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       # taz.de -- Spardiktat des Berliner Senats: Wer hat uns verraten?
       
       > Der Sparhaushalt beerdigt die Hoffnung auf ein zukunftsfähiges Berlin.
       > Schuld trägt die SPD, die die Chance auf eine linke Mehrheit zerstört
       > hat.
       
   IMG Bild: Werden wir auch weggekürzt? Franziska Giffey mit zwei BVG-Mitarbeiterinnen
       
       Der Tag, an dem Berlin seine Zukunft verspielte, lässt sich genau datieren.
       [1][An jenem 23. April 2023 stand fest, dass eine knappe Mehrheit der
       Berliner SPD-Basis dem Vorschlag ihrer Parteichefin Franziska Giffey
       folgt], als Juniorpartner in eine Regierung unter der CDU einzutreten. Die
       bis dato regierende Giffey, die freiwillig auf die Machtposition in einer
       möglichen Koalition mit Grünen und Linken verzichtet hatte, freute sich
       über eine „Richtungsentscheidung“.
       
       Wie sehr Giffey damit recht hatte, zeichnet sich inzwischen glasklar ab.
       Der Anspruch, Berlin zu einer sozial-ökologischen und modernen Stadt zu
       machen, den SPD, Grüne und Linke mehr als sechs Jahre lang zumindest
       zaghaft verfolgt hatten, ist einer konservativen Klientelpolitik gewichen,
       die vor den Zukunftsaufgaben kapituliert. Unter den Beschlüssen im Rahmen
       des [2][Sparhaushalts] von CDU und SPD wird Berlin noch sehr lange zu
       leiden haben.
       
       Die Kürzungsorgien in Bereichen des sozialen Zusammenhalts, bei der
       ökologischen Wende und nicht zuletzt bei der Digitalisierung werden
       Spaltungen innerhalb der Bevölkerung vertiefen und dafür sorgen, dass die
       Stadt vollends den Anschluss verliert. Während
       Verkehrswende-Musterschülerin Paris die Autopolitik hinter sich lässt,
       Barcelona als „sorgende Stadt“ den einst privaten Bereich der Sorgearbeit
       zu einer öffentlichen Aufgabe ausbaut oder Wien auf eine ganzheitliche
       ökologische Stadtentwicklung setzt, geht Berlin vorwärts in Richtung
       Vergangenheit.
       
       Die passenden Denkmäler dafür sind schon in Planung: Die [3][gegen jeden
       Bürgerwillen verfolgte Bebauung der einmaligen innerstädtischen Freifläche
       des Tempelhofer Feldes] sowie die vom Bund betriebene, aber vom Senat
       tolerierte Schneise der Verwüstung, die die [4][A100 mitten durch das
       subkulturelle Herz der Stadt schlagen soll].
       
       ## Politik des 20. Jahrhunderts
       
       Berlin hat nicht nur keine Zukunftsprojekte mehr, sondern streicht überall
       dort, wo positive Auswirkungen auf die Stadtbevölkerung messbar wären: beim
       Ausbau der [5][Radinfrastruktur], bei Elektrobussen und neuen Tramlinien,
       bei der Jugendsozialarbeit, der Verwaltungsdigitalisierung, der
       [6][klimagerechten Sanierung öffentlicher Gebäude], in der Wissenschaft und
       massiv bei der Kultur. Bei der zentralen sozialen Frage der Stadt, [7][die
       Mieten zumindest halbwegs bezahlbar zu halten, hatte die Koalition schon
       zuvor, unabhängig vom aktuellen Spardiktat, vollends kapituliert].
       
       Durchgesetzt hat sich eine Politik, die sich im 20. Jahrhundert
       einbetoniert, deren ideologische Leitplanken das Auto und die innere
       Sicherheit sind. Während Autofahrer:innen weiter subventioniert
       werden, gibt es Geld für symbolische Law-and-Order-Projekte wie den Zaun um
       den Görlitzer Park (siehe Seite 23). Genau hier wären die Stellschrauben
       für einen Mitte-links-Senat, der ebenso mit Sparzwängen unter der
       Schuldenbremse konfrontiert wäre.
       
       Neben dem Verzicht auf Sinnlos-Ausgaben, vom Abriss des Jahnsportparks bis
       zum immens teuren U-Bahn-Neubau, könnte dieser vor allem Einnahmen
       steigern. Auf der Hand liegen die [8][Erhöhung der Parkgebühren], die
       bislang mehr kosten, als sie einbringen, eine City-Maut, ÖPNV-Abgaben für
       Unternehmen und Tourist:innen, eine höhere Zweitwohnsteuer oder auch die
       Ausschöpfung des Kreditrahmens. Doch der schwarz-rote Senat denkt gar nicht
       daran, jene in die Pflicht zu nehmen, die es sich leisten könnten.
       
       ## Rot-Rot-Grün ist Geschichte
       
       Das Dramatische an der Situation ist, dass es keine Aussicht auf Besserung
       gibt. Das Zeitalter des konservativen Rollbacks ist auch in Berlin
       angebrochen; das Spandauer Provinzgehabe hat die Stadt übernommen.
       Inzwischen kommt es einem fast schon vor wie aus einer Stadt vor unserer
       Zeit: Bei den Abgeordnetenhauswahlen 2016, 2021 sowie der Wiederholungswahl
       2023 hatte Rot-Rot-Grün jeweils die Mehrheit erzielt, am deutlichsten 2021
       mit 54,4 Prozent. Doch seit der Unterwerfung der SPD ist eine linke
       Mehrheit nicht mehr absehbar.
       
       Würde jetzt gewählt werden, käme das Mitte-links-Lager einer aktuellen
       Umfrage zufolge nur noch auf 38 Prozent; ein Drittel der Wähler:innen
       ist abhandengekommen. Während die nicht mehr gestaltende Linke nur noch
       über interne Querelen wahrgenommen wird und sich auf 6 Prozent halbiert
       hat, liegt das am Schrumpfen der Sozialdemokratie, die von ihrem zuletzt
       schon historisch schlechten Wahlergebnis von 18,4 Prozent auf nunmehr
       mickrige 12 Prozent zusammengesackt ist – und damit sogar dem miserablen
       Bundestrend hinterherhinkt.
       
       Eine Erholung in den Fängen der CDU und dem nun zu verantwortenden
       Kahlschlag scheint ausgeschlossen. Franziska Giffey hat die Berliner SPD
       ruiniert. Zwar war die Partei schon vor ihrer Unterwerfung kein Garant für
       eine zukunftsgewandte Politik, stets mussten Grüne und Linke darum kämpfen,
       der strukturkonservativen Parteiführung Fortschritte abzutrotzen. Möglich
       aber war es, wenn man auf die begonnene Verkehrswende oder allerlei
       Versuche, der Mietenkrise zu begegnen, zurückdenkt.
       
       Doch mit der Entscheidung, als geräuschloser Sidekick der CDU rückständige
       Politik zu vertreten, hat sich die SPD überflüssig gemacht und ihren
       Niedergang verdient. Ein Grund zur Freude ist das leider nicht. Ohne SPD
       gibt es keine Aussichten auf progressive Mehrheiten – zum Leidwesen der
       ganzen Stadt.
       
       26 Nov 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Schwarz-rote-Koalition/!5927367
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   DIR [8] /Sparhaushalt-von-CDU-und-SPD-in-Berlin/!6047224
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Erik Peter
       
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