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       # taz.de -- Verkehrsvorbild in den USA: Ein Tempolimit ist möglich, zeigt New York City
       
       > Trotz jüngster Verkehrsreformen kommen Autos in Deutschland immer noch
       > zuerst. Eine US-Metropole mit 8 Millionen Einwohnern macht es besser.
       
   IMG Bild: Seit zehn Jahren gilt in New York ein Tempolimit von 25 Meilen pro Stunde
       
       Berlin taz | Relaxed, with fun and a desire for more. Dieses irritierende
       Gefühl von Leichtigkeit wird man heute nicht los, läuft man zu Fuß durch
       New York. So bequem ist Schlendern auf dem Broadway, der 5th Avenue, der
       Madison Avenue. Nicht nur wegen der breiten Bürgersteige oder des jüngst in
       Kraft getretenen Jaywalkings – Fußgänger:innen können jederzeit
       straffrei die Straße überqueren, auch ohne Ampeln und Zebrastreifen.
       Sondern vor allem: wegen der Autos. Besser gesagt wegen der
       Geschwindigkeit, mit der sie durch die Straßen rollen.
       
       Seit zehn Jahren gilt in New York ein Tempolimit von 25 Meilen, also etwa
       40 Kilometern pro Stunde. Eingeführt hatte es der damalige Bürgermeister
       Bill de Blasio, um die Verkehrssicherheit zu erhöhen. Seitdem gibt es in
       der US-Metropole trotz durchschnittlich täglich 300 Verkehrsunfällen
       weniger Verletzte und Verkehrstote als vor der Tempodrosselung.
       
       Tatsächlich müssen sich Autofahrer:innen in New York schon sehr Mühe
       geben, die zahlreichen Verkehrsschilder mit der
       Geschwindigkeitsbeschränkung zu übersehen. Aber sie müssen ja ohnehin
       Fußgänger:innen „Vorfahrt“ gewähren, langsam an Zebrastreifen
       heranrollen und schon 30 Meter vor dem Abbiegen blinken. So schreibt es das
       New Yorker Verkehrsgesetz vor. Verrückt: Alle halten sich dran.
       
       Als Touristin in New York fragt man sich unwillkürlich: Warum funktioniert
       das in dieser Metropole mit acht Millionen Einwohner:innen, nicht aber in
       Städten wie Berlin, Köln, Hamburg, die viel kleiner sind?
       
       ## Autobahnen zum Rasen
       
       „Das ist eine politische Frage“, sagt der Verkehrsökologe Jens
       Borken-Kleefeld, der eine Professur an der TU Dresden innehat: „Diejenigen,
       die ein Tempolimit durchsetzen könnten, tun es nicht, vermutlich aus Angst,
       Wählerstimmen zu verlieren.“ Und diese Furcht sei im Autoland Deutschland
       durchaus berechtigt.
       
       Schnelles Fahren auf deutschen Straßen und Autobahnen sorgt in New York
       mittlerweile nur noch für Kopfschütteln, auch wegen der Energiekrise.
       Wieso, fragt man sich dort, wird zum [1][Sparen beim Heizen] aufgerufen,
       aber kein Tempolimit eingeführt, das jede Menge Öl sparen könnte? So
       verglich die New York Times die in Deutschland erbittert geführte Debatte
       mit dem ähnlich heftig geführten Diskurs um die Waffengesetze in den USA.
       
       Deutschland ist das einzige Land in der EU, das keine
       Geschwindigkeitsbeschränkung auf der Autobahn hat, auf mehr als 70 Prozent
       der Autobahnkilometer darf ohne Beschränkung gerast werden. Aber weder mit
       der FDP noch mit der Union ist eine Geschwindigkeitseinschränkung zu
       machen. Im Gegenteil, die FDP plädiert in ihrem Parteiprogramm für „eine
       intelligente Steuerung des Verkehrs“, die so aussieht: internationaler
       Emissionshandel und Leitsysteme, die Autofahrer:innen helfen, Staus
       und Umwege zu umgehen.
       
       ## Mehrheiten für Limit
       
       Dabei [2][plädiert mittlerweile mehr als die Hälfte der Mitglieder des
       Automobilclubs ADAC für ein generelles Tempolimit]. In der
       Gesamtbevölkerung sind es noch mehr: Bei einer [3][Civey-Umfrage stimmten
       67 Prozent der Verbraucher:innen für begrenzte Geschwindigkeiten].
       
       Die Weltgesundheitsorganisation WHO empfiehlt innerhalb von Ortschaften
       Tempo 30. Die jüngste [4][Reform des Straßenverkehrsgesetzes in
       Deutschland] verbessert die Situation nur wenig: So können Tempo-30-Zonen
       und Radwege in den Kommunen nicht mehr so leicht durch Autofans per Klage
       verhindert – aber auch nicht schneller eingeführt – werden.
       
       Verkehrsökologe Borken-Kleefeld plädiert für ein Tempolimit zwischen 100
       und 120 Stundenkilometern auf Autobahnen, das sei „für die
       Verkehrssicherheit deutlich vorteilhafter“. [5][Innerorts empfiehlt er
       Tempo 30.] Das würde den Lärm mindern. Und alle profitierten: Der Bremsweg
       für Autos würde halbiert, Fußgänger und Radfahrer:innen fühlten sich
       sicherer. Und die Autofahrer:innen selbst würden dann vielleicht auch
       auf Rad, ÖPNV oder Fußwege umsteigen. „Das erhöht die Mobilität und
       reduziert das PKW-Aufkommen“, sagt Borken-Kleefeld.
       
       Stattdessen drängeln sich auf deutschen Straßen die Autos, stehen im Stau,
       fahren zügig an, bremsen ruckartig ab, ein ständiges Stop-and-Go. In New
       York fließt der Verkehr mit gedrosselter Geschwindigkeit gemächlich und
       stressfrei.
       
       26 Nov 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Teure-Waerme/!6047341
   DIR [2] https://www.adac.de/verkehr/standpunkte-studien/positionen/tempolimit-autobahn-deutschland/
   DIR [3] https://civey.com/umfragen/2463/wie-hoch-sollte-ein-allgemeines-tempolimit-auf-deutschen-autobahnen-sein
   DIR [4] /Strassenverkehrsgesetz-reformiert/!6013702
   DIR [5] /Tempo-30-in-Berlin/!6034442
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Simone Schmollack
       
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