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       # taz.de -- Rekord-Kokainfund im Hamburger Hafen: Verhafteter Staatsanwalt bringt Ministerium in Erklärungsnot
       
       > In Hannover wurde ein Staatsanwalt verhaftet, der Informationen an ein
       > Kokain-Kartell verkauft haben soll. Er war für spektakuläre Prozesse
       > zuständig.
       
   IMG Bild: Der spektakuläre Fund von 16 Tonnen Kokain im Hamburger Hafen beschäftigt die Justiz drei Jahre später immer noch
       
       Hannover taz | In Hannover ist Ende Oktober ein Staatsanwalt verhaftet
       worden, der im Verdacht steht, Verbindungen zu einem Kokain-Kartell zu
       haben.
       
       Im Rechtsausschuss des Landtages musste sich das Justizministerium nun
       dafür rechtfertigen, den Mann trotz eines frühen Verdachts noch jahrelang
       im Einsatz gelassen zu haben – ausgerechnet als Chefermittler in zwei der
       größten Drogenverfahren, die von der Abteilung für
       Betäubungsmittelkriminalität je bearbeitet wurden.
       
       Die Geschichte ist so irre, dass sie locker für ein paar Drehbücher reicht.
       An die Öffentlichkeit gelangte sie zum ersten Mal als die Ermittler im
       Februar 2021 [1][einen der bis dahin größten Drogenfunde im Hamburger Hafen
       präsentierten]: 16 Tonnen Kokain, getarnt als Spachtelmasse aus Paraguay,
       geschätzter Straßenverkaufswert 448 Millionen Euro.
       
       [2][Aus dem Hamburger Hafen führten] Spuren zu einem Netzwerk in
       Niedersachsen, rund um Hannover. Doch spätestens als die Fahnder mit 31
       Haftbefehlen ausrückten, aber nur 19 tatsächlich vollstrecken konnten,
       ahnte man: Irgendetwas läuft hier schief.
       
       ## Mit dem Koffer in der Hand angetroffen
       
       Offenbar waren etliche Personen gewarnt worden. Einer der vermuteten Bosse
       setzte sich nach Dubai ab, andere wurden mit dem Koffer in der Hand
       angetroffen. Zu viele für einen Zufall.
       
       Schon im Frühjahr 2022 begann man also intern nach einem Maulwurf zu
       fahnden. Dabei geriet auch der jetzt verhaftete Staatsanwalt ins Visier.
       Hinweise aus anderen Verfahren, [3][verschlüsselte Chats und
       Durchsuchungsergebnisse, dazu fragwürdige Banküberweisungen] sollen auf ihn
       hingewiesen haben.
       
       Im November 2022 wurden erstmals seine Privatwohnung und sein Dienstzimmer
       durchsucht. Doch ein Jahr später wurden die Ermittlungen eingestellt. Von
       einem „ohnehin schwachen Anfangsverdacht“, der sich nicht habe bestätigen
       lassen, spricht der Vertreter des Justizministeriums, Thomas Hackner, im
       Rechtsausschuss.
       
       Bis im Juni 2024 neue entschlüsselte Chats auftauchen, die auf den
       39-jährigen hindeuten. Seit dem 29. Oktober sitzt er nun in
       Untersuchungshaft, verdächtig der Bestechlichkeit in besonders schwerem
       Fall, des Geheimnisverrates sowie der Strafvereitelung im Amt.
       
       Zum Zeitpunkt seiner Verhaftung war er im Übrigen nicht mehr in der
       Abteilung für Betäubungsmittelkriminalität aktiv: Er war im Februar 2024 in
       eine andere Abteilung versetzt worden. „Aus Fürsorgegründen“, wie Hackner
       erklärt – ein Schwager sitzt wegen ähnlicher Geschäfte in Haft.
       
       ## Warum blieb der Staatsanwalt?
       
       Für die Opposition weist der Fall trotzdem eine Reihe von Merkwürdigkeiten
       auf, die in der Ausschusssitzung nicht so recht ausgeräumt werden konnten.
       Da ist zuoberst das Unverständnis darüber, dass der Mann schon kurz nach
       der ersten Durchsuchung seiner Wohnung wieder im Gerichtssaal stand – als
       Ankläger in genau jenem Verfahrungskomplex, in dem er Maulwurf gespielt
       haben soll.
       
       Das, versucht Hackner zu erläutern, habe mehrere Gründe gehabt. Zum einen
       komme es häufiger vor, dass Staatsanwälte und Richter der Befangenheit oder
       Bestechlichkeit beschuldigt werden – ein beliebtes Stilmittel der
       Konfliktverteidigung; in 90 Prozent der Fälle sei da nichts dran.
       
       Außerdem habe es sich um ein äußerst komplexes Verfahren gehandelt, in dem
       der als äußerst akribisch und fleißig geltende Kollege nicht einfach so
       habe ersetzt werden können. Immerhin habe man ihm einen weiteren
       Staatsanwalt, den damaligen Leiter der Abteilung, an die Seite gestellt.
       
       Für die Verteidigung eines der damals Angeklagten war das trotzdem Grund
       genug das Urteil infrage zu stellen. [4][Nach Recherchen der Süddeutschen
       Zeitung und des NDR] hatte der 37-jährige Jonas H., genannt „der
       Spediteur“, ein Fuhrunternehmer aus dem Harz im Herbst 2022 dem LKA
       erzählt, er halte den Staatsanwalt für den Maulwurf.
       
       Er hoffte wohl auf Strafrabatt. Doch daraus wurde nichts, [5][mit zwölf
       Jahren Haft erhielt er sogar] eine der höchsten Strafen in diesem Prozess.
       Und das Plädoyer hielt auch in seinem Fall ausgerechnet der beschuldigte
       Staatsanwalt. Nun wird der Fall Ende November vor dem Bundesgerichtshof in
       Leipzig erneut verhandelt.
       
       ## Viele Fragen weiter unbeantwortet
       
       Hätte sich das vermeiden lassen, wenn man den Mann rechtzeitig abgezogen
       hätte? Warum reichte der „schwache Anfangsverdacht“ gegen ihn sehr wohl für
       einen Durchsuchungsbefehl, nicht aber dafür, den Mann von seinen Aufgaben
       zu entbinden? Und hätte man das Ermittlungsverfahren gegen den eigenen
       Kollegen nicht eigentlich abgeben müssen, statt es von der Zentralstelle
       für Korruptionsdelikte innerhalb der Staatsanwaltschaft Hannover führen zu
       lassen?
       
       Auch das, sagt Hackner, habe mit der Komplexität des Verfahrens zu tun. Die
       damals neue Leiterin der Korruptionsabteilung habe aus ihrer vorherigen
       Tätigkeit über große Szenekenntnis verfügt und sei deshalb die optimale
       Aufklärerin in diesem Fall gewesen.
       
       Die Staatsanwaltschaft Hannover habe diese Entscheidung autonom, aber in
       enger Abstimmung mit der Generalstaatsanwaltschaft in Celle getroffen. Ab
       wann die Justizministerin über all diese Verwicklungen im Bilde gewesen
       ist, sei ihm nicht mehr erinnerlich.
       
       Es gibt allerdings auch viele Detailfragen, die das Justizministerium nur
       schwer beantworten kann. Immer wieder weisen die beiden
       Ministeriumsvertreter darauf hin, dass es sich hier um zwei
       [6][hochkomplexe Ermittlungsverfahren im Drogenbereich] handelt, die noch
       lange nicht abgearbeitet sind und bei denen viel auf dem Spiel steht – vor
       allem auch die Sicherheit von Zeugen und anderen beteiligten Personen.
       
       Und auch das Verfahren gegen den Staatsanwalt selbst laufe ja noch.
       Vielleicht wird es dann im Gerichtssaal mehr Antworten geben.
       
       8 Nov 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.presseportal.de/blaulicht/pm/50367/4847014
   DIR [2] /Organisierte-Kriminalitaet-in-Deutschland/!6034764
   DIR [3] /Kampf-gegen-Drogenhandel/!5995771
   DIR [4] https://www.ndr.de/nachrichten/niedersachsen/Informant-fuer-Kokain-Mafia-Staatsanwalt-stand-schon-frueher-unter-Verdacht,staatsanwalt190.html
   DIR [5] https://www.ndr.de/nachrichten/niedersachsen/braunschweig_harz_goettingen/Handel-mit-Kokain-Mehr-als-zwoelf-Jahre-Haft-fuer-Spediteur,kokainschmuggel106.html
   DIR [6] /Drogenkartelle-in-den-Niederlanden/!6014600
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Nadine Conti
       
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