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       # taz.de -- UN-Klimakonferenz in Baku: Auf Du und Du mit dem UN-Kohlenstoffmarkt
       
       > Die Delegierten auf dem Weltklimagipfel nicken Standards für
       > CO₂-Kompensationszertifikate ab. Ist das ein Durchbruch? 7 Fragen und 7
       > Antworten.
       
   IMG Bild: Kiefern binden nicht nur CO2, sie können auch Dürren besser aushalten als viele andere Arten
       
       Was sind Kohlenstoffmärkte? 
       
       Im [1][Pariser Klimaabkommen] haben sich die Regierungen der
       Mitgliedstaaten darauf geeinigt, einen Markt zu schaffen, auf dem
       CO₂-Kompensationszertifikate gehandelt werden: den UN-Kohlenstoffmarkt. Ein
       Zertifikat dort entspricht einer Tonne des Klimagases, die gar nicht erst
       ausgestoßen oder auch wieder der Atmosphäre entzogen wurde.
       
       Letzteres lässt sich etwa durch das Pflanzen von Bäumen oder die
       [2][Wiedervernässung von Mooren] machen. Vermieden wird CO₂-Ausstoß zum
       Beispiel, indem Windparks Strom produzieren, der dann nicht aus Kohle-, Öl-
       oder Gaskraftwerken stammen muss. Nicht zu verwechseln ist dieser
       UN-Kohlenstoffmarkt zum Beispiel mit dem Europäischen Emissionshandel, in
       dem Unternehmen aus der Energiebranche und der Industrie
       Emissionszertifikate kaufen müssen, wenn sie CO₂ ausstoßen.
       
       Wer kauft und verkauft diese Kompensationszertifikate? 
       
       Verkauft werden die Zertifikate von den Betreiber*innen der Windparks
       oder den Wald- und Moorbesitzer*innen. Mit den Erlösen können sie ihre
       Klimaschutzprojekte bezahlen. Kaufen kann die Zertifikate im Prinzip
       jede*r.
       
       Staaten zum Beispiel könnten für Klimaschutzprojekte etwa in Nigeria
       bezahlen, dafür Kohlenstoffzertifikate erhalten und die auf ihre Klimaziele
       anrechnen.
       
       Unternehmen sind interessiert an Kohlenstoffzertifikaten, weil sie damit
       ihre Klimabilanz verbessern und sich zum Beispiel als „klimaneutral“
       präsentieren wollen. Die [3][Herstellung von Zement zum Beispiel ist
       bislang nicht möglich, ohne CO₂ auszustoßen]. Um selbst klimaneutral zu
       sein, muss ein Zementwerk dafür sorgen, dass irgendwo anders CO₂ eingespart
       wird.
       
       Durch den Handel mit den Zertifikaten soll effizient Geld in
       Klimaschutzprojekte fließen, die sonst vielleicht nicht finanziert werden
       könnten.
       
       Aber Unternehmen kaufen doch schon Zertifikate und bezeichnen sich als
       klimaneutral? 
       
       Ja, aber das passiert auf unregulierten Märkten. Die sind während der
       Pandemie stark gewachsen, viele Unternehmen wollten ihre Klimabilanzen
       verbessern und haben bereits Kompensationszertifikate gekauft. Nur haben
       sich sehr viele davon als wertlos herausgestellt. Zum Beispiel hat eine
       Recherche von Journalist*innen von Guardian, Zeit und
       [4][SourceMaterial] festgestellt, [5][dass 90 Prozent der von der
       weltgrößten Zertifizierungsstelle Verra überprüften Zertifikate für den
       Schutz des Regenwaldes nicht gedeckt] sind. Verra hatte zum Beispiel
       Kompensationszertifikate für Disney, Shell und Gucci kontrolliert. Ähnlich
       verhält es sich mit Zertifikaten, mit denen Mineralölkonzerne ihre
       Klimabilanz verbessern konnten, wenn sie in ihrer Lieferkette CO₂
       einsparen. Das ZDF hatte Hinweise erhalten, dass einige chinesische
       Klimaschutzprojekte wohl nicht so viel Klimagas einsparen wie von den
       Mineralölkonzernen angegeben. Das Bundesumweltministerium hat deshalb im
       Sommer einen Antragsstopp für diese Zertifikate verhängt.
       
       Wegen zahlreicher vergleichbarer Skandale haben freiwillige Märkte in den
       vergangenen Jahren für Unternehmen stark an Attraktivität verloren. Damit
       der UN-Kohlenstoffmarkt tatsächlich für Klimaschutz sorgt, soll er von
       einem UN-Aufsichtsgremium überwacht werden. Dieses Gremium gibt es bereits.
       Es besteht aus zwölf Personen und arbeitet derzeit die Regeln für den
       UN-Kohlenstoffmarkt aus.
       
       Warum dauert das so lang? Das Pariser Klimaabkommen wurde doch schon 2015
       unterzeichnet. 
       
       Wenn mit Kohlenstoffmärkten wirklich das Klima geschützt werden soll,
       müssen strenge Regeln gelten. Sonst könnte zum Beispiel ein Gasunternehmen
       Kompensationszertifikate verkaufen, wenn es ein Gasfeld nicht anzapft,
       obwohl es dort aus anderen Gründen sowieso niemals fördern wollte. Oder ein
       Waldbesitzer verkauft ein und dieselbe CO₂-Ersparnis an verschiedene
       Unternehmen, sodass die eingesparten Tonnen mehrfach gezählt werden, ohne
       dass sich die Erde tatsächlich weniger stark erhitzt.
       
       Außerdem fordern viele Entwicklungsländer, dass die Regeln des
       UN-Kohlenstoffmarktes auch dafür garantieren müssen, dass bei den Projekten
       [6][keine Menschenrechte verletzt wurden, weil zum Beispiel Indigene von
       ihrem Land vertrieben wurden, um dort ein Aufforstungsprojekt] zu starten.
       Es gibt aber immer wieder Streit über all diese Themen. So konnten die
       Unterzeichner des Paris-Abkommens noch keine Regeln und Standards für den
       Kohlenstoffmarkt vereinbaren.
       
       Worauf haben sich die Verhandler*innen auf der Weltklimakonferenz in
       Baku denn jetzt geeinigt? 
       
       Die Delegierten haben Regeln und Standards dafür abgenickt, welche Projekte
       im UN-Kohlenstoffmarkt Zertifikate verkaufen dürfen. Vorgelegt hatte sie
       das UN-Aufsichtsgremium. Dieses legte zum Beispiel fest, dass die Projekte
       ihre vermiedenen CO₂-Emissionen konservativ schätzen und transparent mit
       ihren Daten und Annahmen umgehen müssen. Zusätzlich sollen
       Menschenrechtsverletzungen und das mehrfache Zählen von vermiedenen
       CO₂-Emissionen verhindert werden.
       
       Und was ist das Problem? 
       
       Normalerweise schlägt das Gremium diese Regeln und Standards den
       Delegierten nur vor. Dann debattieren die Verhandler*innen der Länder
       darüber, ob sie dem Gremium erlauben oder untersagen, sie umzusetzen. In
       den vergangenen Jahren haben sich die Verhandler*innen nicht einigen
       können und die Vorschläge abgelehnt. Diesmal hat das Aufsichtsgremium
       einfach schon im Vorfeld der UN-Klimakonferenz entschieden – und die
       Delegierten haben nicht widersprochen. „Das hat Ländern und
       Beobachter*innen Zeit genommen, die Vorschläge anzuschauen und zu
       diskutieren“, kritisiert Isa Mulder von der NGO Carbon Market Watch. So
       werde das Vertrauen in die Verhandlungsprozesse untergraben.
       
       In den verabschiedeten Regeln bleiben zudem einige Punkte weiter unklar.
       Zum Beispiel wird nicht bestimmt, was passiert, [7][wenn zum Beispiel ein
       Wald abbrennt,] für den Kompensationszertifikate verkauft wurden. Das dort
       gebundene CO₂ ist dann schließlich wieder in der Atmosphäre. Ebenso wenig
       wurde definiert, ab wann die Entnahme von Treibhausgasen als dauerhaft
       gilt. Je nach Interpretation könnten Projektentwickler für gespeichertes
       CO₂, das in 30 Jahren wieder austritt, Zertifikate erhalten. NGOs
       kritisieren, dass [8][sehr riskante Technologien wie Geo-Engineering] nicht
       ausdrücklich ausgeschlossen wurden.
       
       Wie geht es jetzt weiter? 
       
       Es gibt noch keine Vereinbarung, wann oder wie die Kohlenstoffmärkte
       eingerichtet werden, auch wenn es jetzt grobe Regeln gibt. Zuerst müsste
       ein zentrales Register für die Emissionsreduktionen geschaffen werden.
       Dorthin könnten die Projektentwickler das jeweils von ihnen eingesparte CO₂
       melden, um dann von den UN anerkannte Zertifikate ausgeben zu dürfen. Bis
       es dieses Register gibt, wird es mindestens zwei Jahre dauern.
       
       17 Nov 2024
       
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