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       # taz.de -- Star der arabischen Musik: Fairouz, eine lebendige Legende
       
       > Die Sängerin Fairouz ist ein Symbol libanesischer Einheit. Ihre Lieder
       > werden bis heute und aktuell wieder viel gespielt. Jetzt ist sie 90
       > geworden.
       
   IMG Bild: Diva Fairouz, eine der beliebtesten Sängerinnen der arabischen Welt, während eines Konzerts in Beirut, am 7. Oktober 2010
       
       Berlin taz | Als [1][die israelischen Luftangriffe auf dem Libanon] im
       Oktober 2024 zunahmen und das israelische Militär im Südlibanon
       einmarschierte, spielte das öffentlich-rechtliche Radio „Radio Liban“ jeden
       Tag fast stündlich Lieder von Fairouz – insbesondere solche, in denen sie
       den Libanon und seine Geschichte besingt. Denn auf die Sängerin Fairouz,
       die jetzt 90 Jahre alt geworden ist, können sich bis heute fast alle
       Libanesen einigen.
       
       „Seele des Libanon“, Nationalsymbol, arabische Kulturbotschafterin oder gar
       Ikone der arabischen Welt – Fairuz hat im Laufe ihres Lebens viele
       Ehrentitel erhalten. Sie hat über 1.000 Lieder und 80 Alben eingespielt,
       die sich – ob als Kassette, Schallplatte oder CD – über 150 Millionen Male
       verkauften, und sie hat bis heute Millionen von Fans.
       
       Die nackten Zahlen beschreiben ihren Erfolg und ihre Bedeutung aber nicht
       annähernd. Fairouz verwandelt Emotionen in Gesang: Liebe, Verlust, Trauer,
       Sehnsucht hat sie besungen, genauso wie die Hoffnung auf Frieden, einen
       geeinten Libanon und ein freies palästinensischen Volk. Kunst sei für sie
       „wie ein Gebet“, sagte sie einmal.
       
       Ihre Stimme erzählt Geschichten über das glückliche, blühende Dorfleben wie
       über die tiefe Trauer und Traumata der Kriegsjahre, die viele
       Libanes:innen ins Exil trieben. Ihre Lieer eroberten auch deshalb die
       Herzen der großen libanesischen Diaspora, von denen viele ein romantisches,
       manchmal auch etwas verklärtes Bild ihrer alten Heimat haben und sich nach
       eben dieser Heimat als friedlich vereinter Idylle sehnen.
       
       „Wenn man sich den Libanon heute anschaut, sieht man, dass er keine
       Ähnlichkeit mit dem Libanon hat, über den ich singe“, sagte Fairuz in einem
       Interview, bereits im Jahr 1999. Das Publikum suche einen Libanon in ihren
       Liedern, den es so vielleicht nie gegeben habe. „Es ist, als ob die Lieder
       zu ihrem Land geworden sind.“
       
       ## Ihr Auftritt in Baalbek machte sie berühmt
       
       Fairuz stammt aus einer christlichen maronitischen Arbeiter-Familie, die im
       Zuge des Völkermords an den Armeniern aus der heutigen Türkei in den
       Libanon geflohen waren. Sie wurde 1935 in Jabal al Arz geboren, einem Ort
       im Schouf-Gebirge, studierte am staatlichen Musikkonservatorium und sang
       beim staatlichen Rundfunkchor des Libanon. Dort gab ihr der Komponist Halim
       al-Roumi den Spitznamen Fairuz („Türkis“).
       
       1957 trat sie bei einem Festival in Baalbek vor der beeindruckenden Kulisse
       des antiken römischen Tempels auf und erlangte dadurch nationale
       Bekanntheit. Die Ruinenstadt Baalbek ist jetzt wieder in den Schlagzeilen,
       [2][weil die israelische Luftwaffe den Ort bombardiert].
       
       1955 heiratete sie den Musiker und Komponisten Assy Rahbani, der mit seinem
       Bruder Mansour den Stil von Fairuz prägte. Sie mischten westliche,
       russische und lateinamerikanische Elemente mit klassisch arabischen
       Rhythmen zu einem modernen Orchestersound. Ihre Lieder trafen den Nerv
       einer Zeit, in der viele arabischsprachige Länder nach dem Kolonialismus
       und der Staatsgründung Israels im Jahre 1948 nach einer nationalen
       Identität suchten. Nicht zuletzt durch ihre Lieder über Palästina stieg
       Fairuz in der Ära des arabischen Nationalismus zu einer Ikone auf.
       
       Fairuz' Lieder wurden in belebten Restaurants gespielt, sie hallten an den
       Fronten des libanesischen Bürgerkriegs zwischen 1975 und 1990 wider, und
       erklangen in den Nachkriegsjahren erneut in vielen Häusern und Cafés.
       Gemeinsam mit der Sängerin Um Kulthum ist Fairuz bis heute zweifellos der
       größte Star im arabischsprachigen Raum. Anders als die Ägypterin, die 1975
       starb, ist sie aber eine lebende Legende.
       
       ## Symbol libanesische Einheit
       
       Während des Bürgerkriegs weigerte sie sich, aus ihrem Land zu fliehen. Sie
       blieb in der Hauptstadt Beirut, damals eine geteilte Stadt. Der Sängerin
       gehörte ein Haus im Westen und eins im Osten, die sie je nach
       Sicherheitslage bewohnte. Zu dieser Zeit weigerte sie sich, im Libanon
       aufzutreten, weil jede Gruppe, die das Gebiet kontrollierte, versuchen
       könnte, sie durch ein Konzert zu instrumentalisieren, sagte Fairouz der New
       York Times nach dem Krieg.
       
       Als sie 1994 nach über 15 Jahren wieder in ihrem Land sang, trat sie im
       Zentrum Beiruts auf dem Märtyrer-Platz auf, strategisch an der Kreuzung
       zwischen Ost- und Westbeirut. Sie hat das Land vereint, wie es kein
       Politiker oder noch so charismatischer Anführer vermochte.
       
       Auch in Frankreich ist sie ein Star. Einst trat sie in den größten Hallen
       von Paris auf. Selbst der französische Präsident weiß um ihre Strahlkraft.
       Als Emmanuel Macron nach [3][der Explosion im Hafen von Beirut im Jahr
       2020] in den Libanon reiste, besuchte er nicht zuerst den
       Ministerpräsidenten, sondern zuallererst Fairuz, die Grande Dame – „um den
       politischen Tonfall zu ändern“, wie der Guardian titelte.
       
       Zuvor hatte Macron politische Anführer getroffen, Hilfskonferenzen
       organisiert oder gedroht, Hilfen zu entziehen, um die korrupte politische
       Elite zu Reformen zu bewegen. Indem er Fairuz den Orden der Ehrenlegion
       verlieh, die höchste Auszeichnung Frankreichs, betrieb er erfolgreiche
       Symbolpolitik. Sie repräsentiere für ihn, „einen Libanon, und auf den viele
       warten, eine Nostalgie, die viele haben“, sagte Macron, der Vertreter der
       alten Kolonialmacht. Die Libanes*innen teilten ein Foto des Treffens
       und witzelten: „Die Diva trifft Fairouz.“
       
       ## Evergreens in Dauerschleife
       
       Obwohl Fairouz sich seit Jahren aus der Öffentlichkeit zurückgezogen hat,
       ist sie noch immer präsent, denn ihre Lieder laufen bis heute in
       Dauerschleife: In Minibussen oder Taxen singen die Menschen die Texte mit,
       Cafés und Restaurants spielen ihre Songs, sogar in Berlin tönen sie aus
       Autos und in libanesischen Restaurants. Denn es sind Evergreens.
       
       [4][Das Lied „Li Beirut“], ein Liebeslied an ihre vom Krieg geplagte Stadt,
       dröhnte bei den Massenprotesten 2019 aus den Lautsprechern, erklang nach
       der Hafen-Explosion 2020 bei den Aufräumarbeiten auf der Straße, und es
       wird jedes Jahr beim zivilgesellschaftlichen Protest für die Aufklärung
       dieses traumatischen Vorfalls gespielt -„An Beirut, von meinem Herzen ein
       Friedensgruß an Beirut.“
       
       Körper, Sinne, Herz und Verstand verneigten sich vor der „Kehle dieser
       unsterblichen Frau“, schreibt die libanesische Zeitung Annahar zu ihrem
       Geburtstag. „Wir werden dich weiter lieben, bis die Welt gerettet ist.“
       
       21 Nov 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Evakuierung-in-Libanon/!6042946
   DIR [2] /Evakuierung-in-Libanon/!6042946
   DIR [3] /Jahrestag-der-Hafen-Explosion-im-Libanon/!6027814
   DIR [4] https://youtu.be/u0xLvBEOPm0?si=XR_6Fx-C0PQW3sNA
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Julia Neumann
       
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