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       # taz.de -- Umweltfolgen des Kriegs in Gaza: Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
       
       > In Gaza sind Umwelt, Landwirtschaft und Infrastruktur wie Kläranlagen
       > zerstört. Menschenrechtler*innen sprechen von „Hunger als
       > Kriegswaffe“.
       
   IMG Bild: Abwasser fließt durch die Straßen von Deir al-Balah in Gaza, August 2024
       
       Berlin taz | Der seit über einem Jahr anhaltende Krieg im Gazastreifen ist
       dabei, die Umwelt dort nachhaltig zu schädigen. Die Verschmutzung von
       Boden, Wasser und Luft habe gigantische Ausmaße angenommen, berichtet das
       Palestinian NGOs Network, in dem sich 15 palästinensische
       Umweltorganisationen zusammengeschlossen haben.
       
       Genaue Belege sind für das Team schwierig. Bodenproben, die die Mitglieder
       im Oktober gesammelt hatten, konnten bis heute nicht wissenschaftlich
       untersucht werden. „Sie sollten in Laboren getestet werden“, sagt
       Umweltingenieurin Abeer Butmeh, die die Untersuchungen koordiniert hat, im
       Gespräch mit der taz. Doch die Labore in Gaza seien durch den Krieg
       zerstört. Butmeh selbst lebt nicht in Gaza, sondern in Nablus und arbeitet
       in Ramallah.
       
       Dass Umwelt und damit auch die Landwirtschaft massive Schäden erlitten hat,
       bestätigen verschiedene Berichte der Vereinten Nationen (UN). Mitte
       November stellte ein [1][Sonderausschuss des UN-Menschenrechtsbüros in
       einem Bericht sogar fest, die israelische Regierung setze Hunger als
       Kriegswaffe] ein. Diese Methoden der Kriegsführung erfüllten die Merkmale
       eines Völkermordes.
       
       Der Bericht dokumentiert die Entwicklungen zwischen dem 7. Oktober 2023 bis
       zum Juli 2024. Die nach dem Überfall der radikalislamischen Hamas auf den
       Süden Israels, bei dem mehr als 1.200 Menschen ermordet wurden und rund 200
       Geiseln genommen wurden, erfolgten Bombardierungen der israelischen
       Luftwaffe hätten „eine Umweltkatastrophe ausgelöst, die dauerhafte
       Auswirkungen auf die Gesundheit haben wird“, heißt es darin. Nicht nur
       Häuser seien zerstört worden, sondern auch Wasser- und Abwassersysteme,
       Agrarflächen seien toxisch verschmutzt.
       
       ## UN Bericht: toxische chemische Kontaminationen von Wasservorräten
       
       Das UN-[2][Umweltprogramm Unep hatte bereits im Juni einen Bericht zu den
       Umweltfolgen des Konflikts veröffentlicht]. Darin konstatieren die
       Expert*innen nicht nur massive Zerstörungen, sondern auch toxische
       chemische Kontaminationen weiter Flächen und Wasservorräte.
       
       „Die israelische Besatzung hat Entwicklungsprojekte in allen Gebieten Gazas
       ins Visier genommen“, sagt Umweltingenieurin Butmeh. Solar- und Kläranlagen
       seien komplett oder teilweise zerstört. „Manche Menschen trinken
       Salzwasser, weil es kein frisches Wasser gibt.“
       
       Die Organisation Oxfam warnte in der vergangenen Woche, Israel habe die
       verfügbare Wassermenge in Gaza auf weniger als fünf Liter pro Tag und
       Person reduziert – das entspräche weniger als einer Toilettenspülung.
       Israel liefert mit drei Pipelines das Wasser nach Gaza. Mindestens eine
       davon ist beschädigt.
       
       Tatsächlich soll die Umweltsituation in Gaza schon vor dem 7. Oktober 2023
       „katastrophal“ gewesen sein, sagt Butmeh. Nachdem die Hamas die Kontrolle
       über Gaza übernommen hat, kontrollierte Israel über Grenzübergänge die
       Lieferungen von Nahrungsmitteln, Pestiziden oder Benzin. Im Jahr 2022
       litten laut UN bereits rund 65 Prozent der Bevölkerung an mäßiger oder
       starker Ernährungsunsicherheit, Landwirte waren durch die seit 2007
       verhängte israelische Blockade eingeschränkt.
       
       ## Kriegsformen, die die Umwelt nachhaltig schädigen, sind völkerrechtlich
       verboten
       
       „Gaza war unter einer See- und Landblockade. So gab es zu wenig Treibstoff
       für Kläranlagen. Unbehandeltes Abwasser landete im Meer oder verseuchte das
       Grundwasser“, erzählt Butmeh.
       
       Kriegsformen, die die Umwelt nachhaltig schädigen, sind völkerrechtlich
       verboten. Ein Zusatzprotokoll zu den Genfer Abkommen verknüpft nachhaltige
       Umweltschäden mit dem humanitären Völkerrecht. Wenn Mittel der
       Kriegsführung lang andauernde und schwere Schäden der natürlichen Umwelt
       verursachen, sind sie nicht zulässig. Die USA, der größte Waffenlieferant
       an Israel, haben dieses Zusatzprotokoll nicht ratifiziert.
       
       Butmeh berichtet, dass auch die Gewalt durch [3][israelische Siedler im
       Westjordanland] nach dem 7. Oktober angestiegen sei. Siedler*innen
       zerstörten mit Baggern Dörfer und Felder, Bauern würden durch
       Straßensperren daran gehindert, an ihre Felder zu kommen. „In vielen Fällen
       werden Landwirte auch verhaftet, wenn sie auf ihren Feldern arbeiten.
       Israelische Soldaten oder bewaffnete Siedler sagen ihnen, das Land gehöre
       den Israelis.“ Ihre Tanten könnten beispielsweise nicht zu ihren
       Olivenhainen.
       
       ## Israelische Behörden beschlagnahmen Felder
       
       Die landwirtschaftliche Genossenschaft „Wurzeln des Himmels“ berichtet,
       dass ihre Felder von israelischen Behörden beschlagnahmt wurden. Sie hatte
       in der Nähe der nach internationalem Recht illegal von Israel gebauten
       Mauer Gemüse angebaut. Farmer aus der Nähe von Ramallah berichteten laut
       arabischen Medien, israelische Soldaten „kommen und schießen auf uns“.
       
       Erneuerbare Energien, Wasseraufbereitung, ökologischer Anbau – in solche
       Projekte in Gaza flossen in den vergangenen Jahren Gelder der GIZ, der
       Weltbank und EU. Ob von den Anlagen noch etwas übrig ist, ist fraglich.
       
       Umweltingenieurin Butmeh gibt trotzdem nicht auf. „Wir gehen weiter gegen
       die israelischen Verstöße vor, um unsere Projekte zu reparieren, umzusetzen
       und Umweltgerechtigkeit in Palästina zu erreichen.“
       
       20 Nov 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.ohchr.org/en/press-releases/2024/11/un-special-committee-finds-israels-warfare-methods-gaza-consistent-genocide
   DIR [2] https://www.unep.org/resources/report/environmental-impact-conflict-gaza-preliminary-assessment-environmental-impacts
   DIR [3] /Siedlungsbau-im-Westjordanland/!6043087
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Julia Neumann
       
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