       rausschmeißt.
       
       ## Entweder Schuldenbremse-Ausnahme oder Trennung
       
       Als sich die Spitzen der Gerade-Noch-Koalition, 17 Partei- und
       Fraktionsvorsitzenden samt Kanzler und Minister:innen um 18.00 Uhr in
       einem Konferenzraum im 8. Stock des Kanzleramts trafen, stellte Scholz sie
       ziemlich schnell nach Eintreffen vor die Wahl: Wir machen den Haushalt mit
       Schuldenbremse-Ausnahme oder wir trennen uns. Während die Grünen bereit
       waren mitzugehen, sperrte sich Lindner. Er schlug zunächst vor, der Ukraine
       lieber Taurus-Marschflugkörper zu liefern, statt die Hilfen zu erhöhen.
       
       Macht dann den Vorschlag, als Ergebnis der Sitzung gemeinsam den Vorschlag
       für Neuwahlen zu präsentieren. Scholz erbat sich Bedenkzeit, unterbrach die
       Sitzung gegen 20:00.
       
       In der Pause ploppte die Meldung dann schon auf den Handys der
       Teilnehmenden auf. [3][Scholz nutzte die Pause, rief den Bundespräsidenten
       an, bat diesen Lindner zu entlassen]. Und kehrte anschließend in den
       Konferenzraum zurück, um dem verdutzten Lindner genau das mitzuteilen.
       
       Laut Angaben von Teilnehmer:innen mit den Worten: „Dann, lieber
       Christian, möchte ich nicht mehr, dass du meinem Kabinett angehörst und
       werden morgen deine Entlassung einleiten.“ – „Dann haben wir jetzt
       Klarheit“, soll Lindner geantwortet haben. Und Scholz. „So.“ Pause. „Doof“.
       
       ## Scholz wirkte kämpferisch vor den Medien
       
       Der Moment der Rührung war nur kurz. Als Scholz dann um 21.15 Uhr im
       Bundeskanzleramt vor die Medien trat, wirkte er kämpferisch und schonte den
       Geschassten nicht. „Bundesminister Lindner hat ultimativ und öffentlich
       eine grundlegend andere Politik gefordert: milliardenschwere
       Steuersenkungen für wenige Spitzenverdiener und zugleich Rentenkürzungen
       für alle Rentnerinnen und Rentner. Das ist nicht anständig, das ist nicht
       gerecht.“ Er, Olaf Scholz, werde die Bürgerinnen und Bürger nicht vor die
       Wahl stellen: „Entweder, wir investieren genug in unsere Sicherheit, oder
       wir investieren in gute Arbeitsplätze, in eine moderne Wirtschaft und eine
       funktionierende Infrastruktur. Dieses Entweder-oder ist Gift.“ Eine Rede,
       halb schon im Wahlkampfmodus.
       
       Die SPD-Basis jubilierte. „Starke Rede“, „Toller Auftritt.“ Solche
       Nachrichten erhält Umweltpolitikerin Nina Scheer (SPD). Sie und die anderen
       SPD-Abgeordneten treffen sich um 22:30 Uhr auf der Fraktionsebene mit dem
       Kanzler zur Sondersitzung. Viele gelöst.
       
       Endlich ist es vorbei. Nur dreißig Minuten dauert die Sitzung, dann gibt
       SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich ein Statement: Eine schwierige, aber
       richtige Entscheidung: Der Bundeskanzler habe keine andere Wahl gehabt, als
       den Finanzminister zu entlassen. Das Blame Game hat begonnen. Christian
       Lindner wird kurz danach dem Kanzler einen kalkulierten Koalitionsbruch
       vorwerfen.
       
       Die Ampel ist aus, wann die Regierung einpackt ist Teil des politischen
       Wahlkampf-Geschachers. Die Fristen sind klar. Sobald der Kanzler im
       Bundestag die Vertrauensfrage gestellt und verloren hat, kann der
       Bundespräsident innerhalb von 21 Tagen den Bundestag auflösen. Danach
       müssen binnen 60 Tagen Neuwahlen stattfinden. Das sind Maximalfristen, es
       könnte auch schneller gehen. Wann, das ist Teil des politischen Kalküls.
       
       ## Scholz will erst Mitte Januar die Vertrauensfrage stellen
       
       Die Union drückt auf die Tube. Unionskanzlerkandidat Friedrich Merz fordert
       von Scholz, die Vertrauensfrage nächste Woche zu stellen. Die
       Ampel-Koalition sei „gescheitert“, und damit sei die Legislaturperiode zu
       Ende, so der Fraktionschef am Donnerstagmorgen nach einer Fraktionssitzung
       in Berlin. Merz schlug Neuwahlen für den Bundestag in der zweiten
       Januarhälfte vor. Das Kalkül: Jetzt noch schnell den Ampel-Verdruss aus den
       Umfragen mitnehmen und der wahlkampfstarken SPD keine Zeit lassen, Anlauf
       zu nehmen.
       
       Die SPD möchte noch etwas weiterregieren, begründet das mit „geordneten
       Verhältnissen“. Scholz stellte am Donnerstag erst einmal neue
       Minister:innen. Finanzminister soll sein langjähriger Vertrauter und
       bisheriger Wirtschaftsstaatssekretär im Kanzleramt Jörg Kukies werden,
       FDP-Renegat Volker Wissing bleibt Teil des Kabinetts. Kukies leistete
       bereits vor Bundestagspräsidentin Bärbel Bas den im Grundgesetz
       vorgesehenen Amtseid.
       
       Erst Mitte Januar will Scholz im Bundestag die Vertrauensfrage stellen und
       sie möglicherweise mit einer Entscheidung über den Haushalt verknüpfen.
       Zuvor, so hofft es zumindest, Fraktionschef Mützenich könne man noch einmal
       zeigen, was alles ohne die FPD möglich gewesen wäre, etwa eine Reform des
       Mietrechts. Und sich dafür die nötigen Mehrheiten unter den demokratischen
       Parteien im Bundestag suchen.
       
       Bei der Union wird man in dieser Frage wohl kaum fündig. Doch diese und
       Fraktionschef Friedrich Merz werden für Scholz und die SPD nun zum
       wichtigsten Ansprechpartner. Ausgerechnet den ärgsten Konkurrenten will der
       Kanzler also als Übergangspartner gewinnen, ihm und der Union vorschlagen,
       „wichtige Projekte, die keinerlei Aufschub dulden“, mit zu verabschieden.
       Aus Scholz Sicht sind das weitere Hilfen für die Ukraine und
       Sofortmaßnahmen für die kriselnde Wirtschaft und die Stabilisierung der
       gesetzlichen Rente. Merz signalisierte zwar Gesprächsbereitschaft, man
       könne jederzeit über anstehende Tagesordnungspunkte oder Gesetze im
       Bundestag sprechen. Knüpfte das aber an die Bedingung, dass Scholz in den
       kommenden Tagen die Vertrauensfrage stelle.
       
       Ein erstes Gespräch im Kanzleramt endete am Donnerstag ohne Ergebnisse.
       Friedrich Merz war um 12:30 Uhr zu Fuß gekommen. Wenn es nach ihm geht,
       fährt er künftig mit dem Dienstwagen vor. Während Scholz das Haus zu Fuß
       verlässt. Die Chancen dafür, stehen den Umfragen zufolge, gut.
       
       7 Nov 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Scheitern-der-Ampelkoalition/!6047493
   DIR [2] /Regierungskrise-der-Ampel/!6044009
   DIR [3] /Aufloesung-der-Ampel-Regierung/!6047510
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Anna Lehmann
       
       ## TAGS
       
   DIR Ampel-Koalition
   DIR Olaf Scholz
   DIR Vertrauensfrage
   DIR Wahlkampf
   DIR Ampel-Koalition
   DIR Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
   DIR Ampel-Koalition
   DIR Ampel-Koalition
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Kanzleramtsminister Wolfgang Schmidt: Die rechte Hand von Olaf Scholz
       
       Wolfgang Schmidt arbeitete viele Jahre in zentralen Schaltstellen der
       Macht. Jetzt bewirbt er sich erstmals um ein Parlamentsmandat.
       
   DIR Die Grünen nach dem Ampel-Aus: Grün und gerecht?
       
       Im anstehenden Wahlkampf wird es um Wirtschaftspolitik und soziale Fragen
       gehen. Wie stellen sich die Grünen beim Thema Umverteilung auf?
       
   DIR Auflösung der Ampel-Regierung: Holpriger Versuch endgültig gescheitert
       
       Das Aus der Ampel ist kein Grund zur Freude. Ihr Scheitern markiert wohl
       das Ende der langen Hegemonie der Linksliberalen in der Bundesrepublik.
       
   DIR Scheitern der Ampelkoalition: Ampel aus die Maus
       
       Die Bundesregierung ist Geschichte. An einem Tag, an dem sich die
       Ereignisse überschlagen, kündigt Scholz Neuwahlen im März an und feuert den
       Finanzminister.
       
   DIR Regierungskrise der Ampel: Schmeißt Lindner hin oder Scholz ihn raus?
       
       Nach dem Wirtschaftspapier der FDP muss die Regierung ein paar Fragen
       klären. Scholz hat Lindner und Habeck einbestellt. Nagelprobe wird der
       Haushalt.