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       # taz.de -- Preis des Jüdischen Museums Berlin: Zwei Frauen, die ihr Leben der Bildung widmen
       
       > Margot Friedländer und Delphine Horvilleur wurden geehrt. Sie erhielten
       > den Preis für Verständigung und Toleranz des Jüdischen Museums Berlin.
       
   IMG Bild: Delphine Horvilleur und Margot Friedländer am Samstagabend im Jüdischen Museum Berlin
       
       Margot Friedländer braucht einmal mehr nicht viele Worte. Mit leiser Stimme
       spricht sie ins Mikrofon, ihre Präsenz überstrahlt fast ihre Sätze. 103
       Jahre ist [1][die jüdische Holocaustüberlebende] gerade geworden, im
       Glashof des Jüdischen Museums Berlin (JMB) steht die kleine, schmale Frau
       in einem schwarzen Glitzerkleid hinter dem Rednerpult und wiederholt das,
       was sie den jüngeren Generationen im Land der Täter immer wieder sagt. Die
       Vergangenheit könne man nicht ändern, „es darf nur nie wieder passieren.
       Wir alle sind aufgefordert, uns für Toleranz einzusetzen, jeden Tag.“ Ihre
       Maxime ist ganz einfach: „Seid Menschen“, verhaltet euch menschlich.
       
       Margot Friedländer erhält am Samstagabend den Preis für Verständigung und
       Toleranz, den das JMB jährlich vergibt; neben ihr wird auch [2][der
       französischen Rabbinerin und Autorin Delphine Horvilleur] diese
       Auszeichnung zuteil. Rund 300 geladene Gäste sind gekommen, darunter
       Unterstützer:innen des JMB, Politiker:innen, Künstler:innen.
       
       Es sind zwei mehr als würdige Preisträgerinnen; beide leben die Werte, für
       die diese Auszeichnung steht. [3][Margot Friedländer], als Margot Bentheim
       geboren nur wenige Meter entfernt vom Jüdischen Museum in der Lindenstraße
       in Berlin-Kreuzberg, verlor Eltern und Bruder im Holocaust, überlebte das
       KZ Theresienstadt, lebte lange in New York und kehrte erst 2010 nach
       Deutschland und Berlin zurück. Sie ist das personifizierte „Nie wieder“,
       unermüdlich spricht und liest sie in Schulen und öffentlichen
       Einrichtungen, erzählt von ihren Erfahrungen und will ihre Zeitzeugenschaft
       weitergeben.
       
       Delphine Horvilleur, 50 Jahre alt, Rabbinerin des progressiven Judentums in
       Frankreich (Mouvement juif libéral de France), zeigt [4][in ihrem jüngsten
       Buch „Wie geht’s?“] Kontinuitäten des Antisemitismus auf, reflektiert über
       die Möglichkeit eines Dialogs nach dem 7. Oktober, hat sich auch mit der
       Einsamkeit der Juden und dem fehlenden Schutz für sie nach dieser Zäsur
       auseinandergesetzt. Laudator Baron Eric de Rothschild bezeichnet sie als
       unvergleichliche „jüdische Universalistin“.
       
       ## Bestürzende neue Realitäten
       
       Hetty Berg, Direktorin des Jüdischen Museums Berlin, betont in ihrer
       einleitenden Rede, sie freue sich sehr, „dass zwei Frauen ausgezeichnet
       werden, die ihr ganzes Leben in den Dienst der Bildung gestellt haben“.
       Berg spricht von „bestürzenden neuen Realitäten“, denen wir uns stellen
       müssten, sie beklagt den wachsenden alltäglichen Antisemitismus (und 5.164
       antisemitische Straftaten im vergangenen Jahr), aber auch Desinformation im
       Netz und den Aufstieg der AfD (ohne die Partei zu nennen). Eine gewaltige
       Bildungsanstrengung sei nötig, um all dem entgegenzuwirken.
       
       Delphine Horvilleur hebt in ihrer Dankesrede auf die Ursachen des
       Antisemitismus ab, sie sagt, er sei „immer ein Symptom eines größeren
       gesellschaftspolitischen Elends“ und gehe mit „kollektiver
       Verantwortungslosigkeit“ einher. Wenn eine Gruppe nicht in der Lage sei,
       Verantwortung für etwas zu übernehmen, richte sie sich am Ende oft gegen
       Jüdinnen und Juden. Oft teilten genau jene Menschen antisemitisches
       Gedankengut, die fest davon überzeugt seien, „auf der richtigen Seite der
       Geschichte zu stehen“. Horvilleur zählt all die widersprüchlichen Dinge
       auf, derer Jüdinnen und Juden bezichtigt werden. Sie erhält lang anhaltende
       Standing Ovations.
       
       Für Margot Friedländer hält Ex-Bundespräsident Joachim Gauck die Laudatio,
       er singt ein Loblied auf den Humanismus Friedländers, „eines Menschen, der
       auch ganz anders sprechen könnte, der voller Zorn und Verachtung“ sein
       könnte. Er empfinde es „als Gnade, wenn Menschen wie sie zu uns
       zurückkommen“.
       
       Margot Friedländer steht nach der Preisverleihung lange neben dem
       Rednerpult und schaut mit ihren großen Augen ins Auditorium, diese so
       stolze, unglaubliche Frau, die ihre Botschaften noch lange in die Welt
       tragen möge. Ihre Appelle braucht es so dringend wie lange nicht.
       
       17 Nov 2024
       
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   DIR Jens Uthoff
       
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