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       # taz.de -- Nach dem Anschlag in Brasilien: Tat eines „geistig Verwirrten“?
       
       > Der früher in der Partei des rechten Ex-Präsidenten Bolsonaro aktive
       > Attentäter soll alleine gehandelt haben. Doch die Rhetorik der Rechten
       > könnte ihn inspiriert haben.
       
   IMG Bild: Er rief seine Anhänger immer wieder zum Protest auf: Brasiliens Alt-Staatschef Jair Bolsonaro
       
       Berlin taz | Auf dem Video der Überwachungskamera ist ein Platz zu sehen,
       es regnet. Ein Mann nähert sich mit einem Regenschirm. Er legt den Schirm
       ab und stellt seinen Rucksack auf den Boden. Als sich ein Wachmann nähert,
       wirft der Mann einen Sprengsatz in Richtung einer Statue, anschließend in
       Richtung eines Gebäudes. Weitere Sicherheitskräfte eilen herbei. Der Mann
       legt sich auf den Boden. Kurz darauf folgt eine Explosion.
       
       Das Video wurde am Mittwochabend in Brasília, der Hauptstadt Brasiliens,
       vor dem Obersten Gerichtshof aufgenommen. Richter*innen und
       Mitarbeiter*innen wurden unmittelbar nach den Explosionen in
       Sicherheit gebracht. Der Mann starb am Tatort, sonst wurde niemand
       verletzt.
       
       Bei dem Täter handelt es sich um den 59 Jahre alten Francisco Wanderley
       Luiz, einen Schlüsselmacher aus dem Süden des Landes. Er war Lokalpolitiker
       der Partido Liberal, der Partei des ehemaligen Präsidenten Jair Bolsonaro.
       2020 war er erfolglos für die rechte Partei bei den Kommunalwahlen
       angetreten.
       
       Medienberichten zufolge war Luiz zum Zeitpunkt des Anschlags als die
       Comic-Figur Joker verkleidet. Kurz zuvor war es bereits zu Explosionen in
       einem Auto gekommen, das in der Nähe der Abgeordnetenkammer geparkt war.
       Rund um den Platz befinden sich neben dem Obersten Gerichtshof auch der
       Präsidentenpalast und das Parlamentsgebäude. Die Bundespolizei stufte die
       Explosionen rasch als Terroranschlag ein. In sozialen Medien hatte
       Wanderley Drohungen verfasst und den Angriff auf das „Haus der Kommunisten“
       angekündigt. Die Ex-Frau des Attentäters erklärte gegenüber
       Journalist*innen, Wanderley habe geplant, Verfassungsrichter Alexandre de
       Moraes zu töten.
       
       ## Täter hat wahrscheinlich alleine gehandelt
       
       Bolsonaro verurteilte die Tat und bezeichnete sie als den Akt eines
       „geistig Verwirrten.“ Allerdings: Der Ex-Präsident ruft regelmäßig zum
       Widerstand gegen den Obersten Gerichtshof und zu Gewalt gegen politische
       Gegner auf. Während seiner Amtszeit wurde das Gericht zunehmend Ziel
       rechter Kräfte. Besonders Richter Alexandre de Moraes wurde durch seine
       Urteile zur Feindfigur der Bolsonaro-Anhänger*innen, die ihn bis heute für
       Bolsonaros Abwahl verantwortlich machen.
       
       Moraes erklärte, der Täter habe wahrscheinlich allein gehandelt. Jedoch sei
       der Anschlag das Ergebnis einer Rhetorik, die auf die
       Bolsonaro-Regierungszeit zurückgehe. Der Chef der Bundespolizei, Andrei
       Rodrigues, erklärte, „extremistische Gruppen“ seien weiterhin aktiv in
       Brasilien. Der Vorfall sei kein Einzelfall, stehe in Zusammenhang „mit
       weiteren Aktionen“.
       
       Kurz nach dem Regierungswechsel hatten Bolsonaro-Anhänger*innen am 8.
       Januar 2022 [1][das Regierungsviertel und den Gerichtshof gestürmt]. Die
       brasilianischen Behörden reagierten mit einer harten Strafverfolgung, die
       zu zahlreichen Verhaftungen führte, unter anderem wegen Beteiligung an
       einem versuchten Staatsstreich. Ursprünglich hatte das Bolsonaro-Lager
       geplant, Amnestien für die Beteiligten auszuhandeln. In den kommenden
       Wochen sollte dazu eine entsprechende Gesetzesinitiative im
       Abgeordnetenhaus diskutiert werden. Nach dem Anschlag dürfte dieses
       Vorhaben jedoch gescheitert sein.
       
       ## Rechtsradikale in Brasilien weiter aktiv
       
       In der Öffentlichkeit blieb es in diesem Jahr lange Zeit ruhig um die
       bolsonaristische Bewegung, auch weil ihre führende Figur entmachtet worden
       war. Bolsonaro wurde gerichtlich verurteilt und [2][darf bis 2030 nicht
       mehr an Wahlen teilnehmen]. In sozialen Medien organisieren sich
       Rechtsradikale jedoch weiterhin. Zahlreiche außerparlamentarische Gruppen
       sind aktiv, und Falschmeldungen sowie direkte Gewaltaufrufe kursieren
       massenhaft.
       
       Bei den landesweiten Kommunalwahlen zeigte die Bewegung zuletzt ihre
       politische Stärke und [3][brachte neue Akteure hervor]. Es ist zu erwarten,
       dass ein Kandidat aus dem Bolsonaro-Lager in zwei Jahren bei der
       Präsidentschaftswahl gute Chancen haben wird. Zudem könnte die Wahl von
       Donald Trump, einem engen Verbündeten Bolsonaros, weiteren Auftrieb geben.
       Ob Bolsonaro selbst noch einmal in der institutionellen Politik mitwirken
       wird, ist unklar. Doch der Bolsonarismus bleibt, wie der Vorfall am
       Mittwoch zeigte, lebendig.
       
       15 Nov 2024
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Niklas Franzen
       
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