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       # taz.de -- Diktatorische Herrschaft in Nicaragua: Der Aufbau einer Familiendynastie
       
       > In Nicaragua institutionalisiert das Präsidentenpaar Ortega-Murillo mit
       > einer Verfassungsänderung und der Verfolgung von Kritiker*innen seine
       > Macht.
       
   IMG Bild: Bislang Vize-, jetzt Co-Präsidentin Nicaraguas: Daniel Ortegas Ehefrau Rosario Murillo
       
       Hamburg taz | Daniel Ortega hat seine Frau und Vizepräsidentin, Rosario
       Murillo, per Verfassungsänderung zur Co-Präsidentin gekürt. Vieles deutet
       auf den Aufbau einer Familien-Dynastie hin. Unterdessen geht die Verfolgung
       der Kirchen weiter.
       
       Die Vorschläge, die Daniel Ortega am letzten Mittwoch dem Parlament
       präsentierte, haben es in sich. Mehr als hundert Verfassungsartikel müssen
       geändert werden, um die Gleichstellung von Präsident(in) und
       Vizepräsidentin zu Co-Präsident:innen umzusetzen, hieß es in der
       offiziellen Presse. Drei Tage später, am Freitag, meldete das Parlament
       Vollzug und nur am Rande fand Erwähnung, dass das [1][Duo Daniel Ortega und
       Rosario Murillo] ein Jahr länger amtieren wird.
       
       Für Wendy Quintero keine echte Überraschung. Sechs Jahre nach den
       Studentenprotesten vom April 2018 habe das Diktatoren-Duo Nicaragua unter
       „totaler Kontrolle. „Sie agieren, als wäre Nicaragua eine Farm“, ärgert
       sich die Journalistin. Quintero lebt seit sechs knapp Jahren im Exil.
       Mittlerweile im costa-ricanischen San José, wo sie für eine Menschenrechts-
       und eine Presseorganisation arbeitet. Sie ist schockiert, mit welchem
       Selbstverständnis das autoritäre Paar auftritt. „Jede und jeder, die oder
       der an den Protesten vom April 2018 teilnahm, sie unterstützte oder die
       Angriffe des Repressionsapparats verurteilte, gilt als Verräter. Ich,
       nahezu alle zivilgesellschaftlichen Organisationen und die Kirchen.“
       
       Letztere hat das Regime Ortega derzeit im Visier. Jüngstes Beispiel ist die
       Ausweisung und Zwangsausbürgerung von Bischof Enrique Herrera aus der
       Diözese Jinotega. Herrera, Vorsitzender der Nicaraguanischen
       Bischofskonferenz, hatte den sandinistischen Bürgermeister der Stadt am 12.
       November kritisiert, als dieser den Gottesdienst mit lauter Musik hatte
       stören lassen. Das quittierten die Behörden mit der Ausweisung des Bischofs
       nach Guatemala.
       
       ## Die Repression gegen Geistliche verschärft sich
       
       Herrera ist der vierte Bischof, der das Land verlassen musste. Zuvor waren
       Rolando Álvarez, Bischof aus Matagalpa, Bischof Isidoro Mora aus Siuna
       sowie Weihbischof Silvio Baez aus Managua ausgewiesen worden. Hinzu kommen
       Dutzende von Pfarrern wie Edwin Román aus Masaya. Er hatte 2018 die Tore
       der Kirche San Miguel Arcángel geöffnet, um denen zu helfen, die von
       paramilitärischen Schlägertrupps verletzt worden waren. Menschen, die ihr
       Demonstrationsrecht wahrgenommen hatten, gegen die Regierung von Daniel
       Ortega und Rosario Murillo auf die Straße gegangen waren.
       
       Ein Jahr später unterstützte Román die Mütter, die für die Freilassung
       ihrer Kinder in den Hungerstreik traten. Seine Haltung, an der auch die
       Schmähungen und im Einzelfall die Handgreiflichkeiten der Schergen des
       Präsidentenpaares nichts ändern konnten, haben ihn früh in den Fokus der
       Vizepräsidentin Rosario Murillo gerückt. Sie bezeichnete Edwin Román 2021
       öffentlich als „Mörder, Terroristen und Verbrecher“. Ab da war an eine
       Rückreise aus Miami, wo Román damals zu Besuch war, nach Masaya nicht mehr
       zu denken, so der 64-jährige gegenüber [2][100%Noticias].
       
       Der Sender berichtet heute [3][wie so viele andere nicaraguanische Medien]
       aus dem Exil in Costa Rica. Dort, aber auch in den USA oder im Vatikan,
       leben rund 250 Geistliche, die vor dem Diktatorenpaar fliehen mussten, weil
       sie sich kritisch äußerten. Katholiken wie Protestanten. „Zuletzt wurden
       Anfang September 135 politische Gefangene auf Druck der USA und anderer
       Staaten freigelassen – darunter elf religiöse Vertreter beider
       Konfessionen“, sagt Wendy Quintero. Sie hat beim Menschenrechts-Kollektiv
       Nicaragua Nunca+ an einer Studie zur Verfolgung der Kirchen mitgearbeitet.
       
       Und die verschärft sich stetig. [4][Kirchliches Leben außerhalb der
       Gotteshäuser wird unter allerhand Vorwänden unterbunden], religiöse
       Organisationen wie die der Jesuiten wurden neben vielen anderen, oft
       weniger bekannten religiösen Organisationen verboten. Insgesamt sind seit
       der blutigen Niederschlagung der Studentenproteste im Frühjahr 2018 in
       Nicaragua mehr als 5.000 Parteien, Vereine und
       Nichtregierungsorganisationen verboten worden.
       
       ## Journalisten sitzen im Gefängnis oder sind im Exil
       
       Das ist beispiellos in der gesamten Region. Das Ehepaar Ortega/Murillo
       versucht, die Zivilgesellschaft mundtot zu machen – darunter eben [5][auch
       die Kirchen]. Dabei hatte Daniel Ortega 2006 den Schulterschluss mit der
       katholischen Kirche probiert, sich als gottesfürchtiger Kandidat
       präsentiert und ein megarigides Abtreibungsgesetz mit den Stimmen der
       Sandinisten durchgewunken. Das gilt immer noch, aber der Bund ist
       Geschichte. Heute ist der Vatikan laut Ortega Teil eines „faschistischen
       Konglomerats“.
       
       Journalisten wie Victor Ticay, der am 5. April 2023 eine religiöse
       Prozession gefilmt und das Video online gestellt hatte, werden wegen der
       Verbreitung von Fake News und Hochverrats festgenommen und abgeurteilt.
       Acht Jahre Haft lautete das Urteil, von denen Ticay 507 Tage absitzen
       musste, bevor er im September 2024 mit weiteren 135 politischen Gefangenen
       nach Guatemala abgeschoben wurde. Wie allen anderen wurde auch ihm seine
       Staatsangehörigkeit entzogen. Ein perfides und in Lateinamerika in dieser
       Dimension wohl einmaliges Vorgehen.
       
       Mehr als 450 Nicaraguaner:innen, darunter Schriftsteller wie Sergio
       Ramírez und Gioconda Belli, Journalisten wie Carlos Fernando Chamorro oder
       die Menschenrechtsaktivistin Vilma Núñez wurde die Staatsangehörigkeit
       aberkannt und sämtliche in Nicaragua befindliche Besitztümer beschlagnahmt.
       Nicaragua Nunca+ vermutet zudem, dass in Managua eine Schwarze Liste mit
       rund 3.000 weiteren Namen geführt wird, denen der Verlust aller
       Bürgerrechte drohe.
       
       Allerdings könnte die Zahl der von Ausbürgerung bedrohten auch weitaus
       höher sein, so Jan-Michael Simon, Vorsitzender der UN-Expertengruppe zur
       Untersuchung von Menschenrechtsverletzungen in Nicaragua. „Wir wissen, dass
       fast eine Million Menschen aus Nicaragua in den letzten sechs Jahren
       geflohen sind – viele von ihnen politisch aktiv. Wir glauben, dass die Zahl
       derjenigen, die keinen konsularischen Schutz mehr genießen, deren Pass
       nicht verlängert, deren Geburtsurkunde nicht beglaubigt wird, deutlich
       höher liegen könnte“, so der Strafrechtler vom Max-Planck-Institut in
       Freiburg.
       
       Simon ist zudem sicher, dass mit der jüngsten Verfassungsinitiative nicht
       nur die Weichen in Richtung Familien-Dynastie gestellt werden. „In
       Nicaragua institutionalisiert sich das autoritäre System Ortega. Der
       Rechtsstaat wird buchstäblich auf den Kopf gestellt.“
       
       27 Nov 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Das-Praesidentenpaar-von-Nicaragua/!5917001
   DIR [2] https://100noticias.com.ni/
   DIR [3] /Repression-in-Nicaragua/!5929550
   DIR [4] /Bedrohte-Religionsfreiheit-in-Nicaragua/!5875565
   DIR [5] /Streit-zwischen-Nicaragua-und-Vatikan/!5918769
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Knut Henkel
       
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