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       # taz.de -- Die Brennelementefabrik und Rosatom: Soll Lingen Außenstelle von Moskaus Atomindustrie werden?
       
       > Der russische Konzern Rosatom will in die niedersächsische Nuklearanlage
       > einsteigen. 11.000 Menschen haben Einwände. Ab Mittwoch werden sie
       > erörtert.
       
   IMG Bild: Protest gegen Rosatom und den russischen Angriffskrieg in der Ukraine
       
       Göttingen taz | Anfang Dezember 2021, weniger als drei Monate vor dem
       Einmarsch Russlands in die Ukraine, reiste der Generaldirektor des
       staatlichen russischen Atomkonzerns, Alexei Lichatschow, nach Paris. Mit
       Verantwortlichen des [1][französischen Nuklearmonopolisten Framatome]
       unterzeichnete er am Rande eines internationalen Treffens der
       Atomwirtschaft eine „Langzeit-Kooperations-vereinbarung“. Rosatom und
       Framatome wollen enger zusammenarbeiten – unter anderem bei der
       Brennelemente-fertigung und bei Reaktor-Kontrollsystemen.
       
       Das betrifft auch die [2][Brennelementefabrik im niedersächsischen Lingen],
       die von der Framatome-Tochter Advanced Nucelar Fuels (ANF) betrieben wird
       und vom deutschen Atomausstieg ausgenommen ist. Aktuell will das
       Unternehmen seine Produktpalette erweitern und künftig auch Reaktoren
       russischer respektive sowjetischer Bauart mit Brennstoff beliefern. Und
       dafür braucht es die Lizenz und das Know-how von Rosatom. [3][Techniker aus
       Russland gingen schon vor Wochen in Lingen ein und aus] und installierten
       in einem leerstehenden Möbellager Maschinen, um ihre deutschen Kollegen
       daran zu schulen.
       
       Über die Erweiterung der Lingener Fabrik muss das niedersächsische
       Umweltministerium entscheiden. Es hat für den 20. November einen im
       Atomrecht festgeschriebenen Erörterungstermin in den Lingener Emslandhallen
       angesetzt. Dabei [4][diskutieren die Genehmigungsbehörde, der Antragsteller
       ANF und Kritiker über rund 11.000 Einwendungen], die Bürger aus Lingen und
       von außerhalb gegen das Vorhaben erhoben haben. Je nach Verlauf, wird die
       Erörterung in den Folgetagen fortgesetzt.
       
       In ihren Eingaben führen die Einwender vor allem sicherheitspolitische
       Argumente ins Feld. Der Einstieg von Rosatom in die Nuklearanlage biete
       Russland nahezu unvermeidlich Möglichkeiten zu Sabotage, Spionage und
       Desinformation – nicht nur in Lingen und Deutschland, sondern in allen
       Atomkraftwerken in Europa, die aus dem Emsland beliefert würden. Dank
       Rosatom verdiene Russland weiter an der europäischen Atomkraft, gewinne
       ungeachtet des Ukraine-Krieges strategisch an Einfluss und könne ganz
       nebenbei mögliche Sanktionen unterlaufen.
       
       ## Abhängig vom Kreml
       
       „Wir fürchten, dass Lingen letztlich zu einer Außenstelle der russischen
       Atomindustrie wird“, sagt Alexander Vent vom Lingener Bündnis AgiEl –
       Atomkraftgegner im Emsland. Wer dem russischen Atomkonzern Rosatom Zugang
       zu Personal und Wissen verschaffe, mache sich langfristig abhängig vom
       Wohlwollen des Kreml.
       
       Infolge der Kooperation werde es zudem [5][eine wachsende Zahl an
       Urantransporten aus Russland] geben. Energie-Unabhängigkeit, so Vent,
       „sieht anders aus“. Bettina Ackermann von der
       Anti-Atom-Organisation.ausgestrahlt geht davon aus, „dass das geplante
       Brennelement-Joint-Venture zwischen Framatome und Rosatom die innere und
       äußere Sicherheit Deutschlands gefährdet“. Warnungen der deutschen
       Geheimdienstchefs bestätigten diese Einschätzung.
       
       Matthias Eickhoff vom Aktionsbündnis Münsterland gegen Atomanlagen weist
       darauf hin, dass Rosatom „im Atombereich der geopolitische Arm des Kremls
       und sowohl im zivilen wie auch im militärischen Bereich aktiv“ sei. Zudem
       [6][leite Rosatom in der Ukraine die Verwaltung des von Russland
       militärisch besetzten AKW Saporischschja].
       
       Mit mehr als 250.000 Mitarbeitenden ist Rosatom eine Mischung aus Behörde
       und Staatskonzern. Das direkt dem Kreml unterstellte Konstrukt besteht aus
       etwa 300 einzelnen Unternehmen und bündelt den gesamten Nuklearsektor
       Russlands, vom Uranabbau über den AKW-Betrieb bis zu den Atomwaffen. Auch
       im internationalen Atomgeschäft zählt Rosatom zu den ganz großen Playern.
       Ende 2021 war jedes sechste AKW weltweit von Russland gebaut, mehr als die
       Hälfte davon stand in anderen Ländern. Von 20 [7][aktuellen Neubauprojekten
       Rosatoms] liegen sogar 17 außerhalb Russlands.
       
       18 Nov 2024
       
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