URI: 
       # taz.de -- Zukunft der Notunterkunft in Berlin: Teures Tegel als gutes Geschäft
       
       > Während die SPD die Massenunterkunft Tegel schließen will, möchte die CDU
       > an ihr festhalten. Womöglich auch, weil die Messe Berlin gut damit
       > verdient.
       
   IMG Bild: Für das Land Berlin teuer, für Geflüchtete eine Katastrophe: die Massenunterkunft am ehemaligen Flughafen Tegel
       
       Berlin taz | Will Berlin 2.900 Flüchtlinge, die gegenwärtig in Hotels und
       Hostels wohnen, ab Januar in die [1][umstrittene Großunterkunft in Tegel]
       schicken? Das befürchten die Oppositionsparteien Linke und Grüne. Der
       Grund: Sie hatten vorige Woche eine Beschlussvorlage aus dem Haus von
       Sozialsenatorin Cansel Kiziltepe (SPD) in ihren Postfächern, in der es
       darum ging, die Mietverträge für Hotels und Hostels über das Jahresende
       hinaus zu verlängern, die sonst demnächst auslaufen.
       
       Der Hauptausschuss des Abgeordnetenhauses sollte die Verlängerung an diesem
       Mittwoch beschließen. Der Linken-Abgeordneten Elif Eralp zufolge ist das
       Papier allerdings zwei Stunden später offiziell wieder zurückgezogen
       worden, „weil es im Senat noch nicht abgestimmt sei“, wie es hieß.
       
       Die Opposition sieht hier einen Konflikt zwischen der SPD-geführten
       Sozialverwaltung und der Finanzverwaltung von CDU-Senator Stefan Evers:
       Kiziltepe will dem zurückgezogenen Papier zufolge die Notunterbringungen
       „nachhaltig reduzieren und mittelfristig auflösen“.
       
       Der SPD-Abgeordnete Orkan Özdemir sprach im Parlament sogar davon, man
       wolle die „menschenunwürdige, integrationsfeindliche und extrem teure“
       Großunterkunft Tegel so schnell wie möglich verkleinern und mittelfristig
       schließen. Hingegen drückt die CDU auf die Bremse. Immer wieder wird aus
       ihren Reihen gefordert, Tegel im Gegenteil sogar zu vergrößern.
       
       ## Privatsphäre? Fehlanzeige
       
       Nach dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine eröffnete Berlin auf dem
       früheren Flughafen Tegel zuerst ein Registrierungszentrum für
       Ukraine-Flüchtlinge, das mangels anderer Unterbringungsmöglichkeiten nach
       und nach zu einer Großunterkunft wuchs. [2][Die Bedingungen dort sind
       katastrophal.] Zehn bis 14 Personen „wohnen“ in einer Schlafkabine in
       beheizbaren Zelten ohne jede Privatsphäre und ohne die Möglichkeit, ihre
       Habe angemessen unterzubringen.
       
       Die Bewohner können sich selbst kein Essen kochen, sondern bekommen drei
       Mahlzeiten pro Tag. Um ein wenig Selbstbestimmung zu haben, haben etliche
       Flüchtlinge Koch- und Grillplätze unter einer Brücke in der Nähe des
       früheren Flughafens errichtet, was wiederum die Nachbarschaft dort
       kritisiert.
       
       ## Entlastung durch andere Großunterkünfte
       
       Gegenwärtig sind 4.200 Menschen in Tegel untergebracht, davon 3.300 aus der
       Ukraine. In den nächsten Tagen ist mit einer kleinen Entspannung zu
       rechnen, [3][weil ein Hotel in Lichtenberg mit zunächst 800 Plätzen neu
       belegt wird]. Die Unterkunft Tegel böte aber Platz für weitere 2.400
       Menschen, sodass man die 2.900 Menschen, die bereits seit Längerem in
       Hotels und Hostels wohnen, rein rechnerisch unterbringen könnte. Will das
       der Senat? Eindeutige Statements dafür gibt es nicht.
       
       Aus CDU-Kreisen ist lediglich zu hören, dass Berlin die Unterkunft Tegel
       noch benötige, auch über Ende 2025 hinaus. Bis dahin läuft der Vertrag, den
       Berlin dort abgeschlossen hat. Das mit den Hotels und Hostels sei noch
       nicht durchgerechnet, heißt es weiter. Der SPD-Abgeordnete Orkan Özdemir
       wiederum sagt der taz, das gemeinsame Ziel der Koalition sei die dezentrale
       Unterbringung und die Reduzierung der Zahl der Bewohner von Tegel.
       
       Das fordern auch Grüne und Linke. „Der Senat muss zügig eine Exit-Strategie
       für Tegel vorlegen, die aufzeigt, in welchen Schritten die Ausdünnung und
       letztendlich die Schließung erfolgen wird“, sagt der Grünen-Abgeordnete
       Jian Omar der taz. Die wäre nicht nur humaner, sondern auch deutlich
       preiswerter als die Unterbringung in Tegel.
       
       Die Landesregierung hält sich bedeckt mit Informationen, wie hoch die
       Kosten dort sind. Nach Rechnungen der taz auf der Grundlage von
       unvollständigen Unterlagen des Senats kostet die Unterbringung in Tegel pro
       Tag und Person zwischen 260 und 280 Euro. Dafür kann man sogar in einem
       Sternehotel unterkommen. Welche Gründe könnte es geben, dass die CDU trotz
       der hohen Kosten an Tegel festhält?
       
       ## Die Messe Berlin streicht Provision ein
       
       Hierzu konnte die taz mit einem Insider sprechen, der namentlich nicht
       genannt werden will. Seine These: Das Flüchtlingslager bringe der Messe
       Berlin und dem DRK viel Geld ein und trage dazu bei, sie vor roten Zahlen
       zu bewahren.
       
       Die Messe ist nach eigenen Angaben vom Landesamt für
       Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) in Tegel mit Planung,
       Bauerrichtungsmaßnahmen, Facility-Management und
       Sicherheitsdienstleistungen beauftragt. Die Security stellt sie allerdings
       nicht selbst, sondern beauftragt damit die Firma Teamflex Solutions GmbH,
       die wiederum etliche Subunternehmer beschäftigt. Bei Polizeikontrollen gab
       es zahlreiche Beanstandungen.
       
       Dem Insider zufolge soll die Messe allerdings nicht das gesamte Geld, das
       das LAF ihr für die Sicherheitsdienstleistungen zahlt, auch weiterreichen,
       sondern 15 Prozent als Provision einbehalten. Der Mann will auch wissen,
       warum Berlin sich so ein teures Geschäft leistet: „Die Messe ist ein
       landeseigenes Unternehmen. Die Einnahmen aus ihrem Kerngeschäft gehen
       zurück. Berlin darf sie aber wegen der EU-Gesetzgebung nicht direkt
       bezuschussen, um sie am Laufen zu halten. Darum der Umweg über die Miete
       und Sicherheitsaufträge für Tegel.“
       
       Weder das LAF noch die Messe wollen sich zu der Sache mit den 15 Prozent
       auf taz-Nachfrage äußern. Sie berufen sich auf vertrauliche Verträge.
       
       Wer in den [4][aktuellen Geschäftsbericht der Messe] schaut, kann klar
       erkennen, dass deren Umsatzerlöse aus ihrem Kerngeschäft wie Messen und
       Veranstaltungen rückläufig sind, während die „sonstigen Umsatzerlöse“
       steigen. 2023 waren das 136 Millionen Euro, gut ein Drittel der
       Gesamtumsätze. „Das lässt sich vor allem auf unser Engagement am
       Ankunftszentrum für Geflüchtete in Tegel zurückführen“, heißt es im
       Geschäftsbericht.
       
       Glaubt man dem Spiegel, dann zahlt das Land Berlin allein 90 Millionen Euro
       für Miete und Reinigung von insgesamt 45 Großzelten. Das macht pro
       Quadratmeter Zelt 200 Euro Miete ohne Strom, Heizung und Wasser, aber mit
       Reinigung.
       
       Jian Omar von den Grünen kritisiert, dass die „Profiteure“ in Tegel auf
       Kosten der dort untergebrachten Geflüchteten hohe Gewinne machen. Bei der
       Messe spricht er von einer „Hintertür-Finanzierung des landeseigenen
       Unternehmens, was rechtlich eigentlich nicht erlaubt ist“. Der Senat müsse,
       so Omar, „mehr Transparenz über die Verträge und den Betrieb von Tegel
       schaffen. Unsere parlamentarische Kontrolle wird in Tegel permanent
       verhindert.“ Er habe bereits vor zwei Monaten Akteneinsicht über alle
       Verträge beantragt, warte aber bis heute auf eine Antwort.
       
       12 Nov 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Bundesweit-groesste-Gefluechtetenunterkunft/!6018899
   DIR [2] /Gewalt-im-Ankunftszentrum-Tegel/!6024533
   DIR [3] /Gefluechtetenunterkunft-in-Lichtenberg/!6042885
   DIR [4] https://messe-berlinprod-media.e-spirit.cloud/e2026709-d681-4621-89e6-fa8d2bfbdbca/messe-berlin/downloads-alle-sprachen/unternehmen/geschaeftsbericht/messe-berlin-geschaeftsbericht-2023.pdf
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Marina Mai
       
       ## TAGS
       
   DIR Schwerpunkt Flucht
   DIR Schwarz-rote Koalition in Berlin 
   DIR Unterbringung von Geflüchteten
   DIR Flughafen Tegel
   DIR Schwerpunkt Flucht
   DIR Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF)
   DIR Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF)
   DIR Geflüchtete
   DIR Schwerpunkt Rassismus
   DIR Flughafen Tegel
   DIR Schwerpunkt Stadtland
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Flüchtlingspolitik in Berlin: Tegel wird kleiner, aber wichtiger
       
       In Tegel wird das neue Ankunftszentrum entstehen, nach den Regeln der EU.
       Flüchtlinge ohne „Bleibeperspektive“ könnten dort sogar interniert werden.
       
   DIR Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten: Das LAF braucht mal wieder einen Chef
       
       Noch-Präsident Mark Seibert wurde im Bewerbungsverfahren demontiert. Das
       könnte politische Gründe haben, ein CDU-Freund ist er sichtlich nicht.
       
   DIR Flüchtlingsunterkunft Berlin-Tegel: Sparen an den Mitarbeitern
       
       In Berlins größter Notunterkunft verliert ein Viertel der Mitarbeiter den
       Job. Nun dürfen sie sich erneut bewerben – aber zu schlechteren
       Bedingungen.
       
   DIR Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten: Zimmer gefunden? Sorry, Sie müssen im Wohnheim bleiben
       
       Das LAF hat keine Kapazitäten mehr, um von Flüchtlingen selbst gefundene
       Untermietverhältnisse zu prüfen. Flüchtlingsrat fordert eine rasche Lösung.
       
   DIR Geflüchtetenunterkunft in Lichtenberg: Die Erzählung vom Luxushotel
       
       Die Geflüchtetenunterkunft im Hotel City East in Lichtenberg hat ihren
       Betrieb aufgenommen. Statt Luxus ist hier nur Mindestaustattung zu finden.
       
   DIR Geflüchtetenunterkunft in Lichtenberg: Zuflucht im Leerstand
       
       Das City Hotel Berlin East an der Landsberger Allee wird ab November zur
       Geflüchtetenunterkunft. In der Nachbarschaft herrscht Unmut darüber.
       
   DIR Straßenfest für Geflüchtete: Borschtsch und Diskokugel
       
       Die Bedingungen in der Tegeler Geflüchtetenunterkunft sind kaum
       menschenwürdig. Bei einem Fest am Freitag gab es zumindest einen Moment zu
       Aufatmen.
       
   DIR Bundesweit größte Geflüchtetenunterkunft: So kann man hier nicht leben
       
       Im früheren Berliner Flughafen Tegel ist Deutschlands größte
       Geflüchtetenunterkunft eingerichtet. Die Zustände in der Massenbleibe sind
       abschreckend.