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       # taz.de -- Der alte neue Präsident der USA: Trump, der Drachentöter
       
       > Warum an „alternative Fakten“ glauben? Unsere Kolumnistin sieht darin
       > einen Restbestand christlicher Theologie und Trump als wahnwitzigen
       > „Priester“.
       
   IMG Bild: Trump-Anhänger: Je absurder, desto mehr glauben sie
       
       Kürzlich erschien eine wunderbare Karikatur in der taz. Die Tochter sagt:
       Nein, Dad, das sind Fake News. Und der Vater ruft entgeistert: Wie kann es
       Fake sein, wenn es genau das sagt, was ich denke? Das bringt den Trumpismus
       auf den Punkt.
       
       Erinnern wir uns an den jüngsten US-Wahlkampf. Dabei galt offensichtlich:
       Man kann mittlerweile einfach alles sagen. Alles nicht im Sinne von ohne
       Tabus, sondern im Sinn von einfach irgendetwas. Wie absurd auch immer. So
       konnten die Republikaner etwa behaupten, der Sturm über Florida sei Folge
       einer „Hurrikan-Maschine“ der Demokraten gewesen.
       
       Letztere hätten den Hurrikan damit absichtlich in republikanische Staaten
       geschickt. Seit Trumps erstem Wahlkampf 2016 wird solches als „alternative
       Fakten“ bezeichnet. Nicht nur Trumpisten, sondern auch deren Gegner
       zitieren das Wort, als sei es eine Erklärung. Aber als Erklärung reicht es
       nicht aus.
       
       Denn es ist zu wenig, um zu verstehen, was da passiert. Welche
       Pervertierung da stattfindet: von Vernunft, von Wahrheit, von
       Öffentlichkeit, von rationalem Diskurs. Eine Pervertierung von allem,
       worauf [1][Demokratie basiert. Oder zumindest basieren sollte.] (Und wieder
       findet man sich in der Zwickmühle, den Status quo, der doch alles andere
       als rosig ist, verteidigen zu müssen.)
       
       ## Schwundstufe des Religiösen
       
       Die entscheidende Frage bei solchen „alternativen Fakten“ ist aber: Warum
       glauben Menschen das, offensichtlich viele, offenbar eine beängstigende
       Menge an Menschen – zumindest in den USA? Warum kann man ihnen einfach
       irgendetwas, irgendeinen völligen Nonsens erzählen und kommt damit durch?
       
       Eines scheint klar: Die wahnwitzigen Behauptungen richten sich nicht an den
       Verstand und schon gar nicht an die Vernunft. Die „alternativen Fakten“
       sollen gar nicht begriffen werden – an sie soll nur geglaubt werden. Unter
       Opferung des Intellekts, unter dem bewussten Verzicht auf das eigene
       Denken. Sacrificium intellectus hieß das in Bezug auf die Religion, wo
       dieses Opfer Voraussetzung der Hingabe, des Glaubens war. Die Vorstellung
       „alternativer Fakten“ muss also ins Register des Religiösen eingereiht
       werden.
       
       Allerdings handelt es sich dabei um eine Schwundstufe des Religiösen, um
       einen Restbestand christlicher Theologie. Von dieser gilt dabei nur noch
       ein Topos: Man glaubt, weil es der Vernunft zuwiderläuft. Credo, quia
       absurdum est. Ich glaube, eben weil es absurd, weil es ungereimt, ohne
       Sinn, weil es Unfug ist. Es gilt geradezu: Je absurder, desto mehr glaube
       ich es.
       
       In der Trump’schen Version haben solche wahnwitzigen Behauptungen nur eine
       Funktion: Sie sollen die eigenen Vorurteile bekräftigen. Eben deshalb sind
       sie nicht aufklärbar. Wie in der besagten Karikatur: Wie kann es Fake sein,
       wenn es genau das sagt, was ich denke? Darum geht es: Man glaubt es, weil
       man sich darin spiegelt.
       
       ## Trump inszeniert sich als Drachentöter
       
       Dazu braucht es aber auch einen entsprechenden Spiegel – sprich eine
       Person, die als solcher dient. Wie stark das an der Person hängt, zeigt
       sich am zweiten ebenso erstaunlichen Phänomen, das gerade Donald Trump zur
       Perfektion gebracht hat: die Behauptung, alle Probleme lösen zu können.
       Damit hat er seinen ganzen Wahlkampf erfolgreich bestritten.
       
       Wenn er Präsident sei, werde er den Nahostkonflikt in drei Tagen lösen.
       Wenn er an der Macht sei, werde er den Ukrainekrieg sofort beenden. Ja mehr
       noch: Wenn er an der Macht gewesen wäre, dann wäre es [2][zu dem fatalen
       Überfall der Hamas am 7. Oktober] gar nicht erst gekommen.
       
       Völlig haltlose Behauptungen, die ihre Überzeugungskraft sicherlich nicht
       ihrem Inhalt verdanken. Wenn Trump solches behaupten kann und die Leute ihm
       dabei einfach folgen, dann muss das an seiner Person, an seiner Position
       liegen. Trump konnte seine haarsträubenden Wahlkampf-Behauptungen natürlich
       nicht untermauern.
       
       Spätestens jetzt, wo er tatsächlich Präsident ist, wird sich deren
       Haltlosigkeit erweisen. Denn es reicht nicht, einfach nur zu behaupten, man
       sei der Drachentöter. Aber eines hat er schon geschafft: Für seine Fans hat
       er den Status eines wahnwitzigen „Priesters“ erobert. Noch vor jedem
       Faktencheck.
       
       26 Nov 2024
       
       ## LINKS
       
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