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       # taz.de -- Wirkung der Russlandsanktionen: Der Rubel rollt abwärts
       
       > Die russische Währung verliert seit Monaten an Wert. Jetzt gab es noch
       > einmal einen deutlichen Rutsch. Die Verschiebung kommt auch im Alltag an.
       
   IMG Bild: Besser nicht hinschauen? Frau vor einer Wechselstube in Moskau
       
       Moskau taz | Wenn Wechselkurstafeln die letzten unabhängigen Massenmedien
       Russlands sein sollen, wie der russische Drehbuchautor Oleg Kosyrew bereits
       2018 sarkastisch anmerkte, so liefern sie derzeit schlechte Nachrichten.
       Seit Tagen rutscht der Rubelkurs nach unten. Eigentlich seit Monaten. Seit
       August hat die russische Landeswährung zum US-Dollar 24 Prozent eingebüßt.
       Diese Woche verlor sie von einem Tag auf den anderen 8,5 Prozent.
       
       Noch am Mittwoch zeigten die Kurstafeln in den Moskauer Straßen teils bis
       zu 115 Rubel je Euro und 110 Rubel je US-Dollar an. Die Zentralbank setzte
       den Kurs auf 113 Rubel pro US-Dollar fest – es war der niedrigste Wert seit
       dem sogenannten panischen März nach Russlands Überfall auf die Ukraine im
       Februar 2022. Die Überschreitung der Marke von 100 Rubel je Dollar gilt in
       Russland auch emotional als bedeutend, weil sie die Bevölkerung
       verunsichert.
       
       Doch der Staat unternimmt derzeit wenig. Das Ausrichten am Dollar sei ein
       „Rudiment aus der Vergangenheit“, sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow und
       wiederholte damit, was er schon vor einem Jahr gesagt hatte.
       Wirtschaftsminister Maxim Reschetnikow begründete den Absturz der Währung
       mit der „übermäßigen emotionalen Komponente von Marktteilnehmern“.
       
       Finanzminister Anton Siluanow sagte bei am Dienstag ganz unverblümt, für
       die Exporteure sei ein solcher Rubelkurs „sehr, sehr günstig“. Der
       russische Staat gleicht mit den entsprechend hohen Deviseneinnahmen das
       Budget aus.
       
       ## Inflation im Innern
       
       Die russische Bevölkerung ächzt derweil unter der steigenden Inflation, die
       [1][mittlerweile bei knapp 8 Prozent liegt und weiter steigen] dürfte.
       Kartoffeln etwa kosten fast doppelt so viel wie vor einem Jahr, andere
       Produkte, wie Butter, werden vermehrt aus den Läden entwendet, weil sie so
       teuer geworden sind. Supermärkte sichern die Butterpackungen deshalb in
       Plastikbehältern und geben sie nur auf Nachfrage aus, ähnlich wie mit
       Zigaretten. Ein Großteil der Butter wird heute aus den Vereinigten
       Arabischen Emiraten eingeführt, doch die können nicht so viel liefern, wie
       es westliche Länder früher getan haben. Auch importierte Elektronik, an
       Neujahrsfeiertagen besonders beliebt als Geschenk, verteuert sich um
       mindestens 10 Prozent, sagen Experten.
       
       Am Mittwochabend gab die Zentralbank schließlich bekannt, dass sie ihre
       planmäßigen Devisenkäufe aussetzt. Das stützt den Rubel durchaus,
       allerdings zu wenig. Er dürfte, so sagen einige Analysten voraus, noch in
       diesem Jahr auf bis zu 120 je Dollar abrutschen.
       
       Am Donnerstagmorgen war der Kurs im Vergleich zum Vortag etwas angestiegen.
       111 Rubel pro Euro zeigten gleich mehrere Wechselstuben entlang des
       Kutusowski-Prospekts in Moskau an, einer zentralen Schneise, die direkt auf
       den Kreml zuführt.
       
       ## Allgemeine Verunsicherung
       
       „Gestern schauten wir ein wenig in den Abgrund, als der Kurs so in den
       Keller ging“, sagt eine Angestellte einer Wechselstube in Sichtweite des
       Finanzdistrikts Moscow City. Sie sitzt hinter Panzerglas, der
       Scheinezählautomat neben ihr rattert. „Es ist, wie es ist. Die Sachen
       werden immer teurer. Aber wir hoffen. Wir hoffen sowieso immer, auch wenn
       es nicht besser wird.“ Dann schiebt sie schnell nach: „Ach, ich rede immer
       so viel, ich sollte den Mund halten.“ Es ist das übliche Verstecken, aus
       Angst, weil die Menschen in Russland nie wissen können, wer noch mithört
       und was ihnen für das Gesagte droht.
       
       Der beschleunigte Rubelverfall hängt unter anderem [2][mit neuen Sanktionen
       der USA gegen russische Banken] von vergangener Woche zusammen. Hauptziel
       dieser Beschränkungen: die Gazprombank. Gegen die hatten die westlichen
       Länder nach Russlands Ukraine-Invasion zunächst kein Embargo verhängt, weil
       sie über sie Zahlungen für russisches Gas und andere wichtige russische
       Exporte fortsetzen wollten. Offenbar hatten alle erwartet, dass die Ofac,
       die Kontrollbehörde des US-Finanzministeriums, eine Sonderlizenz für
       Gaskauftransaktionen erteilen würde. Weil sie das nicht tat, gibt es
       weniger Fremdwährungen auf dem russischen Markt, was wiederum dazu führt,
       dass diese höher im Kurs stehen. Zudem hat die Wiederwahl Donald Trumps den
       US-Dollar gefestigt, die Ölpreise – eine wesentliche Einnahmequelle für
       Russland – sind gefallen.
       
       Der Rubelabsturz zeigt, dass die Sanktionen wirken, nicht nur im
       Finanzsektor, aber hier am effektivsten. Hinter vorgehaltener Hand beklagen
       einige Russ*innen, dass der Lebensstandard immer weiter sinkt, auch wenn
       [3][die Gehälter von Soldaten weiter hoch] sind und die Fabriken in drei
       Schichten arbeiten. Lebensmittel werden immer teurer, Importware sowieso.
       Dass der Leitzins inzwischen bei 21 Prozent liegt und so deutlich höher ist
       als zu Kriegsbeginn, hilft offenbar nicht. „Das Einzige, was unser Leben
       besser machen würde“, sagt eine Mitarbeiterin der Moskauer Metro, „ist ein
       zweiter Pass und ein Leben irgendwo in der Fremde.“
       
       28 Nov 2024
       
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