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       # taz.de -- Lob auf die Muse: Das ganze Universum müsste heißen wie Du
       
       > Der Name der Muse ist so alt wie die gierigen Männerhände, die sie
       > versklavten. Bis heute verzweifelt sie nicht, trotz „Handmaid's
       > Tale“-Zuständen.
       
   IMG Bild: Frida Kahlo: „Ich bin meine eigene Muse“
       
       Muse, wir kennen uns nicht persönlich, aber ich möchte dir über all die
       Hate Speech hinweg zurufen, wie sehr ich dich für deine
       Überlebenskalligrafie feiere. Du und ich, wir beide sind uns nach dem
       katastrophalen [1][Trumpack der Wildigga Merzbuben] begegnet, woran du
       dich vermutlich nicht erinnern kannst. Es war düsterste Nacht um uns herum
       und im Inneren der Tra(u)-m(a)bahn ließen ein paar Macker mit zu viel
       Moscow Mule im Blut ihre Mini-Musks spielen. Es war alles nicht sehr schön,
       aber plötzlich vernahm ich einen schillernden Gegenduft, der darauf
       hindeutete, dass du dir hinter mir die Nägel lackiertest. Ich überlegte
       noch, in welcher Himmelsfarbe, da schwebtest du auch schon an mir vorbei
       Richtung Freiheit.
       
       Du warst komplett in Schwarz gekleidet und hieltest ein riesiges Blazing
       Red in den Händen, das ich aber nicht sofort zuordnen konnte. Doch dann
       bremste die Tram ab und in jenem fragilen Moment zwischen Fortschritt und
       Schockstarre schriebst du in quietschenden Schwüngen deine Bedeutsamkeit an
       die verspiegelte Scheibe der Fahrerkabine. M-U-S-E prangte nun dort in
       flammend roten Buchstaben und wird so bald nicht wegzuwischen sein.
       
       Muse, dein Name ist so alt wie die gierigen Männerhände, die bis heute
       deinen Körper versklaven, ihn zurichten und ihn begrapschen. Trotz deiner
       göttlichen Abstammung musstest du Jahrtausende lang vor allem dienen,
       dienen, dienen, bis dich [2][Frida Kahlo] mit ihrem Zaubersatz „I am my own
       Muse“ zumindest ansatzweise aus deiner gebeugten Existenz befreit hat.
       Statt weiterhin als weiblicher Akt auf Künstler-Canapés zu versauern und
       [3][den C. Meyers des Literaturbetriebs] den Rücken mit Weleda-Öl zu
       massieren, konntest du dich nun endlich um dich selbst kümmern, bisschen
       Me-Time und so.
       
       In dieser Zeit hast du aber nicht nur gechillt, du hast auch jede Menge
       großartige, ja ikonische Selfies von dir erschaffen, die der (Kunst-)Welt
       zeigen, wer du bist, wie du fühlst und was du denkst. Nach getaner Arbeit
       bist du dann aber auch mal ins Vabali gegangen. Um dir dort all die
       hinreißenden nackten Männerkörper anzusehen, wie sie sich rekeln und vor
       sich hinglänzen, als ob sie nichts Besseres zu tun hätten.
       
       ## Tapfer von Welle zu Welle
       
       Es dauerte jedoch nicht lange, da hattest du dich an ihrer Brusthaarpracht
       satt gesehen und konzentriertest dich lieber wieder mehr auf dich selbst,
       was ja immer auch mit einer Auslotung der eigenen Seelenlandschaft
       einhergeht. In dieser Phase der Einkehr merktest du schnell, dass die Zeit
       der Fremdherrschaft gigantische Verwüstungen in dir und Deinesgleichen
       angerichtet hatte, die in einem einzigen Musenleben nicht aufzuarbeiten
       sind. Trotzdem tauchtest du tapfer weiter von Welle zu Welle und hast dabei
       in vielen Ländern ja auch eine Verbesserung deiner Situation erreicht –
       wobei du dafür andererseits auch ganz schön oft in die Sauerstoffkammer
       musstest.
       
       Aber jetzt, wo aus Respekt vor deinen vielen Fights eigentlich sämtliche
       Plätze dieses Planeten, ja das gesamte Universum nach dir benannt werden
       müsste, brechen [4][„Handmaid’s Tale“]-artige Zustände über dich herein. Du
       aber verzweifelst nicht, sondern spazierst aus Protest gegen deine
       Unterdrückung in Unterwäsche draußen rum. Nein, du verzweifelst nicht und
       schreibst deinen Namen an die Wand. Immer und immer wieder. Muse!
       
       23 Nov 2024
       
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