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       # taz.de -- Vor den Wahlen in Island: „Mit dem Bruch haben wir gerechnet“
       
       > Die Isländer wählen am Samstag ein neues Parlament – früher als geplant.
       > Für die Politikwissenschaftlerin Eva Heiða Önnudóttir ist die Zeit der
       > übersichtlichen Parteienlandschaft auch auf der Insel vorbei.
       
   IMG Bild: Die Bevölkerung wächst, Touristen kommen. Der Wohnungsmarkt beschäftigt die Menschen immer mehr
       
       taz: Frau Önnudóttir. Im Oktober ist die Koalition aus zwei konservativen
       Parteien und einer linken zerbrochen. Hat Sie das überrascht? 
       
       Eva Heiða Önnudóttir: Wir haben damit gerechnet, dass die Koalition nicht
       bis zum Wahltermin im Herbst 2025 durchhält. Aber nicht damit, dass es nun
       so schnell gehen würde. In den vergangenen Monaten bekam man schon einiges
       an Ärger öffentlich mit. Dass diese Koalition von 2017 bis 2021 hielt, lag
       wahrscheinlich an Corona – lange war die Regierung nur damit beschäftigt.
       Danach konnte man bald die Differenzen vor allem zwischen Links-Grünen und
       der Unabhängigkeitspartei spüren, den beiden Parteien am weitesten links
       beziehungsweise rechts.
       
       taz: Welche Themen stehen im Fokus des Wahlkampfs? 
       
       Önnudóttir: Was die Menschen in Island laut Umfragen derzeit am meisten
       bewegt, sind ihre wirtschaftliche Situation, das Gesundheitssystem und der
       [1][Wohnungsmarkt].
       
       taz: Die Regierung hat sich auch an Fragen der Asylpolitik aufgerieben –
       ein Thema, das in vielen Ländern längst politisch zum Stimmenfang genutzt
       wird. In Island verfängt das nicht? 
       
       Önnudóttir: Die Koalition war sich vor allem uneinig in der Frage, was man
       gegen die zu langen [2][Asylverfahren] machen soll und wie mit abgelehnten
       Asylbewerbern umzugehen ist. Aber wir sehen auch, dass nur ein kleiner Teil
       der Bevölkerung dies als wichtiges Thema angegeben hat. Die Zahl an
       Einwandern, Geflüchteten und Asylsuchenden war bisher so niedrig, dass die
       Frage politisch noch kein Gewicht hat. Das kann sich ändern.
       
       taz: Das Thema Wohnungsmarkt hat lange keine große Rolle gespielt. Jetzt
       schon. Was ist passiert? 
       
       Önnudóttir: Es war immer die Norm in Island, im eigenen Haus oder in einer
       Eigentumswohnung zu leben. Es gibt deshalb auch keinen sicheren Markt für
       Mieter. Aber die Immobilienpreise steigen. Es wird immer schwerer für junge
       Leute, etwas Eigenes zu kaufen. Nach der Finanzkrise haben wir aufgehört
       zu bauen, aber die Bevölkerung ist gewachsen. Und eine Menge Touristen
       kommen. Investoren haben Wohnungen gekauft, um sie als Ferienwohnungen zu
       vermieten – das Problem haben ja viele Länder.
       
       taz: Das Gesundheitssystem ist Topthema in vielen Ländern – was sind
       diesbezüglich die Streitpunkte in Island? 
       
       Önnudóttir: Die überwiegende Mehrheit will weiterhin das staatlich
       organisierte [3][Gesundheitssystem]. Natürlich ist das teuer. Viele
       kritisieren, dass wir zu wenige Ärzte oder Pflegepersonal haben. Es gibt
       ein paar privat betriebene medizinische Einrichtungen, es ist also kein
       vollständig staatliches System. Deshalb ist es teilweise möglich, dass
       Menschen ein bisschen mehr zahlen und so Wartezeiten etwa für einen
       Eingriff umgehen. Manche sagen: „Ist doch gut, lass sie das machen.“ Die
       anderen sagen: „Wir sollten ein besseres System für alle haben und
       überhaupt keine Wartelisten.“
       
       taz: Haben die jungen Leute in Island eigene Themen? 
       
       Önnudóttir: Was wir wissen, ist, dass die jungen Wähler allgemein liberaler
       eingestellt sind als die älteren. Sie sind offener für internationale
       Zusammenarbeit. Außerdem sieht man natürlich, wie in so vielen anderen
       Ländern, dass das Thema Klimakrise für sie wichtiger ist als für ältere.
       
       taz: Der Ausgang dieser Wahl ist völlig ungewiss. Die Zeiten der
       übersichtlichen Parteienlandschaft sind auch in Island schon länger vorbei
       …
       
       Önnudóttir: Ja. Historisch gesehen hatten wir ein Vierparteiensystem, in
       dem die liberal-konservative Unabhängigkeitspartei die größte war, mit
       etwa 35 Prozent Zustimmung, dahinter die Sozialdemokraten, die
       Fortschrittspartei und Links-Grün. Dann passierte das, was auf dem
       europäischen Festland schon früher angefangen hatte: Neue Parteien kamen
       dazu, Mehrheiten sind nicht mehr so leicht zu bekommen. In Island wurde
       das durch die Finanzkrise ausgelöst, als Folge von Misstrauen und
       Enttäuschung von den etablierten Parteien. Zudem sind die Themen heute viel
       fragmentierter. Es geht nicht mehr nur um die Frage, ob rechte oder linke
       Wirtschaftspolitik, oder um die Kontraste zwischen Stadt und Land.
       
       taz: Was erwarten Sie von dieser Wahl – wird sich die politische
       Situation wieder etwas beruhigen? 
       
       Önnudóttir: Ich habe keine Ahnung. Manche meiner Kollegen sagen, wir werden
       in der nächsten Zeit wahrscheinlich alle zwei Jahre Neuwahlen haben.
       
       taz: Wie es derzeit aussieht, könnte eine Koalition aus bis zu vier
       Parteien nötig sein, um die nötige Mehrheit von 32 der 63 Sitze zu
       bekommen. 
       
       Önnudóttir: Ja. Das ist eine Herausforderung für die Parteien, die sie
       bewältigen müssen. Wenn ihnen bewusst wird, dass wir eine veränderte
       politische Landschaft haben und dass sie dafür sorgen müssen, dass es
       funktioniert, dann können wir ein bisschen mehr Stabilität bekommen.
       
       taz: Haben Sie ihnen das schon gesagt? 
       
       Önnudóttir: Ich habe es versucht, aber sie wollen nicht auf mich hören.
       
       29 Nov 2024
       
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