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       # taz.de -- Ökologische Bestattungsalternative: Geh mit Gott, aber geh umweltverträglich
       
       > Zurück zur Erde: Die Reerdigung gilt als nachhaltige Bestattungsform, die
       > den CO₂-Ausstoß vermeidet. Trotzdem ist sie in Berlin nicht zugelassen.
       
   IMG Bild: Auf Stroh gebettet: Zumindest in Schleswig-Holstein sind Reerdigungen im Rahmen eines Pilotversuchs gestattet
       
       Berlin taz | Nachhaltigkeit geht auch nach dem Tod. Das verspricht
       zumindest eine „Reerdigung“ genannte neue Bestattungsform. Der Tote wird
       dabei in einem sargähnlichen Behälter auf Klee, Lupinen und Stroh gebettet.
       Danach wird der Sarg luftdicht abgeschlossen. Natürliche Mikroorganismen
       zersetzen den Leichnam innerhalb von 40 Tagen.
       
       Übrig bleiben Erde, das Skelett und Metallteile, die möglicherweise im
       Körper waren. Die Knochen werden gemahlen und können gemeinsam mit der Erde
       in einem abbaubaren Leichentuch bestattet werden. Die Methode ist definitiv
       umweltverträglich.
       
       Anders als bei einer Einäscherung werden keine fossilen Brennstoffe
       benötigt. Die Temperaturen von 70 Grad, die zur Zersetzung des Toten
       notwendig sind, erzeugen die Mikroorganismen selbst. Die neue Erde wird
       schließlich auf dem Friedhof „in der bodenaktiven Schicht eingebracht, wo
       sie ihre Nährstoffe an die Pflanzen weiterreichen kann“, so der Anbieter
       Meine Erde, ein Berliner Start-up. Geworben wird mit fruchtbarem Boden, auf
       dem dann die Grabpflanzen gut wachsen könnten. Sogar der Sarg könne im
       Anschluss wieder verwendet werden.
       
       Allerdings ist die Bestattungsform in Berlin nicht zugelassen – wie in fast
       allen anderen Bundesländern. [1][Lediglich in Schleswig-Holstein darf im
       Rahmen eines Pilotversuchs reerdigt werden.] Die so entstandene Erde darf
       dabei sowohl in Schleswig-Holstein als auch in Hamburg und
       Mecklenburg-Vorpommern auf Friedhöfen ausgebracht werden. Berliner wurden
       zwar auch schon reerdigt, so Meine Erde-Gründer und -Geschäftsführer Pablo
       Metz, aber eben „leider“ nicht in Berlin.
       
       ## SPD-Mann kämpft für Legalisierung
       
       Der SPD-Abgeordnete Lars Düsterhöft setzt sich für die Zulassung der
       Reerdigung in Berlin ein. Er fuhr nach Schleswig-Holstein, informierte sich
       dort über die Methode, lud Vertreter der Religionsgemeinschaften zu sich
       ins Abgeordnetenhaus ein und nahm dort viel Offenheit wahr, wie er der taz
       sagt.
       
       Anders sieht es bei der Berliner Gesundheitsverwaltung aus. Der Senat sehe
       gegenwärtig keinen Handlungsbedarf, die neue Bestattungsform zuzulassen.
       „Dies gilt insbesondere im Hinblick darauf, dass für eine Bewertung
       zunächst die Ergebnisse des Probebetriebes aus Schleswig-Holstein
       abgewartet werden sollten“, sagt Oliver Fey, der Sprecher von
       Gesundheitssenatorin Ina Czyborra (SPD).
       
       Für die Zulassung der Reerdigung müsste in Berlin zudem das
       Bestattungsgesetz geändert werden. Das sei aber „in dieser
       Legislaturperiode aufgrund der fehlenden Grundlage im Koalitionsvertrag
       nicht realistisch“.
       
       Deutlicher formuliert: Anders als in der SPD-Fraktion hat man bei der CDU
       Bedenken. Immerhin, sagt SPD-Mann Düsterhöft, habe die Union „nach langen
       Debatten jetzt aber einem wissenschaftlichen Fachgespräch zugestimmt mit
       dem Ziel, die Beisetzung der reerdigten Erde in Berlin zu prüfen“.
       
       ## Enormer jährlicher CO₂-Ausstoß durch Feuerbestattung
       
       Abgesehen von dem Pilotprojekt in Schleswig-Holstein sind in Deutschland
       nur zwei Bestattungsformen erlaubt: Erdbestattung und Feuerbestattung. Laut
       einer Umfrage innerhalb der Bestatterinnung von 2022 werden 78 Prozent der
       Verstorbenen eingeäschert. Klingt pietätlos, ist aber wissenschaftlich
       erforscht: Nach einer Erhebung der Technischen Universität Rosenheim stoßen
       deutsche Krematorien dabei jährlich etwa 100.000 bis 250.000 Tonnen CO2
       aus. Nicht nur der Leichnam wird verbrannt, auch der Holzsarg, in dem er
       liegt.
       
       Düsterhöft, der seinen Wahlkreis in Treptow-Köpenick hat, hat als
       Abgeordneter auch das Krematorium im Ortsteil Baumschulenweg besucht: „Ich
       wollte verstehen, was mit Toten passiert und ich will mich mit den
       Argumenten der Gegner der Reerdigung auseinandersetzen können.“
       
       Eines der Gegenargumente: Der Reerdigung fehle es an Pietät, die andere
       Bestattungsformen aufweisen würden. „Ich konnte aber im Krematorium, bei
       allem Respekt für die Mitarbeiter dort, einen wenig pietätvollen Umgang mit
       den Toten erkennen“, sagt Düsterhöft. Ihm zufolge liege das schlicht an der
       großen Zahl von 17.000 Einäscherungen in den [2][Krematorien Baumschulenweg
       und Ruhleben] zusammen. „Das ist eine Massenabfertigung und bei der großen
       Zahl geht es auch nicht anders.“
       
       Zu den Bedenkenträgern gehören dann auch Vertreter der Bestatterinnung.
       Die verweist etwa darauf, dass wissenschaftlich noch nicht untersucht sei,
       ob die entstandene Erde möglicherweise Krankheitserreger enthalte und davon
       eine Gesundheitsgefahr ausgehe. Tatsächlich gab es dazu zwar eine
       Untersuchung der Universität Leipzig mit einer optimistischen Einschätzung.
       Allerdings wurden auch nur zwei Probanden untersucht.
       
       ## Bestatterprofite durch Sargverkauf und Einäscherung
       
       Lars Düsterhöft macht das Argument dennoch richtiggehend wütend: Bei
       Erdbestattungen würden die Leichname mitsamt ihren Krankheitserregern
       bestattet werden, sagt der SPD-Politiker. Bei der Reerdigung würden
       Mikroorganismen sie hingegen bei 70 Grad zersetzen.
       
       Tatsächlich, räumt er ein, entstünden bei einer Feuerbestattung höhere
       Temperaturen, das garantiere, dass Erreger absterben. Trotzdem hält er das
       Argument für vorgeschoben. „In meinen Augen ist die Kritik monetär bedingt.
       Mit einer Reerdigung können weniger Särge verkauft und weniger
       Einäscherungen vorgenommen werden.“
       
       Warum sich der Politiker so sehr für die neue Bestattungsform einsetzt?
       Düsterhöft sagt: „Ich möchte den Menschen die Freiheit geben, sich für eine
       Bestattungsform ohne CO2-Ausstoß zu entscheiden.“
       
       Das war auch für Pablo Metz von Meine Erde das Motiv, die Bestattungsform
       zu entwickeln und zu vermarkten. „Ich wollte etwas gegen die Klimakrise
       tun. Und als ich mit meiner Großmutter über ihren Bestattungswunsch
       gesprochen hatte, sagte sie, sie wünsche sich weder Erd- noch
       Feuerbestattung.“
       
       ## Positionierung der Kirche noch offen
       
       Die Entwicklung eines Massenphänomens wäre gleichwohl auch dann nicht zu
       erwarten, wenn Reerdigungen in Berlin zugelassen werden. Schließlich sind
       sie deutlich teurer als Feuerbestattungen.
       
       In Berlin würde es zudem ohne das Einverständnis der evangelischen Kirche
       nicht wohnortnah gehen. Denn ihr gehört gut die Hälfte [3][der 220
       Friedhöfe in der Stadt]. Und die Kirche ringt noch um eine abschließende
       Position, etwa zu wirtschaftlichen und kirchenrechtlichen Aspekten der
       Reerdigung, erklärt deren Sprecherin Charlotte von Kielmansegg.
       
       „Theologisch-ethisch ist die Frage entscheidend, ob der Umgang mit den
       Toten, mit Tod, Trauer und Bestattung die Kriterien des Angemessenen,
       Würdigen und Liebevollen erfüllt“, stellt sie klar.
       
       23 Nov 2024
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
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