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       # taz.de -- Lesung von Podcast-Star Giulia Becker: Das Schreiben ist eins der Härtesten
       
       > „Wenn ich nicht Urlaub mache, macht es jemand anderes“ heißt Giulia
       > Beckers neues Buch. Am besten funktioniert es auf Tour, von der Autorin
       > gelesen.
       
   IMG Bild: Eigentlich kann die Autorin Giulia Becker originell erzählen
       
       Ein erstes Buch zu schreiben, ein erstes gutes Buch zu schreiben ist
       schwer. Noch schwerer als das erste, so sagt man, sei es jedoch, das zweite
       gute Buch zu schreiben – also nachzulegen. Mit ihrem neuen Buch „Wenn ich
       nicht Urlaub mache, macht es jemand anderes“, einem Potpourri aus
       Geschichtchen, Listen und ironischen Selbsttests, hat Comedy-Autorin Giulia
       Becker nun versucht nachzulegen.
       
       Die als Autorin im Team von Jan Böhmermanns „Neo Magazin Royal“ bekannt
       gewordene Becker ist spätestens seit [1][ihrem erfolgreichen Comedy-Podcast
       „Drinnies“], den sie mit ihrem Arbeits- und Lebenspartner Chris Sommer
       produziert, ein Household Name der deutschen Comedy-Landschaft. Dreimal
       gewann das Duo den Deutschen Podcast Preis und füllte jüngst auf Tour sogar
       die Elbphilharmonie.
       
       2019 gewann Becker mit ihrem Debütroman „Das Leben ist eins der Härtesten“,
       einem klamaukig-schönen Stück über das ruinierte Leben einer
       Kleinstadtbewohnerin, sowohl den Debütpreis der Lit.Cologne als auch das
       Herz der Autorin dieses Texts. Und trotzdem, beklagte Becker kürzlich halb
       ernst in ihrem Podcast, würde sie in erster Linie als Podcasterin und nicht
       als Autorin wahrgenommen werden.
       
       Die Lektüre ihres Zweitlingswerks und ein Besuch auf ihrer Buchpremiere in
       Berlin erklärt aber auch, wieso. Das Buch liest sich wie die Verlängerung
       ihres Erfolgspodcasts, wie eine Schrift gewordene Extrafolge ohne Chris.
       
       Popkultur der letzten Dekaden 
       
       In dem schmalen Band erzählt ein Ich (ebenfalls von Beruf Autorin) von
       kleinen Geschichten aus dem Alltag: vom Flohmarktbesuch, von einem
       missglückten Urlaub im Thermalhotel oder einer Nacht eingeschlossen im
       Media Markt. Alles mit Jux und vielen Referenzen auf popkulturelle und
       lebensweltliche Highlights der letzten Dekaden, die alle längst wieder
       vergessen haben – Knax-Sparbücher, Hermann-Teige und das Safri-Duo zum
       Beispiel. Das ist ihr Markenzeichen, die Quelle ihres Humors, davon lebt
       ihr Podcast, dafür lieben sie die Fans.
       
       Aufmerksame Drinnies-Hörer*innen werden jedoch bemerken, dass Becker in
       ihrem Buch viel recycelt. Beliebte Themen und Geschichten, die im Podcast
       bereits zum Besten gegeben wurden, tauchen etwas abgewandelt wieder im Buch
       auf. Da gibt’s die Story einer Therapeutin, deren Praxis man nur barfuß
       betreten darf, Anekdoten über Beckers Heimatstadt Siegen und ein Faible für
       Haushaltsgeräte jeglicher Couleur.
       
       Es wirkt an einigen Stellen, als seien Becker ein wenig die Ideen
       ausgegangen. Diesen Eindruck bestärken auch die seitenlangen „Selbsttests“,
       die zwischen den Geschichten eingestreut sind („Bin ich ein Vampir?“), ein
       paar Listen („Einrad Pro Contra“) und die ganze Seite, die einem Haiku zu
       Michael Bublé gewidmet ist. Zünden tut das nicht.
       
       Schade, denn dass Becker eigentlich originell erzählen kann, zeigt sie auch
       in diesem Buch. In dem Kapitel, das der Anfang eines Coming-of-Age-Romans
       ist, zum Beispiel oder im Skript einer herrlich missglückten Folge „Das
       perfekte Dinner“.
       
       Um dieser Kritik schon mal zuvorzukommen, greift das Ich besagte Punkte
       selbst auf und ironisiert sie: „Nun, dachte ich so bei mir, jetzt habe ich
       hier diese Fragen, die Menschen brauchen Rat, Halt und Weisung. Außerdem
       brauche ich noch mehrere Seiten für mein Buch, denn vertraglich sollten es
       schon über zweihundert Seiten lang sein, aber mir gehen die Geschichten
       aus.“ Autofiktional gelesen, würde das auch den großzügigen Umgang mit
       Platz im Layout erklären.
       
       Ausverkaufte Buchpremiere 
       
       Davon merkt man auf der Buchpremiere am Sonntag jedoch nichts. In kürzester
       Zeit waren die Tickets für ihre Lesereise ausverkauft, in Berlin wurde eine
       Zusatzshow eingerichtet. So oft kann man ein Drinnie-Icon eben nicht live
       erleben und Becker hat viele Fans. Eine ganze Community, im Berliner
       Columbia Theater versammelt, die viel Strick, Leoprint und verwuschelte
       Dutts trägt. Alle sehen Hygge und wirklich nett aus und so, als ob sie zu
       Weihnachten mindestens eine Sache mit Brüsten drauf verschenken werden.
       
       Becker trägt drei ihrer Kurzgeschichten aus dem Band vor, bei denen man
       schon während der Lektüre ihre Stimme im Ohr hatte. Das Publikum jedenfalls
       liebt’s. Hier kommt zusammen, was zusammengehört: Giulia Becker und die
       Bühne. Becker und Moderator Nilz Bokelberg witzeln zwischen dem Vorlesen
       herum, sie grüßt ein plärrendes Kind und erklärt, vielleicht Hilfe beim
       Umblättern der Seiten zu brauchen – die [2][Hello-Kitty]-Nägel, die sie
       sich backstage noch schnell draufgeklebt hat, sind doch nicht so praktisch.
       
       Das Publikum lacht sehr viel. Am Ende ist auch die Lesung eigentlich wie
       der Podcast und man möchte ihr sagen: There’s no shame in it, Giulia!
       Schreib nochmal einen Roman oder lass es halt und geh einfach weiter auf
       Tour. Oder vielleicht doch noch eine Late-Night-Show? Das wäre wirklich
       gut.
       
       27 Nov 2024
       
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