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       # taz.de -- Twitter-Ersatz Bluesky: Toxic Positivity
       
       > Die Harmonie auf dem Ersatz-Twitter Bluesky verzerrt den Blick auf die
       > Realität. Das beweisen die polarisierten Online-Reaktionen auf Habecks
       > Besuch bei Caren Miosga.
       
   IMG Bild: In seinen Blasen ist man schnell mit seiner Meinung isoliert
       
       Es war ein großes Wiedersehen in den letzten Wochen, von X-Gefrusteten auf
       der Plattform Bluesky. Doch die Freude über den neu erblühten, nun als
       irgendwie demokratisch geltenden Twitter-Ersatz, hat Schattenseiten.
       
       Nach Elon Musks völlig enthemmter Wahlkampagne für Donald Trump hatten sich
       immer mehr Menschen von X verabschiedet – jener Plattform, die zum globalen
       Standardmedium aufgestiegen war, bis der [1][Milliardär sie 2022 gekauft]
       und sie [2][seither ruiniert hat].
       
       Die US-Wahl brachte der Abwanderung zur Alternative Bluesky einen neuen
       Schub: Millionen schlossen ihre X-Accounts, angewidert von Musks Hetze, der
       Penetranz seiner Zehntausenden Tweets und der offenkundig von ihm
       angeordneten, unverhohlenen algorithmischen Bevorzugung rechtsextremer,
       misogyner, verschwörungsideologischer Inhalte.
       
       Das schon 2021 – durch eine Initiative von Twitter selbst – an den Start
       gegangene, aber bisher recht verschlafene Bluesky [3][verdoppelte seit Ende
       Oktober seine Nutzerzahl] auf rund 21 Millionen.
       
       ## „Gottlos weggeblockt“
       
       Viele freuten sich, auf Bluesky alte Twitter-Bekanntschaften wiederzusehen,
       die sich still von X zurückgezogen hatten. Und viele betonten, wie
       freundlich-konstruktiv es auf Bluesky nun zugehe, ganz anders als zuletzt
       bei X, wo der allgemeine Tonfall das Etikett „toxisch“ zweifellos verdient.
       
       Viele hoffen, das möge so bleiben. Und so wurde sich in „Starterpacks“
       genannten Listen freundlichst gegenseitig empfohlen, auf dass die alten
       Bubbles wieder zueinander finden mögen.
       
       Flankiert wurde dies vom Bemühen, Bluesky „sauber“ zu halten: „Du bist
       #neuhier?? Willkommen!“ schrieb etwa ein Account namens Schattenspiele.
       „Bester Tipp: Halte deine Timeline sauber! Rechte, Schwurbelköppe und
       Trolle werden einfach ignoriert, nicht geteilt, nicht besprochen, sondern
       einfach gottlos weggeblockt“, empfahl er weiter. „#Wirsindmehr“ und damit
       das so bleibe, „folgen sich Demokrat*innen untereinander.“
       
       ## Bluesky als Echokammer
       
       Der Post fasste die Stimmung sehr gut zusammen. Genüsslich und unter
       allgemeinem Applaus wurden Blocklisten und -empfehlungen auf Bluesky
       herumgeschickt. Alle schienen sich einig: Auf keinen Fall dürfe die
       Plattform zur selben Hassmaschine verkommen wie X.
       
       Doch diese Säuberungsbemühungen haben eine Schattenseite. Zu besichtigen
       war die etwa bei den Reaktionen auf den ARD-Talk von Robert Habeck bei
       [4][Caren Miosga am Sonntagabend]: Bei Bluesky waren viele schwer von dem
       „eloquenten“ Grünen „beeindruckt“, hashtaggten sich mit #TeamHabeck. Miosga
       habe beim Versuch, Habeck bloßzustellen, „versagt“. Habeck sei einer der
       wenigen Politiker Deutschlands, die Verantwortung übernehmen, ehrlich
       kommunizieren und Kanzler „kann“.
       
       Wer eher progressiv tickt, dürfte beim Lesen beifällig genickt und Hoffnung
       geschöpft haben: Wenn das hier nun alle so sehen, wer weiß, vielleicht ist
       eine [5][Kanzlerschaft Merz’] ja doch noch zu verhindern. Es dürfte etwa
       das gleiche Gefühl gewesen sein, das viele beim Konsum der zunächst
       hoffnungsfrohen deutschen Medienberichte über den Wahlkampf von Kamala
       Harris bekommen hatten.
       
       ## Polarisierte Lager
       
       Auf Twitter hingegen war es wie in der dunklen Paralleldimension der
       [6][Netflix-Serie „Stranger Things“]: In ihr sind die gleichen Dinge, aber
       sie sind komplett verdüstert und bedrohlich überzogen von einer Art
       radioaktivem Staub.
       
       Unter dem Hashtag #Miosga wurde sich über den Talk ausgekotzt. Habeck galt
       als der „gefährlichste Politiker Deutschlands“, als „unverschämt“,
       „unerträglich“, „Clown“, „Versager“. Miosga habe sich ihm angebiedert und
       der ÖRR habe, wie üblich, „versagt“, weil niemand da war, um „seine Lügen
       zu unterbrechen“.
       
       Nun ließe sich sagen: Ist doch schön, so hat nun jeder seine Bubble. Doch
       die Lager sind heute so derart polarisiert, dass ein liberal-demokratisches
       Milieu auf Bluesky viel zu schnell vergisst, wie viele „die anderen“ heute
       sind, wie groß deren Ablehnung progressiver Positionen ist. Wer nur von
       seinesgleichen liest, bekommt ein gefährlich stark verzerrtes Bild der
       Meinungsrealität, merkt das aber nicht mehr.
       
       Die Folge ist absehbar: Entwicklungen werden unterschätzt oder ganz
       übersehen. In der Vergangenheit waren viele von den Trump-Wahlen oder dem
       Brexit vor allem deshalb so überrascht, weil sie sich nur [7][innerhalb
       ihrer eigenen Meinungsblase informiert] hatten – schon aus „Mental
       Health“-Gründen. Doch wer verpasst, wie sich Stimmungen wandeln, verliert
       die Fähigkeit zur Intervention.
       
       25 Nov 2024
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
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