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       # taz.de -- AfD schlecht aufgestellt für Neuwahlen: Überfordert und überrumpelt
       
       > Erst hat die AfD das Ende der Ampel gefordert, jetzt ist sie von
       > vorgezogenen Neuwahlen überfordert. Vor allem in NRW und Bayern gibt es
       > Probleme.
       
   IMG Bild: Die Neuwahlen treffen die AfD weitgehend unvorbereitet: 10 Landesverbände haben noch keine Listen für die Bundestagswahl gewählt
       
       Berlin taz | Wer die Parteichefin und designierte Spitzenkandidatin der
       AfD, Alice Weidel, auf den [1][umstrittenen Wahltermin für Neuwahlen]
       anspricht, bekommt einen ihrer kalkulierten Wutausbrüche zu hören.
       
       Sie ruft dann etwas wie: „Die Vertrauensfrage des Bundeskanzlers erst am
       15. Januar zu stellen, ist unverantwortlich!“ Scholz müsse den Weg für
       Neuwahlen sofort freimachen. So jedenfalls schimpfte Weidel nach der
       Sonderfraktionssitzung der AfD letzte Woche im Bundestag [2][nach dem
       Koalitionsbruch]. Tenor: Die AfD sei allzeit für Neuwahlen bereit. Weidel
       sagte: „Wir waren als Partei auf dieses Szenario natürlich vorbereitet. Wir
       werden den Zeitstrahl straffen und den Bundesparteitag nach vorne ziehen.
       Das ist problemlos möglich.“
       
       Doch stimmt das? Tatsächlich gibt es in der [3][autoritär-nationalradikalen
       Partei] viele, die von den vorgezogenen Neuwahlen komplett überrumpelt
       sind. Eigentlich war ein Bundesparteitag für Ende März im sächsischen Riesa
       geplant, dort sollte Weidel als Spitzenkandidatin bestätigt werden. Die
       Vorverlegung der Wahl [4][vermutlich auf den 23. Februar] stellt die Partei
       nun vor große organisatorische Probleme – zumal die extrem rechte Partei es
       schwer hat, Veranstaltungsorte zu finden. Derzeit hofft die Bundesspitze,
       einen Parteitag irgendwann im Januar irgendwo in Ostdeutschland auf die
       Beine zu stellen. Zuletzt wurde das Wochenende am 25. und 26. Januar
       gehandelt, fest sind Termin und Ort jedoch noch nicht.
       
       Das Problem zieht sich durch bis in die Kreisverbände: Die AfD ist
       unvorbereitet – obwohl sie seit Monaten Neuwahlen fordert. In vielen Kreis-
       und Landesverbänden sind noch nicht einmal Delegierte gewählt, heißt es aus
       Parteikreisen – geschweige denn, dass überall Termine für die
       Listenparteitage stehen würden.
       
       ## Es fehlen Listen und Termine
       
       Mindestens 10 Bundesländer haben noch keine Listen für die Bundestagswahl
       gewählt. Aus Parteikreisen heißt es: „Auch wenn die Kommunikation nach
       außen eindeutig ist: Intern ist man noch nicht bereit.“ Erschwerend hinzu
       kommt, dass die Mandate bei der AfD traditionell hart umkämpft sind und die
       extrem rechte Partei auch für ihre Mitglieder bei Machtkämpfen eine
       Schlangengrube ist.
       
       Einige Landesverbände haben noch nicht einmal Termine für die
       Listenaufstellung. In mitgliederstarken Bayern (knapp 7.000) etwa braucht
       es nun schnell einen riesigen Mitgliederparteitag, um eine Liste zu wählen
       – bei den bekannten Schwierigkeiten der Partei, Räume und Hallen zu
       bekommen. Einen Termin will die AfD Bayern auf taz-Anfrage noch nicht
       verraten. Ähnlich ist es in Niedersachsen, wo man einen für Ende Januar
       geplanten Delegierten-Parteitag nun vorverlegen muss.
       
       Das größte Sorgenkind für die AfD ist derzeit jedoch der Landesverband
       Nordrhein-Westfalen. Auch hier braucht es kurzfristig einen neuen Termin
       für einen Delegiertenparteitag mit 500 Mitgliedern, der eigentlich für März
       geplant war.
       
       Erschwerend hinzu kommen hier Grabenkämpfe verfeindeter Lager: Ein Konflikt
       um den ehemaligen stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden im Landtag, Klaus
       Esser, könnte dort im für die AfD schlimmsten Fall sogar die Aufstellung
       für die Bundestagswahl gefährden, wie in Parteikreisen befürchtet wird.
       Gegen den ehemaligen Landesvize Esser läuft derzeit ein
       Parteiausschlussverfahren [5][aus mehreren Gründen]. Denn der soll nicht
       nur [6][bei seinem Lebenslauf geschummelt haben], sondern auch bei der
       Mitgliederaufnahme in seinem Kreisverband Düren betrogen haben, wie
       [7][Medien berichteten].
       
       Laut einem der taz vorliegenden Schreiben des Landesvorstands an den
       Bundesvorstand kam es „vermutlich in bislang mindestens 8 bekannten Fällen“
       zu Unregelmäßigkeiten: Neumitglieder in Düren hätten sich unter
       Scheinadressen angemeldet. Unterschrieben waren die Anträge jeweils vom
       Kreisvorsitzenden Klaus Esser.
       
       Ein paar Mitglieder mehr können durchaus große Auswirkungen haben: Die
       Anzahl der Mitglieder bestimmen wiederum darüber, wie viele
       stimmberechtigte Delegierte ein Kreisverband zum Landesparteitag schickt.
       Stimmt etwas mit dem Verhältnis nicht oder es werden Unregelmäßigkeiten
       bekannt, kann eine Liste für die Bundestagswahl unter Umständen anfechtbar
       sein – vor allem, wenn in der AfD übliche Kampfkandidaturen sehr knapp
       ausgehen und es auf wenige Stimmen ankommt.
       
       Während der Landesverband betont, alles im Griff zu haben, ist man im
       Bundesvorstand durchaus alarmiert über den als lapidar empfundenen Umgang.
       Aus Parteikreisen ist zudem die Befürchtung zu hören, dass durch die
       Unregelmäßigkeiten bei der Mitgliederaufnahme sogar die ganze Landesliste
       aus Nordrhein-Westfalen für die Bundestagswahl 2025 wackeln könnte.
       
       Das wäre nicht nur für den Landesverband, sondern für die Gesamtpartei eine
       Katastrophe – ist der Nordrhein-Westfalen doch der mitgliederstärkste
       Landesverband. Sollte die AfD hier nicht antreten können, könnten der
       Partei bei der Bundestagswahl bis zu 6 Prozentpunkte fehlen.
       
       ## Landeswahlleiterin hat Fragen
       
       Auch die Landeswahlleiterin in Nordrhein-Westfalen interessiert sich
       bereits für das Thema: Der taz liegt eine Mail vor, adressiert an den
       Landesvorsitzenden Martin Vincentz. In dieser fordert die
       Landeswahlleiterin vom AfD-Vorstand eine „Stellungnahme zu den Vorwürfen
       der Unregelmäßigkeiten im Zusammenhang mit dem Aufstellungsversammlungen
       ihrer Partei“ bis zum 15. November.
       
       Vincentz Sprecher Kris Schnappertz betont, dass die Behauptungen die
       Listenaufstellung sei in Gefahr, „bösartige Falschmeldungen“ seien. Die
       Vorwürfe seien lanciert von Mitgliedern, die um ihre Aufstellung fürchten
       und nun mit Dreck werfen, so Schnappertz. Die Mitgliedschaften der unter
       falschen Angaben aufgenommenen Mitglieder – laut Schnappertz 12 Personen –
       seien bereits aufgehoben worden. Der Landesvorstand sei sicher, dass er
       eine rechtssichere Liste aufstellen werde, heißt es. Das werde man auch der
       Landeswahlleiterin antworten.
       
       Gegen den Landtagsabgeordneten Esser laufe ein Parteiausschlussverfahren,
       das beim Schiedsgericht liege. Bis auf weiteres bleibe Esser jedoch Teil
       der Landtagsfraktion. Auch den möglichen Einfluss eingeschleuster
       Mitglieder auf die Aufstellungsversammlung spielt Schnappertz herunter: „Im
       Extremfall hätte der Kreisverband Düren durch falsche Aufnahmen 2
       Delegierte mehr und der Kreisverband Euskirchen 2 Delegierte weniger. Mit
       einem Unterschied von 4 Stimmen kann niemand seine Machtbasis vergrößern –
       das ist lächerlich“, so Schnappertz.
       
       Schnappertz vermutet hinter dem gesamten Vorgang eine Intrige des Lagers um
       [8][den fraktionslosen AfD-Abgeordneten Matthias Helferich]. Der hatte sich
       positiv auf den [9][berüchtigten NS-Richter Roland Freisler bezogen] und
       sich selbst als das „freundliche Gesicht des NS“ bezeichnet, wurde danach
       nicht in die Bundestagsfraktion aufgenommen. Auch weil er enge Verbindungen
       zu Identitären und Dortmunder Neonazis haben soll, wäre der Landesvorstand
       ihn gerne los. Der Vorstand um Vincentz setzt auf Verharmlosung der AfD als
       liberal-konservativ und will nicht wie Helferich offen rechtsradikal
       auftreten. Derzeit läuft auch ein Parteiausschlussverfahren gegen
       Helferich.
       
       ## Zehn Landesverbände sind noch ohne Liste
       
       Helferich will jedoch unverdrossen wieder in den Bundestag einziehen und
       hat durchaus Rückhalt im Landesverband, zuletzt wurde er auch als Beisitzer
       in den Landesvorstand gewählt – bevor er mit disziplinarischen Mitteln
       wieder aus dem Amt entfernt wurde. Helferich übt sich derweil in
       öffentlichen Kampfansagen: „Auch, wenn Vincentz tobt: Natürlich werde ich
       wieder kandidieren.“
       
       Wann genau der Landesverband Nordrhein-Westfalen nun aber seine Landesliste
       aufstellt, bleibt unklar. Schnappertz sagt: „definitiv zwischen Mitte
       Dezember und Mitte Januar“. In Parteikreisen wird derzeit gar ein Termin
       zwischen den Jahren gehandelt. Klar ist nur: die Liste wird heiß umkämpft
       sein – möglicherweise auch juristisch.
       
       Nordrhein-Westfalen, Bayern und Niedersachsen sind nicht die einzigen
       Landesverbände, die noch keine Liste aufgestellt haben. Auch in
       Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Rheinland-Pfalz,
       Sachsen, Hamburg und Thüringen muss die AfD noch eine rechtssichere Liste
       wählen, wie aus der Partei zu hören ist. Aus Bremen kam keine Rückmeldung.
       Lediglich fünf Länder haben ihre Landesliste bereits aufgestellt:
       Baden-Württemberg, Berlin, Hessen, Saarland und Sachsen-Anhalt.
       
       Und auch wenn die AfD noch keine Agentur für ihren Wahlkampf hat, ist die
       inhaltliche Stoßrichtung bereits weitgehend vorgezeichnet: Die AfD wird
       weiter rassistische Kampagnen auf den Rücken Geflüchteter fahren – und will
       damit vor allem die Union unter Druck setzen. Am Dienstag schimpfte Weidel
       im Bundestag lauthals über Merz und die CDU, weil diese auch nach dem
       Ampel-Aus an der Brandmauer festhält und im Bundestag keine asylpolitischen
       Anträge zusammen mit der AfD durchbringen will: „Der nächste Messermord
       geht auf das Ticket der Union“, rief Weidel. Zuvor hatte sie erneut
       gefordert, die Vertrauensfrage auf diese Woche und den Wahltermin in den
       Januar vorzuziehen.
       
       12 Nov 2024
       
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