# taz.de -- Neuer „Welt“-Chefredakteur: Im Boxring der Demokratie
> Der neue „Welt“-Chef Jan Philipp Burgard ist ein Amerikanophiler mit
> gebrochenem Herzen. „Welt TV“ setzt mit ihm auf immer konfrontativere
> Formate.
IMG Bild: Bot dem Faschisten Höcke eine Bühne, wurde aber auch für seine Moderation gelobt
Jan Philipp Burgard könnte man als Amerikanophilen mit gebrochenem Herzen
bezeichnen. Er glaubte einmal an [1][den amerikanischen Traum], konnte ihn
dann aber als Korrespondent in den USA nicht mehr finden. „Auf meinen
Reisen habe ich … ein Amerika kennengelernt, in dem harte Arbeit und der
Glaube an eine bessere Zukunft immer seltener Berge versetzen können“,
schrieb er 2018 in seinem Buch „Ausgeträumt, Amerika?“.
„Vielerorts habe ich die Menschen nicht mehr als optimistisch erlebt,
sondern als verzweifelt und ängstlich.“ Das Land, das Burgard so
idolisierte, sei nur noch [2][ein zutiefst gespaltenes], der Traum
zerbrochen. Und seine Diagnose dafür gibt einen Einblick in den Kopf eines
Mannes, [3][der Ulf Poschardt ab Januar 2025 als Chefredakteur der Welt
ablösen wird].
Am vergangenen Dienstag gab das Medienunternehmen Axel Springer bekannt,
dass zum Start des neuen Jahres Welt, Politico Deutschland und Business
Insider Deutschland in einer neuen „Premium-Gruppe“ näher zusammenrücken
sollen, mit Poschardt als Herausgeber. Der 39-jährige Burgard, seit 2021
Chefredakteur von Welt TV, wird nun Chef der ganzen Welt-Gruppe, zu der
auch die Welt am Sonntag und der Fernsehsender N24Doku gehören.
Burgard wurde 1985 in Iserlohn geboren. Seine journalistische Karriere
begann er bei der Lokalzeitung Iserlohner Kreisanzeiger, er studierte in
Bonn und Paris. Vor allem die USA wurden zum Schwerpunkt seiner
journalistischen Arbeit. Von 2017 bis zu seinem Wechsel zur Welt 2021 war
er der USA-Korrespondent der ARD in Washington. Und bislang hat er vier
Bücher über Amerika geschrieben – von der politischen Erfolgsgeschichte
Barack Obamas („Von Obama siegen lernen oder ‚Yes, We Gähn!‘?“) zu einer
„Supermacht im Umbruch“.
## „Polarisierte Medienkultur“
In „Ausgeträumt, Amerika?“ beschreibt Burgard den Aufstieg Donald Trumps
und die Frustrationen vieler Wähler, die ihm 2016 zum Einzug ins Weiße Haus
verhalfen. Burgards Urteil: „Viele dieser Ängste wurden vom amerikanischen
Polit-Establishment und von den Medien lange ignoriert, oft sogar
belächelt.“ Trump sei nicht die Ursache für die Spaltung der amerikanischen
Gesellschaft, er bringe sie nur brutal zum Ausdruck.
Vier Jahre später, nach der Wahlniederlage Trumps gegen Biden und dem
[4][bewaffneten Sturm auf das Kapitol in Washington], zog er eine ähnliche
Bilanz: Die gesellschaftliche Spaltung in den USA sieht Burgard vor allem
als „Konsequenz der stark polarisierten Medienkultur“. Erzkonservative
Medien wie Fox News beschränkten sich, so Burgard, auf eine weitgehend
unkritische Hofberichterstattung über Trump. Sender wie CNN und MSNBC
hingegen würden nur „mit offen zur Schau gestellter Verachtung“ für Trump
und seine Wählerbasis punkten wollen.
## „Mediale Elite“
Auch die Demokraten seien mitschuldig. Sie würden sich, statt die Sorgen
der Menschen um Arbeitsplätze aufzugreifen, nur um „identitätspolitische
Herzensprojekte“ kümmern wie das Recht von trans Personen, im Militär
dienen zu dürfen, schreibt Burgard.
Und dann geht es wieder um die Presse: „… die meisten linksliberalen
Massenmedien räumten Zeitgeistsujets Priorität ein und bemerkten kaum, wie
Trump an ihnen vorbei per Twitter die Themen traf, die Millionen Menschen
aus allen gesellschaftlichen Schichten wirklich bewegten.“ Er spricht von
einer „medialen Elite“, die die Lebenswirklichkeit „friedliebender, hart
arbeitender Amerikaner“ nicht repräsentiere.
## TV-Duell mit Höcke
Das ist womöglich einer der Gründe dafür, warum Welt TV mit Burgard am
Ruder auf immer konfrontativere Formate setzt. Man müsse diese Ängste
verstehen. Im April co-moderierte Jan Philipp Burgard [5][ein TV-Duell
zwischen den Thüringer Parteichefs Björn Höcke (AfD) und Mario Voigt
(CDU)].
Schon im Vorfeld wurde Kritik laut: Burgard biete dem Faschisten Höcke eine
Bühne, hieß es mehrfach. Burgard selbst verteidigte die Entscheidung, er
sprach von einem „Boxring der Demokratie“. Nach dem Schlagabtausch im
Fernsehen wurde seine Moderation dann doch gelobt: Die Zeit nannte sie
„solide“, der Spiegel „gut vorbereitet“. Burgard hakte bei Höcke wiederholt
nach, korrigierte ihn mehrfach, forderte ihn heraus und hinterließ den
Rechtsextremen ersichtlich gereizt.
Die Berliner Zeitung fühlte sich nach dem Duell dennoch ausgerechnet an Fox
News erinnert, den Sender, den Burgard in seinem Buch auch kritisiert. Und
nicht zu Unrecht. „Immer wieder wurde in Deutschland vor amerikanischen
Zuständen gewarnt, in denen Politiker mit fragwürdigen Thesen regelmäßig
ein Millionenpublikum erreichen, wo Unwahrheiten und billige Polemik
unwidersprochen bleiben“, hieß es. Das weniger überzeugende Fazit der
Zeitung: Womöglich habe Deutschland diesmal eine solche Portion Fox News
gutgetan.
## Welt TV bleibt Nischensender
Welt TV bleibt trotz großer Investitionen noch ein Nischensender, der den
Erfolg der US-Vorbilder von Cable News in Deutschland bislang nicht
wiederholen konnte. Doch zumindest mit Liveduellen scheint er ein
Erfolgsrezept gefunden zu haben. Das Duell mit Höcke und Voigt bescherte
Welt TV das größte Publikum seiner Geschichte: Insgesamt 1,03 Millionen
Zuschauerinnen und Zuschauer schalteten ein.
Es folgte im Oktober die zweite Runde im „Boxring der Demokratie“ – und die
Fortsetzung der Amerikanisierung des deutschen Fernsehens: ein [6][Duell
zwischen BSW-Namensgeberin Sahra Wagenknecht und AfD-Chefin Alice Weidel],
ebenfalls von Burgard moderiert.
Die Hausmarke Bild kündigte es sogar als „TV-Duell extrem“ an und
bezeichneten die zwei Gäste als „die beiden umstrittensten Frauen der
deutschen Politik“, die „sich eine komplette Stunde live … streiten“
würden. So ist es dann auch wenig überraschend gekommen. Bis die beiden
Damen auf Russland zu sprechen kamen, ein Thema, bei dem sie doch einiges
politisch verbindet.
## Politische Schreikämpfe
Am Ende bleibt das Paradox, dass Burgard einerseits um den Untergang seines
Sehnsuchtslandes USA trauert und die Schuld dafür in den Medien und einem
„woken“ Kulturkampf sieht, andererseits aber ebendiesen Kulturkampf von der
anderen Seite zu bespielen versucht.
Und die politischen Schreikämpfe von Fox und Co importieren will, als würde
das zu einer gesellschaftlichen Versöhnung statt einer tieferen
Polarisierung führen. Ebendiese Logik dürfte Burgard nun als Chefredakteur
der ganzen Welt-Gruppe fortführen.
29 Nov 2024
## LINKS
DIR [1] /Amerikanischer-Traum-in-der-Krise/!5137330
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DIR [5] /Schlagabtausch-zwischen-Hoecke-und-Voigt/!6004119
DIR [6] /Politisch-irrelevant/!6039692
## AUTOREN
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