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       # taz.de -- Neue RTL+-Serie „Angemessen Angry“: Wut als Superkraft
       
       > „Angemessen Angry“ verwandelt Wut in eine Anklage gegen sexualisierte
       > Gewalt – und liefert eine bissige, humorvolle und provokante Abrechnung
       > mit patriarchalen Missständen.
       
   IMG Bild: Amelie (Marie Bloching, r.) und Kim (Sophie Yukiko Hasters, l.) sind angemessen wütend
       
       Anfangs schwant einem nichts Gutes. Ausgerechnet im Kontext des
       überstrapazierten Superheldengenres will „Angemessen Angry“ von
       sexualisierter Gewalt erzählen. Das schreit geradezu nach popfeministischen
       Plattitüden und einer höchstens gut gemeinten, aber noch lange nicht gut
       gemachten „Empowerment“-Serie, wie sie trendbewusste Streaming-Anbieter
       zuletzt häufig hervorbrachten.
       
       Dass Regisseurin Elsa van Damke und Co-Autorin Jana Forkel nicht von Anfang
       an einen digitalen Unterhaltungsgiganten im Rücken hatten, sondern sich
       erst beim RTL+-Nachwuchswettbewerb „Storytellers“ mit ihrem Projekt
       durchsetzen mussten, mag ein Grund dafür sein, dass ihre Serie radikal mit
       bravem Wohlfühlfeminismus bricht.
       
       „Angemessen Angry“ bemüht sich gar nicht erst darum, Kritik an den
       besonders hässlichen Auswüchsen des Patriarchats in kleinen und
       bekömmlichen Dosen zu verpacken, um sie für ein möglichst breites Publikum
       verdaulich zu machen.
       
       ## Frau sein, ist Trauma genug
       
       Stattdessen zeichnet die Serie sexuellen Missbrauch und männliche
       Übergriffigkeit als das strukturelle Problem, das es ist. Schon der Auftakt
       ist eine entsprechende Ansage: Hauptfigur Amelie (Marie Bloching) steht am
       Rand des Dachs des Hotels, in dem sie als Zimmermädchen arbeitet.
       
       In Gedanken sinniert sie über Heldengeschichten und die immer gleichen
       Formeln, nach denen sie funktionieren. Meist werden ihre Kräfte durch ein
       Trauma oder ein einschneidendes Erlebnis hervorgerufen, so wie etwa
       [1][„Spider-Man“] erst durch einen Spinnenbiss zu „Spider-Man“ wird, denkt
       sie.
       
       Dann kommt ihr eine Frage in den Sinn: „Was wäre ein Held, wenn sein Trauma
       einfach zu seinem Alltag gehören würde?“. „Ein Niemand“, lautet die
       Antwort, die Amelie sich selbst gibt und sogleich korrigiert: „Oder
       schlimmer – eine Frau.“
       
       Die im Titel angekündigte Wut ist in „Angemessen Angry“ sofort spürbar. Im
       weiteren Verlauf konkretisiert sie sich zu einer Wut über die Ohnmacht, in
       die Frauen gedrängt werden, indem ihren [2][Gewalterfahrungen] auch nach
       #MeToo zunächst einmal mit Skepsis begegnet wird, ihnen sogar eine
       Mitschuld am Unrecht angelastet wird und selbst der rechtliche Weg meist
       keine ernsthaften Konsequenzen für Täter nach sich zieht.
       
       ## Kampf fordert Superkräfte
       
       Nachdem Amelie ein männlicher Gast (Laurence Rupp) ungefragt in den
       Personalbereich folgt und vergewaltig, wird auch sie diese Stationen der
       bewussten oder unbewussten Unterdrückung erfahren. So gewinnt plötzlich
       auch das Superheldensetting an Reiz: Gekonnt spielt die Serie mit dem
       Gedanken, dass es quasi übernatürlicher Kräfte bedürfte, um sich effektiv
       gegen sexualisierte Gewalt zur Wehr zu setzen. Im Falle von Amelie ist es
       die Fähigkeit, über ihre Gedanken eine gewisse physische Kontrolle über die
       Männer zu erlangen, von denen sie durch Visionen weiß, dass sie sich in der
       Vergangenheit übergriffig verhalten haben.
       
       Gemeinsam mit zwei befreundeten Kolleg*innen, Johanna (Shakiba
       Eftekhari-Fard) und Tristan (Bless Amada), kreiert sie daraufhin die
       Persona „Hysteria“. Im laienhaften Superheldinnenkostüm aus dem Fundus
       ihrer geliebten Oma Ursel (Christiane Ziehl) nimmt sie fortan [3][Rache an
       Vergewaltigern] aller Klassen, indem sie sie überwältigt und ihre Taten
       durch Bekennervideos in den sozialen Medien öffentlich macht.
       
       Dass im Zuge dieser Vergeltungsoffensive nicht nur viele schmerzliche
       gesellschaftliche Missstände entlarvt werden, sondern „Angemessen Angry“
       durch Situationskomik und markige Sprüche oftmals auch sehr, sehr lustig
       ist, ist ein Kunststück, das Elsa van Damke und Jana Forkel über eine
       Spielzeit von nur knapp zwei Stunden meisterlich gelingt. Die herausragende
       Chemie zwischen Marie Bloching, Shakiba Eftekhari-Fard und Bless Amada hat
       einen bedeutenden Anteil daran.
       
       Am Ende liegt der eigentliche Triumph von „Angemessen Angry“ jedoch vor
       allem in der entschlossenen Weigerung, den bitteren Ernst hinter dem Furor
       zu relativieren. Was von dieser Serie bleibt, ist der fortwirkende
       Eindruck, dass Wut über sexuelle Gewalt und den gesellschaftlichen Umgang
       damit nicht nur angemessen, sondern schon längst überfällig ist.
       
       24 Nov 2024
       
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