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       # taz.de -- Haftbefehl gegen Netanjahu: Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
       
       > Heftig umstritten: Der Umgang mit dem Haftbefehl des Internationalen
       > Strafgerichtshofs gegen Netanjahu, falls er nach Deutschland kommt.
       
   IMG Bild: Musste seinerzeit noch keine Handschellen fürchten: Benjamin Netanjahu bei seinem letzten Besuch in Berlin, im März 2023
       
       ## Pro
       
       Es gehörte über Jahrzehnte hinweg zu den Grundpfeilern der deutschen
       Außenpolitik, die Weiterentwicklung des Völkerrechts und einer
       internationalen Strafjustiz zu unterstützen. Dieser parteiübergreifende
       Konsens ist jetzt bedroht, seit der [1][Strafgerichtshof in Den Haag] gegen
       den israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu einen Haftbefehl
       erließ. Plötzlich bestehen Zweifel.
       
       „Niemand steht über dem Gesetz“, hat Außenministerin Baerbock jetzt
       dankenswerterweise klargestellt. Damit rückt sie den fatalen Eindruck
       zurecht, den Regierungssprecher Stefan Hebestreit am vergangenen Freitag in
       einer Pressekonferenz erweckte. Hebestreit sagte dort, es falle ihm schwer,
       sich vorzustellen, dass Netanjahu in Deutschland verhaftet werden würde.
       Dafür braucht es aufgrund der deutschen Geschichte in der Tat viel
       Fantasie. Doch es klang, als würde sich Deutschland nicht an
       internationales Recht gebunden fühlen.
       
       Manche in der Union tun das offenbar tatsächlich nicht. Hessens
       Regierungschef Boris Rhein nannte den Haftbefehl „absurd“, CSU-Chef Markus
       Söder „befremdlich“, und sein Parteifreund Alexander Dobrindt reiste sogar
       nach Israel, um Netanjahu demonstrativ die Hand zu schütteln. Das zeigt
       nicht nur, dass sie sich nicht ernsthaft mit den Vorwürfen
       auseinandersetzen wollen. Damit legen sie auch die Axt an einen
       Grundpfeiler der deutschen Außenpolitik, ja einer regelbasierten
       Weltordnung.
       
       ## In Gesellschaft von Orbán, Putin und Trump
       
       Ungarns Premierminister Viktor Orbán lud Netanjahu sogar nach Budapest ein.
       Das ist aus seiner Sicht nur konsequent: Als das gleiche Gericht im
       vergangenen Jahr Haftbefehl gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin
       erließ, akzeptierte er diesen genauso wenig. Man muss es so klar sagen: Wer
       den Haftbefehl gegen Netanjahu infrage stellt, der stellt sich in eine
       Reihe mit Autokraten wie Orbán, [2][Putin] und Donald Trump. Ihnen allen
       sind Regeln und Gesetze egal. Sie vertreten das Recht des Stärkeren.
       
       Schon jetzt stehen die Richter in Den Haag unter enormen Druck. Wenn Trump
       sein Amt antritt, könnte er einzelne Mitarbeiter des Gerichtshofs
       persönlich bestrafen. Deutschland muss sich entscheiden: Will es auf der
       Seite einer regelbasierten Weltordnung stehen? Oder auf der Seite eines
       Verbündeten, dem schlimme Verbrechen vorgeworfen werden? Darauf gibt es nur
       eine richtige Antwort. Eigentlich. Daniel Bax
       
       ## CONTRA
       
       Die Frage stellt sich schon deshalb konkret nicht, weil sich der
       israelische Ministerpräsident in nächster Zeit höchstwahrscheinlich nicht
       auf Staatsbesuche begeben wird. Für den Fall, dass er doch kommt,
       signalisierte Bundesaußenministerin Annalena Baerbock allerdings bereits,
       dass sie in die Falle der antiisraelischen Globalpropaganda getappt ist:
       Niemand stehe über dem Gesetz, antwortete sie auf entsprechende Fragen zum
       Haftbefehl gegen den israelischen Regierungschef.
       
       Deutschland halte sich an [3][Recht und Gesetz, auch auf internationaler
       Bühne]. US-Präsident Joe Biden indes wies schon die Fragestellung zurück.
       Er wisse ja, dass Netanjahu und seine Regierung harte Kritik verdienen,
       aber nicht wegen des Krieges gegen die Hamas und die Hisbollah an sich,
       sondern weil Israels demokratisch gewählte Regierung in ihrer Kriegsführung
       schwere Fehler begangen hat und weiter begeht.
       
       Nicht der Krieg im Gazastreifen scheint für Biden problematisch zu sein,
       sondern dass Israel keine Strategie anbieten kann für die Zeit nach dem
       Krieg. Es fehlt seit Beginn der Militäroperation gegen die
       palästinensische Terrororganisation Hamas, die es aus Sicht Netanjahus zu
       zerstören gilt, jegliche politische Perspektive, außer im Gazastreifen
       [4][eine dystopische Landschaft zu hinterlassen]. Ein Plan für die Zukunft
       – unbekannt.
       
       Wahr ist, dass es Netanjahu war, der die Hamas zumindest tolerierte und
       deren mörderischen Wahn nicht erkennen konnte; wahr ist weiterhin, dass er
       alles sabotierte, was für die palästinensischen Nachbarn nach einer
       Perspektive auf einen eigenen Staat erschien. Netanjahu ist zugleich jener
       Mann, der mit seinen faktisch rechtsradikalen Alliierten den israelischen
       Rechtsstaat zu zerstören trachtet, der also die Pfade des demokratischen
       Zionismus längst verlassen hat.
       
       ## Innenpolitisch ist Netanjahu gestärkt
       
       Das alles sind Delikte, die die israelische Gesellschaft lösen muss. Der
       internationale Haftbefehl indes lässt das Land zusammenwachsen und macht
       Netanjahu in Israel noch populärer. Selbst aus der Opposition kam Kritik an
       dem Haftbefehl. Der Internationale Strafgerichtshof nimmt es – so erscheint
       es vielen – Israel übel, dass es überfallen wurde und sich militärisch zu
       wehren hatte, allein schon der nach wie vor [5][in Gaza festgehaltenen
       Geiseln] wegen. Der Haftbefehl nützt Netanjahu innenpolitisch – und das ist
       das eigentliche Problem. Jan Feddersen
       
       26 Nov 2024
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Daniel Bax
   DIR Jan Feddersen
       
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