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       # taz.de -- Erfahrungen von sexualisierter Gewalt: „Ich bin keine schwache Person“
       
       > Gewalt gegen Frauen hat viele Gesichter: Drei Berlinerinnen berichten von
       > Erfahrungen häuslicher Gewalt und sexueller Belästigung im öffentlichen
       > Raum.
       
   IMG Bild: „Ich dachte immer, ich weiß mir zu helfen, wenn jemand meine Grenzen überschreitet“
       
       ## „Daran hätte man kaputtgehen können, aber darauf hatte ich keinen Bock“
       (Ada*, 33)
       
       „Ich dachte immer, mir passiert so etwas nicht. Wir waren zweieinhalb Jahre
       zusammen. Ein Jahr war toll, danach war es der Horror. Ich habe ihn in
       einer Bar kennengelernt, er war ein attraktiver Mann, Ex-Fußballprofi.
       Ziemlich schnell sind wir zusammengekommen.
       
       Ich bin sehr sozial und quatsche jeden an. Ihm hat das nicht gefallen. Er
       hat angefangen, mich zu kontrollieren. Freund*innen zu treffen wurde
       zunehmend zu einem potenziellen Konflikt. Er bekam immer häufiger
       Eifersuchtsanfälle, auch in größeren Runden. In einer Bar mit meinen
       Freunden ist er zum Beispiel einmal völlig unvermittelt ausgerastet und hat
       mich angeschrien: „Du hast auf dem Klo gefickt!“ Ich habe ihn gar nicht
       wiedererkannt, er sah aus wie der Teufel. Danach hat er mich mit
       Sprachnachrichten bombardiert – immer krass degradierend und vulgär.
       
       Dann lief es eine Zeit lang wieder gut, und wir sind nach Dubai geflogen,
       wo er Ex-Spieler war. Bei einem Abendessen mit seinen alten Kollegen
       rastete er plötzlich aus, als ich auf die Toilette ging, und schrie: „Wen
       fickst du auf dem Klo?“ Ich habe probiert, ihn zu beruhigen, aber er war
       wie ein wild gewordenes Tier. Es entwickelte sich eine Massenschlägerei,
       und ich bin durch den ganzen Laden geflogen. Im Auto nach Hause [1][haben
       seine Kollegen nur gelacht und meinten, es sei meine Schuld].
       
       Als wir im Hotelzimmer ankamen, habe ich mich schlafen gelegt. Er war total
       besoffen, hat mich an der Schulter gepackt, sich auf mich gehockt und
       angeschrien. Ich habe gebettelt, er soll mich loslassen. Aber er hat
       angefangen, erst auf das Kissen neben mir einzuschlagen, dann auf meinen
       Kiefer. Irgendwann ist er ins Bad gegangen und hat sich übergeben. Ich
       hatte eine Panikattacke und bin zitternd aufs Sofa umgezogen. Als ich da
       lag, hat er mich angespuckt.
       
       Natürlich wäre es das Beste gewesen, am nächsten Morgen in den Flieger zu
       steigen, aber er hat es mir verboten und ich war völlig handlungsunfähig.
       Es ist komisch, man funktioniert einfach. Und obwohl ich nur nach Hause
       wollte, hatte ich gleichzeitig starke Gefühle für ihn. Er war ja meine
       Vertrauensperson.
       
       Als ich in Berlin ankam, habe ich versucht, alles zu überspielen, aber ein
       Freund hat gemerkt, dass etwas nicht stimmt. Erst als ich es ihm erzählt
       habe und er Tränen in die Augen bekam, habe ich begriffen, dass das, was
       passiert ist, schlimm war. Als er das nächste Mal auf meinen Ex-Freund
       traf, hat er ihm die Leviten gelesen. Das war gut gemeint, aber ich habe
       dafür extrem Stress bekommen. Danach habe ich keinen Freund*innen mehr
       irgendetwas erzählt. Ich war ja schon das Würstchen, das nicht rauskonnte
       aus der Position, deshalb konnte ich ihre liebevoll gemeinten Ansagen nicht
       ertragen. Ich hatte keine Kraft mehr.
       
       Dann kam der Abend im Oktober 2021, der schönste Abend, den wir je hatten.
       Ich dachte: Das ist der Typ, in den ich mich verliebt habe. Wir waren so
       verliebt, ich wollte gar nicht, dass die Nacht endet. Dann wollte er Sex
       haben, aber ich wollte nicht. Daraufhin hat er mich angeschrien: wo ich
       sonst noch ficken würde. Er hat mich gegen ein Regal geschubst, mich mit
       Schuhen beworfen, an den Haaren durch die Wohnung gezogen, geschlagen und
       meinen Kopf immer wieder auf die Fliesen gehämmert. Er war wie besessen.
       Irgendwann habe ich es geschafft, ihn aus der Tür zu schieben und sie zu
       verriegeln. Ich saß ewig weinend dahinter, weil ich mich so erschrocken
       habe. Ich habe gemerkt, dass ich das nicht mehr kann und es gefährlich ist.
       
       Dann ging es lange hin und her, wir haben uns noch öfter getroffen. Nicht
       weil ich wollte, sondern weil ich keine Kraft mehr hatte, mich aus seinen
       Schlingen zu befreien. Ich bin keine schwache Person. Ich wusste, dass das
       alles falsch war, aber ich konnte es nicht begreifen, weil es mir schon
       nicht mehr gut ging. Weil ich schon nicht mehr ich war.
       
       Ich dachte ich muss irre sein, denn trotz allem wollte ich noch mit ihm
       zusammen sein. Ich begann eine Therapie. Dadurch schaffte ich es mich zu
       lösen, aber es hat lange gedauert. Natürlich wäre es schön, wenn es mir
       nicht passiert wäre, aber ich kann es nicht ändern. Und ehrlich gesagt: Ich
       finde mich richtig cool, wie ich mich da rausgearbeitet habe. Dafür kann
       ich mich selbst in den Arm nehmen. Daran hätte man auch kaputtgehen können,
       aber darauf hatte ich keinen Bock.“
       
       ## „Ich hätte nie gedacht, dass ich mich so demütigen lasse“ (Devran*, 32,
       Autorin)
       
       „Sie ist in mein Leben getreten, als es mir psychisch nicht gut ging. Ich
       wurde krank, in meiner Haut habe ich mich gar nicht mehr wohlgefühlt. Sie
       war sehr fürsorglich, ich habe mich von ihr verstanden gefühlt.
       
       Anfangs war es platonisch, nach zwei Jahren kamen wir zusammen und sie ist
       bei mir eingezogen. Sie war schwierig und temperamentvoll. Aber weil sie
       mir so viel geholfen hatte, war ich ihr dankbar und habe mir eingeredet,
       dass sie mir guttut.
       
       Aber je intensiver es wurde, desto mehr wollte sie, dass ich mich von
       Familie und Freund*innen entferne. Meine Freund*innen mochten sie
       nicht, deshalb habe ich mich sozial zurückgezogen. Bei den kleinsten Dingen
       ist sie ausgetickt, sodass ich alles getan habe, was sie wollte, um jeden
       potenziellen Konflikt zu vermeiden. Wenn ich früh aufgewacht bin, hat sie
       meinen Wecker gegen die Wand geworfen und rumgeschrien. Wenn ich nicht um
       Punkt 18 Uhr von der Arbeit zu Hause war, hat sie mich angeschrien: „Hast
       du deinem Chef einen geblasen?“ Sie hat mich immerzu erniedrigt, gesagt,
       ich sei zu laut und peinlich.
       
       Immer häufiger ist sie handgreiflich geworden. Als ich einmal nach Hause
       kam, ist sie wieder unvermittelt ausgerastet, hat mich mit einem
       Küchenmesser bedroht und geschrien: „Halt dein Maul, sonst ersteche ich
       dich, du Fotze.“
       
       In Momenten, in denen sie so über die Stränge geschlagen hat, habe ich mich
       von ihr entfernt. Sie kam dann angekrochen, hat sich entschuldigt und
       eingeräumt, dass sie ein Problem hat. Natürlich wusste ich, dass ich mich
       trennen sollte, aber ich dachte: Diese Person braucht mich. Ich muss ihr
       helfen.
       
       Meinen Freund*innen und meiner Familie habe ich nie etwas erzählt. Sie
       kennen mich als extrem starke Person. Mir war es unangenehm, zuzugeben, in
       welcher Situation ich mich befand. Deshalb bin ich komplett abgetaucht.
       
       Dann kam es zu einem Streit, bei dem sie mir ins Gesicht und meinen Kopf
       immer wieder gegen die Wand geschlagen hat. Ihre Augen waren komplett
       verrückt. Sie hat mich so stark gewürgt, dass ich keine Luft mehr bekommen
       habe, mir wurde schwarz vor Augen und ich dachte, ich sterbe. Das war der
       Moment, in dem ich gemerkt habe: Diese Person ist gefährlich. So etwas
       passiert nicht aus Liebe. Danach habe ich den Kontakt abgebrochen.
       
       Warum ich nie die Polizei gerufen habe? Keine Ahnung. Vielleicht weil ich
       nicht wollte, dass Leute mitkriegen, was bei mir zu Hause abging. Ich
       dachte immer, ich weiß mir zu helfen, wenn jemand meine Grenzen
       überschreitet. Für meine Handlungsunfähigkeit habe ich mich geschämt. Das
       alles passte gar nicht in mein Selbstbild. Ich hätte nie gedacht, dass ich
       mich so demütigen lasse.
       
       Sie hat danach immer wieder versucht, in mein Leben zu kommen, aber ich
       habe sie überall blockiert. Irgendwann war sie weg, aber ich war noch da.
       Nur wusste ich nicht, wer ich bin. Ich hatte so lang in ihrem Schatten
       gelebt, dass ich gar nicht mehr wusste, was ich mag, was meine Hobbys sind.
       Man wird ausgesaugt, hat am Ende keine Energie mehr und weiß nicht mehr,
       wer man ist.
       
       Ich habe fast zwei Jahre gebraucht, um wieder zu mir zu kommen. Lange Zeit
       konnte ich nicht darüber reden. Dann habe ich auf Facebook eine Gruppe von
       Frauen mit narzisstischen, gewalttätigen Partner*innen gefunden, mit
       denen ich mich ausgetauscht habe. Viele waren, so wie ich, Frauen, die sich
       nicht als lesbisch identifizieren, aber mit Frauen in Beziehungen waren,
       die aus Freundschaften entstanden sind. Es war immer das gleiche Muster:
       Sie waren psychisch labil und wurden dann von ihren Partnerinnen emotional
       und auch physisch missbraucht. Bei Gewalt gegen Frauen, die von Frauen
       ausgeht, reden Männer häufig von „Lesbenfight“ und geilen sich an dieser
       Fantasie auf. Das ist so realitätsfern und völlig verklärt.“
       
       ## „Ich fühle mich eigentlich immer unwohl“ (Laura Klein, 25, Studentin)
       
       „Auf der Straße sexuell belästigt zu werden, verbal und physisch, gehört
       für mich und viele meiner Freundinnen fast schon zum Alltag. Egal wo ich
       hinfahre oder laufe, ich werde angegafft wie ein Sexobjekt, angemacht,
       angehupt, mir wird hinterhergepfiffen und.gerufen. Ich fühle mich
       eigentlich immer unwohl. Wenn ich rausgehe, ziehe ich meistens nicht das
       an, was ich anziehen möchte, sondern [2][versuche, mich zu verstecken, um
       sexuellen Übergriffen vorzubeugen].
       
       Ich bin sehr selbstbewusst, aber häufig traue ich mich nicht, etwas zu
       sagen, oder ignoriere Sprüche, weil ich keine Lust auf die Konfrontation
       habe. Denn egal, wie man sich als Frau wehrt, man macht es falsch. Als ich
       einen Mann zur Rede gestellt habe, der mir im Club an den Po gefasst hat,
       hat er mich ausgelacht und meinte: „Du bist jetzt so extrem feministisch
       unterwegs oder was?“
       
       Zu einem Umdenken bewegt man Täter auch nicht, wenn man sie konfrontiert.
       Meistens kontern sie mit einem noch härteren Spruch. Ich wurde dann als
       „Fotze“ oder „Schlampe“ beleidigt. Deshalb sage ich häufig nichts. Es raubt
       mir zu viel Energie. Ich will mir den Tag dadurch nicht versauen lassen,
       die Genugtuung will ich ihnen nicht geben. Frauen erleben jeden Tag Gewalt,
       und dann wird von uns erwartet, dass wir nicht so „emotional“ sein und
       ruhig reagieren sollen.
       
       Vor vier Jahren habe ich dann [3][den Blog „Stories of Her“] gegründet, auf
       dem ich anonym Sexismuserfahrungen von Frauen veröffentliche. Die Idee
       entstand aus eigenen Erfahrungen und der meiner Freundinnen, besonders bei
       Vorfällen im Freundeskreis, wo Übergriffe häufig nicht eindeutig sind.
       
       Geschlechtsspezifische Gewalt [4][ist für uns Normalität]. Wir nehmen es
       als Lebensrealität einfach hin. Es ist doch absurd: Wir leben alle in
       derselben Welt und trotzdem sieht meine Realität so anders aus als die
       meiner männlichen Freunde. Während ich ständig Angst habe, spazieren sie
       unbeschwert und sorglos durch die Stadt.
       
       *Namen von der Redaktion geändert
       
       24 Nov 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Rechtsanwaeltin-ueber-Gewalt-gegen-Frauen/!6049470
   DIR [2] /Catcalling-auf-Berlins-Strassen/!6034464
   DIR [3] https://www.storiesofher.de/
   DIR [4] /taz-Recherche-zu-Gewalt-gegen-Frauen/!6048072
       
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   DIR Lilly Schröder
       
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   DIR Internationaler Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen
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   DIR Schwerpunkt Femizide
   DIR Lesestück Recherche und Reportage
   DIR sexuelle Belästigung
       
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