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       # taz.de -- Bezahlkarte für Geflüchtete in Berlin: Menschenverachtung darf was kosten
       
       > Während anderswo gespart wird, leistet man sich bei Geflüchteten mit der
       > Bezahlkarte eine teure Abschreckungspolitik. Das sieht man auch in Tegel.
       
   IMG Bild: Die Berliner Bezahlkarte für Geflüchtete kommt: für Neuankömmlinge und für sechs Monate. Diskriminierend ist sie trotzdem
       
       Sozialsenatorin Cansel Kiziltepe (SPD) verkauft es als Erfolg: „Der
       Regierende Bürgermeister und ich haben uns geeinigt“, erklärte sie am
       Montag auf taz-Anfrage. Die Bezahlkarte mit einer Bargeldobergrenze von 50
       Euro pro Mensch und Monat, die sie bisher stets als „menschenverachtend“
       bezeichnete, kommt – soll aber nur sechs Monate gelten. Danach, so heißt
       es, seien die vollen Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz in bar
       abrufbar. „Damit möchte ich sicherstellen, dass die Einschränkungen nur
       zeitlich begrenzt sind und in einem vertretbaren Rahmen bleiben, ohne die
       Grundrechte der Betroffenen dauerhaft zu beeinträchtigen“, sagte sie.
       
       Dass es die Grundrechte von Menschen beschränkt, nur über wenig Bargeld zu
       verfügen, ist also für Kiziltepe weiter unstrittig. [1][Auch ihre
       hauseigene Ombudsstelle für das Landesantidiskriminierungsgesetz hatte
       festgestellt, dass die Bezahlkarte diskriminierend ist]. Es ist ja auch
       nicht schwer zu verstehen: Man kann in Berlin nun einmal nicht überall mit
       Karte bezahlen, Bares braucht man auf dem Flohmarkt, beim Späti, in kleinen
       Geschäften, beim Unkosten-Beitrag fürs Geburtstagsgeschenk, beim
       Taschengeld fürs Kind und so weiter und so fort. Dass man ausgerechnet
       Menschen, die neu hier sind und weiß Gott andere Probleme haben, solche
       Komplikationen zumutet, kann nur als „menschenverachtend“ bezeichnet
       werden. Warum dies anders sein soll, wenn die Regelung zeitlich begrenzt
       ist, bleibt das Geheimnis der Senatorin.
       
       Vergessen scheint auch ihr Einwand, dass die Bezahlkarte nicht zu
       Mehrarbeit beim zuständigen Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF)
       führen darf, deren Mitarbeiter schon jetzt völlig überlastet sind. Erst am
       Wochenende hat LAF-Chef Mark Seibert erneut 200 weitere Mitarbeiter für
       seine Behörde gefordert, damit sie „adäquat“ ihre Aufgaben erledigen könne.
       Denn Geflüchtete bekommen oft über Wochen keine Termine und damit nicht die
       ihnen zustehenden Leistungen. Wer etwa eine Wohnung findet, um aus seinem
       Heim auszuziehen, [2][hat Pech gehabt] – weil das LAF die Wohnungsangebote
       aus Personalmangel zurzeit nicht prüfen kann. Mit der Bezahlkarte kommt
       noch eine Aufgabe auf das LAF zu – wie es die stemmen soll, ist völlig
       unklar.
       
       Noch widersinniger ist das Ganze angesichts der Kosten. Schon die ersten
       Einschätzungen zu Beginn der Diskussion um die Karte [3][gingen von etwa
       zehn Millionen Euro aus], die allein der Anbieter für die Bereitstellung
       und technische Umsetzung erhalten soll. Die Personalkosten für den
       bürokratischen Mehraufwand sind da noch gar nicht eingerechnet. Vor dem
       Hintergrund der gerade beschlossenen massiven Haushaltskürzungen, die auch
       den Integrationsbereich hart treffen, ist dies besonders zynisch.
       
       ## „Ein Armutszeugnis“
       
       Entsprechend hart kommentiert Emily Barnickel vom Flüchtlingsrat: „Wir sind
       schockiert, dass Berlin trotz Sparhaushalt und drastischer Kürzungen in
       relevanten Bereichen ein Instrument schafft, das Menschen entrechten, soll
       und nur mehr kosten wird.“ Dass trotz prekärer wirtschaftlicher Lage „die
       Prioritäten weiter auf Abschottungspolitik anstatt auf
       Integrationsinstrumente gesetzt werden, ist ein Armutszeugnis für diese
       Stadt.“
       
       Auch der Blick nach Tegel zeigt, dass der Senat sich die
       Abschottungspolitik gerne etwas kosten lässt. Die Notunterkunft ist mit
       7.000 Plätzen nicht nur Deutschlands größte, sie ist wohl auch [4][die
       teuerste. Ein Platz kostet pro Tag rund 250 Euro]. Zwar redet Kiziltepe
       immer wieder davon, Tegel schrittweise zu verkleinern – vom Regierenden
       Bürgermeister kommen jedoch immer wieder gegenteilige Äußerungen. „Die
       Wahrscheinlichkeit, dass die Zahlen dort noch steigen, statt abzunehmen,
       ist sehr, sehr groß“, so Kai Wegner (CDU) kürzlich im RBB.
       
       Tatsächlich scheint es die Regierung darauf anzulegen: So ist das Geld, das
       das LAF braucht, um Verträge mit Hotels und Hostels fürs kommende Jahr zu
       verlängern, nach taz-Informationen noch immer nicht freigegeben. Warum
       sollte man Geflüchtete auch in geeigneten Häusern unterbringen, wenn man
       sie für mehr Geld in Hallen auf engstem Raum stapeln kann?
       
       Lieber denkt man sich neue Möglichkeiten aus, wie man an den Kosten für
       Tegel sparen könnte – etwa bei den dort beschäftigten Mitarbeitern. Schon
       seit einigen Monaten ist es wohl so, dass neu Eingestellte für dieselbe
       Arbeit weniger Geld bekommen als bereits Beschäftigte. Am Wochenende wurde
       nun bekannt, dass der DRK-Kreisverband Berlin-Zentrum, einer der vielen
       Wohlfahrtsverbände, die unter der Leitung des DRK-Landesverbandes die
       Notunterkunft betreiben, zum Jahresende aufhört. Hintergrund ist offenbar,
       dass der Kreisverband einen Großteil seiner knapp 400 Mitarbeiter entlassen
       sollte. Diese hätten sich dann bei den anderen Trägern erneut bewerben
       können – zu schlechteren Bedingungen.
       
       ## Neue Gebührenordnung
       
       Auch in der Sparliste des Senats taucht Tegel auf: 56 Millionen Euro will
       man durch „Rechnungslegung“ mehr einnehmen. Das bedeutet, wie die taz von
       der Integrationsverwaltung erfuhr, dass die neue Gebührenordnung für
       LAF-Unterkünfte ab 1. Januar auch auf Tegel angewandt wird. Bisher habe das
       LAF nämlich für die Ukrainer, die dort leben, keine Unterkunftskosten
       erhoben, so die Pressestelle.
       
       Die neuen Gebühren wird in der Regel das Jobcenter übernehmen, das ja auch
       Bürgergeld für die Ukrainer bezahlt, sofern sie keine Arbeit haben. Wer
       allerdings für seinen Lebensunterhalt aufkommen kann, muss nun selbst
       zahlen. Ein Platz im Doppelstockbett in der engen „Wabe“ mit 13 anderen
       [5][kostet laut Gebührenordnung derzeit 735 Euro pro Monat].
       
       Eine clevere Idee, die auch der AfD gefallen dürfte.
       
       25 Nov 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Bezahlkarte-fuer-Gefluechtete-in-Berlin/!6045835
   DIR [2] /Landesamt-fuer-Fluechtlingsangelegenheiten/!6048864
   DIR [3] https://gruene-fraktion.berlin/pressemitteilungen/diskriminierende-bezahlkarte-kostet-steuerzahlende-fast-10-millionen-euro/
   DIR [4] /Bundesweit-groesste-Gefluechtetenunterkunft/!6018899
   DIR [5] https://www.berlin.de/sen/soziales/besondere-lebenssituationen/wohnungslose/unterbringung/untgebo-1464244.php
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Susanne Memarnia
       
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