URI: 
       # taz.de -- Die Wahrheit: Warnschilder unter der Erde
       
       > Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung (206): Wenn Gärtner
       > Wühlmäuse aus ihren Beeten vertreiben wollen, treibt das bizarre Blüten.
       
   IMG Bild: Wühl, Wühlmaus, wühl
       
       Eine Wühlmaus kommt selten allein. Sie sind tag- und nachtaktiv, haben
       kurze Schwänze, einen gedrungenen Körperbau, ihre Ohren sind klein, ihr
       Fell ist dunkelbraun und sie sehen nett aus.
       
       Neulich fand eine taz-Redakteurin zwei Wühlmäuse auf ihrem Balkon im 5.
       Stock in einem Blumenkübel. Das wurde angezweifelt, weil die Wühlmäuse, von
       denen es 150 Arten gibt, eigentlich auf der Erde leben, wo sie Gänge
       graben, in denen sie sich nicht nur aufhalten, gebären und in Sicherheit
       bringen, sondern wo sie auch die unterirdischen Teile von Pflanzen fressen.
       
       Beliebt sind bei ihnen die Gartenpflanzen. „Wühlmäuse können schwere
       Schäden an Wurzelgemüsen, Stauden, Kartoffeln, Obstbäumen und anderen
       Nutzpflanzen verursachen“, heißt es auf Wikipedia. Wenn die Gartenbesitzer
       in den Beeten deren länglich flache Erdhaufen sehen, sind sie entsetzt und
       sehen die Früchte ihrer Arbeit in Gefahr, weswegen sie sogleich nach Mittel
       und Wegen forschen (33.900 Einträge bei Google), wie man diese „Schädlinge“
       nachhaltig vernichtet.
       
       Das gilt vor allem für Veganer, die sich schon auf das Ernten ihres
       gesunden Gemüses im Herbst freuen und sogar planen, zum Erntedankfest alle
       Freunde mit Gerichten aus Selbstangebautem zu erfreuen. Ein Freund von mir,
       der Fleischesser ist, sagt sich dagegen: „Lass sie. Diese Wühler wollen
       auch leben und sie ersparen mir das Ernten und vor allem die noch mühsamere
       Verarbeitung des Gemüses.“
       
       ## Maulwurf
       
       Er ist sich außerdem unsicher, ob die aufgeworfenen Erdhügel nicht von
       einem Maulwurf stammen, der zwar auch Gänge gräbt, aber Regenwürmer, Käfer
       und Wühlmausbabys frisst. Weil Regenwürmer überaus nützlich sind, könnte
       man ihn ebenfalls als „Schädling“ bezeichnen, aber Vorsicht: Der Maulwurf
       steht unter Naturschutz! Seine Erdhaufen sind zudem laut Wikipedia
       „rundlicher und größer, was bei den Wühlmäusen nicht der Fall ist. Auf dem
       Erdhaufen der Wühlmäuse liegt hingegen meist ein Stein, den sie beiseite
       geräumt haben.“
       
       Die Nachbarn meiner Eltern haben Wühlmäuse mit einem Wasserschlauch in
       ihren Gängen zu vertreiben und zu ertränken versucht. Die Autoren des
       Wikipedia-Eintrags empfehlen „Begasungsmittel, Giftköder oder Mausefallen“.
       Da sie jedoch gleichzeitig keine Ökoignoranten sein wollen, meinen sie,
       dass sich „die Förderung der natürlichen Feinde der Wühlmaus – zum Beispiel
       Hermelin, Mauswiesel und Rotfuchs als hilfreich erweist“.
       
       Aber wie „fördert“ man die? In Niedersachsen, wo besonders viele Jäger ihr
       Unwesen treiben, passiert genau das Gegenteil: Dort hat man so viele Füchse
       erschossen – etwa 60.000 jährlich (unter anderem mit den dort seit 2022
       erlaubten Nachtsicht- und Nachtzieltechniken), dass die Bauern nun über
       eine „Wühlmausplage“ klagen, die für einige sogar schon existenzbedrohend
       sein soll.
       
       Wem die Unterstützung der Kleinraubtiere nicht gelingen will, dem empfiehlt
       Wikipedia florale Mittel: „… das Anpflanzen von Holunder, Lavendel und auch
       Wacholder am Gartenzaun“, der für die „auf Duftstoffe empfindlich
       reagierenden Nager eine natürliche Barriere entstehen läßt. Das Vergießen
       von vergorener Buttermilch ist ebenfalls eine Möglichkeit, die Schädlinge
       zu vertreiben.“
       
       Letzteres kommt jedoch für Veganer nicht infrage, da sie tierische Produkte
       ablehnen. Sonst könnten sie ja auch, wie einige indigene Völker in
       Nordamerika, gleich die Wühlmäuse essen. Das Internet ist in dieser
       Hinsicht indigenenunwissend: Gibt man „Mäuse essen“ ein, bekommt man nur
       Einträge über eine „tiergerechte Ernährung von Mäusen“: Getreide und
       Sämereien, kein Käse, denn auch die Wühlmäuse sind quasi Veganer.
       
       Garten-Unkräuter wie Giersch, Löwenzahn, Quecke und Sauerampfer werden von
       ihnen jedoch eher verschmäht. Menschliche Pflanzenfresser können dagegen
       aus den „Unkräutern“ feine Suppen und Salate zubereiten: Katarina Körner
       beispielsweise. Sie hat daraus sogar ein Geschäft entwickelt – mit mehreren
       „Soup-Kultur“-Läden in Berlin. Ihr Partner Benny Härlin setzt in seinem
       Projekt „2.000-Quadratmeter Weltacker“ aber eher auf Nutzpflanzen als auf
       Unkräuter. Im Gegensatz zu einem Landwirt in der Rhön, der Unkräuter
       anbaut, die er an Ackerbauern verkauft. Sie bekommen für das Einsäen eine
       staatliche Förderung. Das Getreide soll mit diesen, ihren uralten
       Feldpartnern, laut neuesten Erkenntnissen besser gedeihen. Was den
       Wühlmäusen natürlich nur recht sein kann.
       
       Die Literatur über diese Nager ist mager. Da gibt es „Earhart: Der
       abenteuerliche Flug einer Wühlmaus um die Welt“ von Torben Kuhlmann; „Nur
       die Wühlmaus war Zeuge“ – Ein Schrebergarten-Krimi von Martina Pahr;
       „Wühlmaus, Giersch und Laubenpieper“ von Hartmut Brinkmann; und „Als die
       winzige Wühlmaus Wanda …“ von Pauls/Bohm/Röckener.
       
       ## Kaminer ohne Kamin
       
       Ich fragte den Schriftsteller Wladimir Kaminer per Mail, ob er Wühlmäuse im
       Garten habe. „Oh ja“, schrieb er mir, „viele“: „Meine Frau Olga fuhr
       neulich zum OBI-Markt nach Lindow. Sie wollte ein bisschen Gift kaufen, um
       die schädlichen Mäuse zu beseitigen. Im OBI-Markt zeigten sich die
       Gartenfreunde entsetzt über ihre Mordabsichten. Sie empfahlen Olga
       unangenehm riechende Tabletten, 20 Euro pro Packung, die man in die
       Mauselöcher reindrücken sollte. Die Wühlmäuse würden diesen Geruch nicht
       mögen, meinten sie. Das stimmte auch, die Wühlmäuse mochten die Tabletten
       wirklich nicht, sie gruben sie aus, brachten sie zu uns und legten sie vor
       die Tür.
       
       Aber wir mochten den Geruch auch nicht. Daraufhin hat Olga den Künstler
       Alexander animiert, etwas gegen die Wühlmäuse zu unternehmen. Alexander
       malte ein Schild: ‚Ihr seid hier nicht willkommen!‘, und stellte es im
       Garten auf. Olga hat ihn darauf hingewiesen, dass Wühlmäuse nicht lesen
       können, weil sie unter der Erde leben. Daraufhin hat Alexander das Schild
       mit der Aufschrift nach unten in die Erde gesteckt. Die ganze Nacht hörten
       wir die Wühlmäuse, wie sie sich unter der Erde darüber amüsierten.“
       
       Es gibt seit 1960 ein Kabarett in Westberlin: „Die Wühlmäuse“, und in
       Ostberlin seit 1962 die Stasiakte „Wühlmäuse“. Das waren zunächst Maoisten
       aus dem SDS, die Gänge unter die Mauer gruben – für Republikflüchtlinge,
       und dann aus der Jungen Union Leute wie Eberhard Diepgen, Rüdiger Landowski
       und der spätere Astronaut Reinhard Furrer, der einmal bei einer entdeckten
       Flucht einen Grenzschützer, der sie verfolgte, anschoss. Angeblich gruben
       sie die Fluchttunnel nicht selbst, sondern ließen dies (gegen Bezahlung?)
       von Studenten machen. Nichtsdestotrotz bekamen sie für ihre
       Schlepperdienste einen Orden.
       
       Heute, da die Flüchtlinge nicht mehr aus dem Osten, sondern aus dem Süden
       kommen, sind solche Wühlmausdienste nicht mehr sonderlich ehrenvoll.
       
       2 Dec 2024
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Helmut Höge
       
       ## TAGS
       
   DIR Tiere
   DIR Nagetiere
   DIR Helmut Höge
   DIR Leoparden
   DIR Tiere
   DIR Biologie
   DIR Affen
   DIR Tiere
   DIR Schwerpunkt Frankfurter Buchmesse 
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Die Wahrheit: Der Leopard ist schön, vielleicht zu schön
       
       Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung (209): Der größte Feind
       der stolzen Raubkatze ist, wie könnte es anders sein, der Mensch.
       
   DIR Die Wahrheit: Das Kreuz mit der heiligen Krabbe
       
       Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung (208): Die auf dem Panzer
       gezeichnete Kruzifix-Krabbe wird seit 1546 von Christen angebetet.
       
   DIR Die Wahrheit: Mauritiusfalken sind bedroht wie eine Briefmarke
       
       Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung (207): Auch die
       Mauritiusfalken sterben aus. Dabei gibt es auch Mauritiustauben.
       
   DIR Die Wahrheit: Lieber Drill als Mandrill
       
       Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung (205): Der
       schwarzgesichtige Affe ist ein tagaktiver Allesfresser im Regenwald.
       
   DIR Die Wahrheit: Zwei Herzen im Großtrappentakt
       
       Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung (204): Die scheuen
       Großtrappen gibt es nur in der Ex-DDR, nicht im existierenden Wessi-Land.
       
   DIR Die Wahrheit: Toskanische Motorsägensaison
       
       Die Italo-Woche der Wahrheit (Nachtrag): Von einem Daumenbruch, einer
       rothaarigen Eingipserin und dem Rauchen im Spital.