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       # taz.de -- Deutschlands Rolle in Tschad und Sudan: Schillernde Annäherung
       
       > Tschad beherbergt über eine Million Geflüchtete aus Sudan. Zugleich heizt
       > das Regime den Krieg dort mit an. Nun vertieft Deutschland die
       > Partnerschaft.
       
   IMG Bild: Geflüchtete aus Sudan warten am Rande eines Gesundheitszentrums in Adré, Tschad, am 20. November im Schatten
       
       Aus N’Djamena und Adré Lachen. Eine Dreiviertelstunde lang drang kein Ton
       durch die schwere, mit Intarsien verzierte Holztür, dann dieses Lachen. Es
       hallt bis auf die Gänge des Außenministeriums heraus. Ein paar Sekunden
       später fliegt die Tür auf. Sichtlich erheitert kommt die deutsche
       Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) hindurch. Kurz gefolgt von
       Abderaman Koulamallah, Tschads Außenminister.
       
       „Wir hatten einen sehr guten Austausch“, sagt Schulze. „Ich habe meine
       Anerkennung ausgesprochen, wie Tschad es schafft, mit so vielen
       Flüchtlingen umzugehen.“ Die Ministerin schwärmt von „offenen Türen“, von
       „Zugang“ zum Gesundheitssystem, von der Hilfe für Geflüchtete,
       selbstständig in Tschad zu leben. „Gerne unterstützen wir das“, sagt
       Schulze. „Ich habe für dieses Jahr 57 Millionen Euro zusätzlich hier
       zugesagt.“
       
       Lachen. Wieder. Dieses Mal ist es die Reaktion auf die Frage des
       Journalisten aus Deutschland, was Außenminister Koulamallah denn [1][von
       der europäischen Migrationspolitik] halte. „Europa hat seine Politik“, sagt
       er. „Wir haben unsere.“
       
       Er wolle, dass Geflüchtete nicht als Last gesehen werden, sondern als eine
       wirtschaftliche Chance, was sie ja auch seien. Tschad habe mit über 1,2
       Millionen Quadratkilometern Fläche und nur 16 Millionen Einwohnern genug
       Platz. „Ich könnte jetzt philosophieren und sagen, na ja, die Welt gehört
       allen menschlichen Wesen“, so Koulamallah. „Aber … so was sagt ein
       Außenminister nicht.“
       
       Es ist Ende November in N’Djamena. Tschads Hauptstadt ist eine ruhige,
       heiße Metropole, durch die sich sandige orangerote Straßen winden und der
       trübe Fluss Schari, der in diesen Tagen ungewöhnlich viel Wasser führt.
       Zwischen der Ministerin eines der reichsten Staaten der Welt und dem
       Außenminister einer der ärmsten herrscht offenbar Harmonie. Tschad versorge
       Geflüchtete aus Sudan, sagt der Außenminister, und Europa unterstütze das
       Land mit Geld dabei – niemand müsse sich auf den gefährlichen Weg über das
       Mittelmeer begeben. Win-win. Oder?
       
       Schulze leitet bei ihrem Tschad-Besuch eine Wiederannährung ein. Die
       deutsche Ministerin ist auch als Präsidentin der [2][Sahel-Allianz]
       gekommen, eines Bündnisses von Geberländern zur Unterstützung der Länder in
       der afrikanischen Sahelzone. Die gesamte Region ist schwer von Terror
       getroffen und vom Klimawandel. Es gibt extreme Dürren und Überschwemmungen.
       Außerdem ist die Region eine kritische Zone für Migration aus Afrika nach
       Europa.
       
       „Wir werden die Entwicklungszusammenarbeit, also die langfristige
       Zusammenarbeit, ausbauen“, sagt Schulze über ihr Engagement in Tschad.
       Europa hat in der Sahelzone in den vergangenen Jahren an Einfluss verloren.
       2020 und 2021 putschten Militärs in Mali, 2022 in Burkina Faso, 2023 dann
       auch in Niger, das besonders zentral für die Migrationsbewegungen ist. Die
       Militärherrscher wandten sich alle vom sogenannten Westen ab.
       
       Niger kündigte gar ein Migrationsabkommen mit der EU, das jahrelang
       verhindert hatte, dass Menschen einfach den Staat Richtung Libyen
       durchqueren. Und die drei Sahelstaaten bauten ihre Partnerschaft mit
       Russland aus, mit Wladimir Putin, der Antithese europäischer Werte. Schnell
       stellte sich die Frage: Auf wen kann Europa in diesem Teil Afrikas noch
       setzen?
       
       Im Umgang mit Tschad war vor allem Deutschland lange zurückhaltend, denn
       das Land wurde drei Jahrzehnte lang vom ehemaligen Kampfpiloten [3][Idriss
       Déby] regiert, Spitzname „Wüstencowboy“. Es war eine brutale Ära. Die
       Bundesrepublik legte selbst in der Entwicklungszusammenarbeit Wert darauf,
       zu betonen, dass Hilfe vor allem „regierungsfern“ erfolge. 2021 starb Déby,
       und Tschads Generäle setzten seinen Sohn Mahamat Déby als neuen Staatschef
       ein.
       
       Deutschlands Botschafter im Land, der sich kritisch zu ihm äußerte, wurde
       des Landes verwiesen – „persona non grata“. Doch dieses Jahr gab es in
       Tschad tatsächlich Präsidentschaftswahlen, Mahamat Déby ist nun der
       gewählte Präsident und es gibt auch wieder einen deutschen Botschafter in
       N’Djamena.
       
       „Wir sehen, dass der Tschad sich hier auf einen Weg gemacht hat, einen
       Transitionspfad“, sagt Schulze. „Die Präsidentschaftswahlen sind gelaufen,
       jetzt stehen die Parlamentswahlen an, die eben auch frei, transparent,
       inklusiv sein sollen.“ Sie spricht von einer notwendigen Grundlage für eine
       „verstärkte bilaterale Zusammenarbeit“. Transition? Freie Wahlen? Ist
       Tschad doch ein Partner? Vielleicht sogar ein Staat, der, wie einst Niger,
       dabei helfen kann, Migration zu lenken?
       
       Fast 1.000 Kilometer von der Hauptstadt N’Djamena entfernt, nach einem Flug
       in einer kleinen Maschine des UN-Welternährungsprogramms und einer
       stundenlangen Fahrt über unbefestigte Straßen, erreicht man die Kleinstadt
       Adré, fast an der Grenze zu Sudan. Adré hatte einst 40.000 Einwohnerinnen
       und Einwohner. Jetzt sind es 240.000. Und jeden Tag kommen neue hinzu. Es
       ist fast unmöglich, sich vom Boden aus einen Überblick zu verschaffen. Die
       Erde in diesem Teil Tschads ist flach, die vielen kleinen Zelte aus Planen
       und Tüchern in den Lagern am Rande von Adré ragen kaum aus der Ebene empor.
       Viele sind nicht mehr als ein helles Flirren am Horizont.
       
       Zwei Tage nach ihrem Treffen mit Außenminister Koulamallah erreicht
       Ministerin Schulze dieses fragile Gebilde, das längst die Dimensionen einer
       Großstadt angenommen hat, in dem es kaum Häuser gibt, kaum Leitungen für
       Strom und Wasser, fast keine befestigte Infrastruktur. Schulze sitzt auf
       bunten Teppichen in einem der wenigen soliden Lagerzelte. Vor ihr hocken
       mehrere Frauen.
       
       Halina Abdela Omar, in einem dunkelbraunen, gemusterten Gewand, ist in sich
       zusammengesunken. Sie stammt aus Sudan – wie die meisten der Geflüchteten
       hier. „Sie haben meinen Bruder vor meinen eigenen Augen ermordet“, sagt
       sie. Mit „sie“ meint Omar die Paramilitärs der Rapid Support Forces (RSF).
       Die liefern sich seit eineinhalb Jahren einen brutalen Machtkampf mit
       Sudans Armee. Eine Konfrontation, unter der vor allem die Zivilbevölkerung
       leidet, insbesondere in Darfur, das an Tschad grenzt. Im November 2023
       zogen bewaffnete arabische Reiter der RSF durch Omars Ort Ardamata. „Sie
       töten nur Schwarze“, sagt die 32-Jährige. Dabei faltet sie ihre Hände, so
       als würde sie versuchen, sich selbst Halt zu geben.
       
       Den RSF, deren Vorgängerorganisation Janjaweed schon 2003 für einen Genozid
       in Darfur verantwortlich zeichnete, werden von Menschenrechtsorganisationen
       und UN heute wieder „ethnische Säuberungen“ vorgeworfen. Die Miliz setzt
       auch Hunger als Waffe ein. Humanitäre Helfer bezeichnen Sudan als die
       vielleicht größte humanitäre Krise der Welt. „24 Millionen Menschenleben
       stehen auf dem Spiel“, so vor wenigen Wochen Jan Egeland,
       Ex-UN-Untergeneralsekretär und heute Chef des Norwegischen
       Flüchtlingsrates. „Wir erleben einen unerbittlichen Countdown hin zu
       Hungersnot, Verzweiflung und dem Zusammenbruch einer gesamten
       Zivilisation.“
       
       ## 12 Millionen Menschen in Sudan auf der Flucht
       
       Halina Abdela Omar und die anderen in Adré machen nur einen Bruchteil der
       davon betroffenen Personen aus. 12 Millionen Menschen in Sudan, ein Viertel
       der Bevölkerung, sind auf der Flucht, etwas über 3 Millionen haben Sudan
       verlassen. Knapp 1,1 Millionen von ihnen sind in Tschad gelandet.
       
       Eine Rückkehr Omars und anderer Geflüchteter ist nicht absehbar. Und
       Hunderttausende sind es, die bereits vor Jahrzehnten aus Darfur flohen.
       Flüchtlingslager haben sich in Tschad in Städte verwandelt. Das Nachbarland
       hat sich zum Zuhause vieler Sudanes:innen entwickelt. Allerdings
       rechnen Migrationsexperten damit, dass sich das ändern kann, wenn die
       wachsende Zahl an Sudanes:innen in Tschad keine Perspektiven mehr hat.
       
       Und mit denen ist es dort so eine Sache. Das Land hat kaum genug, um die
       eigene Bevölkerung zu versorgen. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) lag 2023
       bei 13 Milliarden Euro. Das entspricht etwa dem BIP-Wert der Stadt Kiel.
       Mehr als 30 Prozent der Bevölkerung Tschads lebt in extremer Armut. Nur in
       Jemen und Somalia leiden laut Welthungerhilfe anteilig noch mehr Menschen
       unter Mangelernährung.
       
       Die Gründe dafür, dass die Regierung Tschads trotzdem hilft, sind
       vielschichtig. Die Grenze zwischen Tschad und Sudan wurden einst von den
       Kolonialmächten durch die Landschaft gezogen. Westlich und östlich davon
       leben dieselben Volksgruppen, mitunter dieselben Familien. Es ist eine
       Solidarität unter Brüdern und Schwestern, Cousins und Cousinen.
       
       Hinzu kommt, dass die Regierung Tschads in den Menschen aus Sudan
       tatsächlich auch potenzielle Fachkräfte sieht. Jene wirtschaftliche Chance,
       von der Außenminister Koulamallah spricht. Denn der Großteil der Menschen
       in Sudan kann lesen und schreiben. In Tschad trifft das nur auf jeden und
       jede Dritte zu. Auch Halina Abdela Omar gehört dazu: „Ich würde gern
       studieren und Lehrerin werden“, sagt sie.
       
       Ministerin Svenja Schulze sitzt wenig später auf der Rückbank eines weißen
       Jeeps des UN-Welternährungsprogramms. Das Fahrzeug ruckelt über eine
       unbefestigte Piste zwischen Adré und dem nächsten Flughafen. „Wir gucken
       darauf, wie können die Menschen wieder in die Lage versetzt werden, sich
       selber zu helfen“, sagt die Politikerin. Sie spricht über die sogenannte
       Haguina-Initiative, die im Mittelpunkt ihres Besuchs im Tschad steht:
       Tschads Regierung verpachtet 100.000 Hektar Land für bis zu 15 Jahre
       kostenlos an Geflüchtete aus Sudan und Teile der tschadischen Bevölkerung,
       jeweils einen Hektar pro Familie.
       
       Es handelt sich überwiegend um unfruchtbares Land – Land aber, das
       Potenzial hat, entwickelt zu werden. Dabei werden die Sudanesen und
       Tschader vom UN-Welternährungsprogramm unterstützt, das wiederum von
       Deutschland Geld bekommt. Auf diese Weise schaffen sich die Menschen selbst
       eine Perspektive, so zumindest die Idee.
       
       Der weiße Jeep rumpelt durch eines der unzähligen Schlaglöcher. Schulze
       schaukelt von links nach rechts. Auf die Frage, ob es Priorität für sie
       habe, dass die Menschen hier in Tschad bleiben, statt nach Europa
       aufzubrechen, antwortet sie: „Das ist erst mal im Interesse der Flüchtlinge
       hier. Sie wollen hier bleiben.“ Schulze fügt hinzu: „Natürlich haben wir in
       Deutschland auch was davon.“ Geflüchtete aus Sudan im großen Stil nach
       Europa zu holen ist nicht geplant.
       
       Während der Jeep in das nächste Schlagloch kracht, fängt Schulze an, über
       die geflüchteten Frauen zu sprechen, die sie während ihrer Reise getroffen
       hat. „Sie hatten gehört, dass es in Deutschland Onlinekurse gibt“, erklärt
       sie. „Wenn das Netz funktioniert, würden sie gern lernen. Das machen wir,
       das ist ein offenes Angebot.“ Ein Stück Land und ein Fernstudium für Halina
       Abdela Omar?
       
       Dass die Ministerin und Präsidentin der Sahelallianz mit zusätzlichen
       Millionen kommt, ist auf jeden Fall ein Signal – auch an andere EU-Staaten.
       Tschad war lange kein „Donor Darling“, also nicht unbedingt gesegnet mit
       viel Hilfe aus dem Ausland. Zudem stehen in Europa alle Zeichen auf
       Sparsamkeit in der Entwicklungszusammenarbeit. Deutschland kürzt seine
       Mittel von 2024 auf 2025 voraussichtlich um knapp 1 Milliarde Euro,
       Frankreich um 1,3 Milliarden, die Niederlande bis 2027 um 2,4 Milliarden.
       Schweden und Finnland wollen Mittel der Entwicklungszusammenarbeit für
       Abschiebungen umwidmen. Statt Perspektiven zu bieten, geht es darum, die
       Menschen loszuwerden. Vor diesem Hintergrund wirkt die vertiefte
       Partnerschaft mit Tschad schillernd.
       
       Victor Zolossou hat da auch so seine Zweifel. Der junge Mann sitzt am Ende
       einer Seitenstraße im 6. Bezirk von N’Djamena im Erdgeschoss eines
       mehrstöckigen Hauses mit dicken Mauern und kargem Innenhof. Den
       Transitionspfad, den Tschad laut Ministerin Schulze beschritten hat, kennt
       er nur allzu gut. Der Mann trägt Dreitagebart, ein schwarzes Longsleeve,
       eine weiße Hose. Dazu einen braunen Lederslipper am linken Fuß. Sein
       rechtes Bein fehlt.
       
       ## Die Hoffnung hielt nicht lange
       
       Victor Zolossou kam 1999 auf die Welt. Sein Vater war Bauer, seine Mutter
       Hausfrau. Er selbst war gut in der Schule, wollte Psychologe werden. Doch
       ihm fehlte das Geld für die Ausbildung. Also wurde er Friseur, machte einen
       eigenen Salon auf. Zolossou wuchs unter der Herrschaft Idriss Débys auf,
       jenes Despoten, der in Tschad 31 Jahre lang herrschte. Ein Regime, in dem
       nur die Eliten Chancen haben – so hat Zolossou es zumindest gesehen. Als
       Déby im Jahr 2021 starb, keimte bei Victor Zolossou Hoffnung auf. Doch sie
       hielt nicht lange.
       
       Der neue Präsident Mahamat Déby, Sohn des alten Herrschers, kündigte damals
       an, in eineinhalb Jahren zurückzutreten und die Macht an eine zivile
       Regierung zu übergeben. Als diese Frist am 20. Oktober 2022 ergebnislos
       verstrichen war, ging Zolossou mit Tausenden anderen Tschaderinnen und
       Tschadern auf die Straßen, um zu protestieren. „Wir waren im 9.
       Arrondissement, als wir auf schwer bewaffnete Sicherheitskräfte trafen“,
       sagt Zolossou. „Sie haben einfach in die Menge geschossen.“
       
       Zolossou deutet mit dem Finger auf die Außenseite seines verbliebenen
       Beines, dann auf die Innenseite. Er versucht, zu demonstrieren, was mit dem
       Bein passiert ist, das er verloren hat. „Die Kugel ist durchgeschlagen“
       sagt er. Zolossou wurde ohnmächtig. Als er wieder aufwachte, lag er im
       Krankenhaus. „Da konnte ich mein Bein schon nicht mehr bewegen“, erinnert
       er sich. Als ein Arzt kam, um das Bein zu amputieren, lehnte Zolossou sich
       noch dagegen auf.
       
       Der junge Mann, der es liebte, Fußball zu spielen, protestierte, bis der
       Arzt ihm erklärte, dass er sonst sterben würde. Er trennte ihm das Bein
       kurz unter dem Knie ab, doch das reichte nicht. „Beim zweiten Mal hatte ich
       gar nicht mehr die Kraft, um zu widersprechen“, erinnert sich Zolossou.
       Dieses Mal wurde direkt unter der Hüfte amputiert. Seither ist Zolossou ein
       Pflegefall, kann seine Frau, seine Tochter und seinen Sohn nicht mehr
       versorgen.
       
       ## Noch brutalere Herrschaft des neuen Regimes
       
       Laut der Oppositionsbewegung „Les Transformateurs“ gab es an jenem 20.
       Oktober 2022 nicht nur Verletzte wie Zolossou. 300 Menschen wurden getötet.
       Im Schari-Fluss, der sich durch N’Djamena schlängelt, trieben Leichen.
       Weitere 600 Menschen landeten im Wüstengefängnis Koro Toro im Norden des
       Landes. Schon auf dem Weg dorthin starben Menschen, ihre Leichen wurden von
       den Lastwagen geworfen. Déby junior setzte die eiserne Herrschaft seines
       Vaters fort – sogar noch brutaler, so sagen einige Beobachter.
       
       Für Mai 2024 setzte der Junior dann jene Wahlen an, die für Schulze Anlass
       für eine Stärkung der Zusammenarbeit sind. Kurz zuvor erschossen Débys
       Sicherheitskräfte mit Yaya Dillo aber noch einen der wichtigsten
       Oppositionellen des Landes. Déby gewann den fragwürdigen Urnengang. Selbst
       danach gab es weiter gewaltsame Tode. Débys Anhänger zogen durch die
       Straßen N’Djamenas und gaben „Freudenschüsse“ ab, mehrere Menschen starben.
       Die Opposition spricht von Einschüchterung.
       
       Nicht nur die Transition wirkt zwiespältig, sondern auch der Umgang Tschads
       mit dem Konflikt im Sudan. Die New York Times dokumentierte im September
       2023, wie Tschads Regime den Krieg in Sudan mit anheizt. Tschad lässt
       demnach zu, dass die Vereinigten Arabischen Emirate Waffen durch das Land
       an die RSF in Darfur liefern. In einem weiteren Bericht ein Jahr später
       dokumentierte die Zeitung dann noch, dass Tschads Regierung es auch duldet,
       dass die Emirate von einer Drohnenbasis in Tschad aus Einsätze in Sudan
       fliegen, um die RSF mit Informationen zu versorgen.
       
       Für Kritiker des Déby-Regimes ist der Grund für diese Politik, die kaum mit
       der großzügigen Aufnahme Geflüchteter zusammenpasst, offensichtlich: Die
       finanzstarken Emirate haben Déby junior kurz nach dem Ausbruch des Krieges
       im Sudan ein Darlehen von 1,5 Milliarden US-Dollar genehmigt. Das
       entspricht fast dem gesamten Staatshaushalt.
       
       Opportunismus scheint das Gebot der Stunde des Regimes zu sein. Nicht nur
       deswegen ist fraglich, wie verlässlich Tschad als Partner ist. Frankreich
       hat, anders als Deutschland, die Déby-Dynastie immer gestützt, es unterhält
       in Tschad seit der Kolonialzeit eine ständige Militärpräsenz und hat immer
       wieder militärisch eingegriffen, auch zum Schutz von Idriss Déby. Als
       dessen Sohn Mahamat Déby 2021 an Tschads Verfassung vorbei zum neuen
       Präsidenten ausgerufen wurde, kam sogar Emmanuel Macron zur Amtseinführung.
       
       Wenige Tage nach dem Besuch Schulzes hat Tschads Regierung aber Frankreich
       aufgefordert, seine rund 1.000 Soldaten aus Tschad abzuziehen. Tschad wolle
       damit echte und vollständige Souveränität erreichen, heißt es in der
       offiziellen Mitteilung. Ein Schritt, der einigen Beobachtern zufolge
       innenpolitischem Kalkül folgt, da Ende Dezember Parlamentswahlen anstehen.
       Auch in Tschads Bevölkerung wachsen antifranzösische Ressentiments, die
       einstige Kolonialmacht ist verhasst.
       
       Vor der schweren, mit Intarsien verzierten Holztür des Außenministeriums in
       N’Djamena, durch die eben noch ein Lachen drang, erwähnt Svenja Schulze
       derweil weder die Toten des 20. Oktober noch Tschads Waffenlieferungen an
       die RSF. Tschads Außenminister Koulamallah, auf die Waffenlieferungen über
       tschadischen Boden angesprochen, schwört auf Gott: „Ich kenne keinen Staat,
       der Waffen liefert.“
       
       Und dann fängt Koulamallah doch an zu philosophieren, obwohl er das als
       Außenminister doch gar nicht gerne macht. „Sudan braucht keine Waffen, er
       braucht Freiheit und Demokratie.“ Worte, die für Menschen wie Victor
       Zolossou wie Hohn klingen müssen.
       
       Von Isso Ehrich ist aktuell im Quadriga Verlag erschienen: „[4][Putsch.]
       Der Aufstand gegen Europas Kolonialismus in Afrika“ (270 S., 25 Euro)
       
       5 Dec 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.bpb.de/themen/migration-integration/kurzdossiers/517146/eu-migrations-und-asylpolitik/
   DIR [2] https://www.bmz.de/de/aktuelles/aktuelle-meldungen/ministerin-schulze-uebernimmt-praesidentschaft-der-sahel-allianz-163344
   DIR [3] https://www.britannica.com/biography/Idriss-Deby
   DIR [4] https://bastei-luebbe.de/Buecher/Sachbuecher/Putsch/9783869951485
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Issio Ehrich
       
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