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       # taz.de -- Neues Buch von Filmemacher Klaus Maeck: Das Virus im Quicktime-Garten
       
       > Das Buch „Volle Pulle ins Verderben“ des Hamburger Produzenten Klaus
       > Maeck beleuchtet die Punk-Frühzeit. Es zeugt von einem Leben für den
       > Undergroundfilm.
       
   IMG Bild: Hinten hängen Buttons: Klaus Maeck, dritter von links mit Stammkunden im Plattenladen „Rip Off“, Hamburg 1979
       
       „Lass es mich so sagen: Gibt es auf der Welt irgendwo Stunk, ist meistens
       Kunst am Werk“, behauptet der reiche Schnösel Bertie Wooster seinem Butler
       gegenüber im Roman „Der unvergleichliche Jeeves“ von P. G. Wodehouse.
       Wodehouse, der britische Autor des Fin de Siècle, liefert keine weiteren
       Belege für die etwas herablassend vorgetragene steile These. Kammerdiener
       Jeeves pflichtet ihm pflichtbewusst bei.
       
       Bestätigen lässt sie sich auf jeden Fall am Werk des Hamburger
       Musikverlegers und Filmproduzenten Klaus Maeck. Anders als Bertie Wooster
       stammt Maeck aus eher bescheidenen Verhältnissen in Hamburg-Poppenbüttel.
       In diese kehrt er nun nochmal symbolisch zurück.
       
       „Volle Pulle ins Verderben“ ist Maecks Buch mit Erinnerungen und Storys
       betitelt, das Täuschungsmanöver nimmt schon beim Titel seinen Lauf. Was
       nach „lustigem Taschenbuch“ und Speedpunk-Actionthriller klingt, ist einer
       mexikanischen Raubkopie von [1][Fatih Akins Erfolgsfilm „Gegen die Wand]“
       entlehnt.
       
       ## Spärliche Glücksmomente
       
       Mal blinkt Maecks Leben in der Subkultur darin autobiografisch auf, dann
       wieder wird es fiktional aufgeladen und mit surrealer Verve versehen.
       Anders auch, als es der Titel vermuten lässt, sind darin Scheitern und
       Neubeginn unsentimental geschildert. „Immerhin habe ich gelernt, spärliche
       Glückmomente zu nutzen, um Energie zu tanken.“
       
       Die Energie ist in „Volle Pulle ins Verderben“ spürbar. Trotz inzwischen
       großem Œuvre fällt Klaus Maeck oft hinten runter. Das sagt er selbst auch,
       obwohl viele Fäden über ihn zusammenlaufen, Themen multipliziert und Leute
       miteinander verzahnt werden. Für das, was er seit den späten 1970ern für
       die Subkultur hierzulande erreicht hat, müsste er viel bekannter sein.
       Angefangen mit dem Plattenladen „Rip Off“, den er im April 1979 in Hamburg
       eröffnete und bis 1983 führte.
       
       Zum Gespräch sind wir an den alten Tatorten im Karolinenviertel verabredet.
       Nach Punk sieht dort im Herbst 2024 nichts mehr aus, die meisten Häuser
       sind auf Hochglanz renoviert, die Gegend ist weitgehend gentrifiziert,
       schmucke Boutiquen reihen sich an hippe Cafés. In nächster Nähe befinden
       sich vier Plattenläden, scheinbar funktioniert ihr Nebeneinander.
       
       ## Feldstraße/Glashüttenstraße
       
       An der Ecke von der Feldstraße zur Glashüttenstraße eröffnete Maeck im
       April 1979 seinen eigenen Laden ([2][den es unter dem Namen Ruff Trade noch
       an gleicher Stelle gibt]). Damals existierte weder ein Treffpunkt für die
       lokale Punkszene noch ein Laden, der ihre unabhängig produzierten Alben und
       Singles angeboten hätte. Mindestens so wichtig wie Tonträger war das
       Geschäft mit Badges, Ansteckern, die Maeck zunächst aus England importiert
       und dann selbst herstellt.
       
       Zufall war ein Faktor. [3][Den Konzertveranstalter Alfred Hilsberg lernt er
       1977 kennen], während er seinen Unterhalt als Taxifahrer verdient. Hilsberg
       unterhält sich mit einem weiteren Passagier über Punk, Maeck schaltet sich
       ins Gespräch ein, Beginn einer langen Freundschaft. Während Maeck ins
       Hinterzimmer von „Rip Off“ zieht, gründet Hilsberg zwei Häuser weiter in
       seinem Zimmer in einem Hinterhaus an der Glashüttenstraße ein eigenes
       Label. Gearbeitet wird meist vom Bett aus, erinnert Maeck.
       
       Das Karoviertel war damals Zentrum der Hamburger Subkultur, um die Ecke in
       der Markstraße ist die Buchhandlung „Welt“ von Hilka Nordhausen und die
       Kneipe „Markstube“. An die Buchhandlung erinnert inzwischen an ehemaliger
       Stätte eine Plakette.
       
       ## Musik im Drehbuch mitdenken
       
       Den 1954 geborenen Maeck nimmt man heute am ehesten als Produzent der Filme
       von Fatih Akin wahr. Um die Jahrtausendwende hatte Maeck Akin, der genervt
       war von den Publishing-Consultants der Major Labels, in Musikfragen
       beraten. Sie gründeten eine Produktionsfirma. Maeck lobt seinen
       Geschäftspartner, dieser würde „bereits im Drehbuch die Rolle von Musik in
       seinen Filmen mitdenken“. Das sei zu Punkzeiten anders gewesen.
       
       Damals mussten erst mal die Produktionsmittel angeeignet werden. Kleine
       Labels gegründet, Platten selbst herausgebracht werden. An dieser Umwälzung
       in Westdeutschland war Maeck von Anfang beteiligt. Er weitet „Rip Off“ vom
       Plattenladen zum Tonträgervertrieb aus, geht damit allerdings pleite, als
       Major Labels die Neue Deutsche Welle mit Schlager zu Tode reiten. Mehr
       Glück hat Maeck bei der Gründung des Musikverlags Freibank, mit dem er etwa
       [4][Abwärts] und [5][den Einstürzenden Neubauten] die Rechte an ihrer Musik
       sichern hilft.
       
       Von Anfang an hatten es ihm auch die Bilder angetan. Erste
       Super-8-Filmrollen wurden noch im Fotoladen geklaut. 1979 schuf er dann
       selbst Filme. Zuerst Flickerfilme, etwa „Denn sie wissen nicht, was sie tun
       sollen“: eine zehnminütige „Westside Story“ im Hamburger Subkulturmilieu,
       die Hauereien zwischen Punks und Teds in einer Art Choreografie festhält.
       
       ## In Deutschland kein Kultfilm
       
       Dann zusammen mit Trini Trimpop und Muscha (Jürgen Muschalek) den Spielfilm
       „Decoder“ (1982), für den Maeck das Drehbuch geschrieben, den er produziert
       hat. Er gründet die Produktionsfirma „Fettfilm“. Zumindest im Ausland ist
       „Decoder“ zum Kult avanciert. In Italien hat sich eine unorthodoxe linke
       Zeitschrift nach dem Film benannt, aus diesem Umfeld ging in den Achtziger
       die Hackerszene hervor.
       
       In Japan, USA und England kamen jeweils Videoversionen, später DVDs des
       Films auf den Markt. Der Soundtrack, komponiert von Dave Ball (Soft Cell),
       FM Einheit (Abwärts/Neubauten) und Genesis P-Orridge (Throbbing Gristle),
       ist so gut, dass er auch ohne Film als Industrial-Funk-Synthpop-Meisterwerk
       funktioniert. In Deutschland bleibt „Decoder“ bestenfalls Geheimtipp.
       
       Dabei hat der Film eine prophetische, medienkritische Botschaft. Im Zentrum
       steht ein Konzern, der die Kunden einer Fastfood-Kette mit Muzak einlullt,
       wogegen ein Musiker (FM Einheit) aufbegehrt, der die Muzak mit Krach und
       Feedbackschleifen aus dem Walkman subvertiert. An seiner Seite ist die
       Sexarbeiterin Christiane (Christiane F), damals Sündenbock der
       Springerpresse. In Klaus Maecks kreativem Umfeld fand sie Wege aus ihrer
       Drogensucht.
       
       ## Elektronische Revolution
       
       Auch der Schriftsteller William S. Burroughs taucht in „Decoder“ in einem
       Cameo auf und nimmt einen Kassettenrekorder auseinander. [6][Wie in seinem
       Essay „Elektronische Revolution“] angeleitet, werden in „Decoder“ Geräte
       gegen die Gebrauchsanweisung benutzt und stiften Aufruhr. In den
       postorwellianischen Zeiten von Elon Musk und Google wirkt „Decoder“ null
       Komma null naiv, wie er von der bornierten deutschen Filmkritik in den
       1980ern heruntergeputzt wurde. „Information ist wie eine Bank. Unser Job
       ist es, die Bank auszurauben“, bekundet Genesis P-Orridge, der in „Decoder“
       als Sektenführer auftritt.
       
       Schon zu Schülerzeiten war Maeck an angloamerikanischer
       Underground-Literatur interessiert, begeisterte sich für die Werke von
       William S. Burroughs. Mitte der 1970er brachte er die Zeitschrift „Cooly
       Lully“ heraus, arbeitete im linken Hamburger Buchladen „Schwarzmarkt“. Da
       ist er längst von zu Hause weg. Als Fünfjähriger erlebt Maeck, wie sein
       jüngerer Bruder Max von einem Lkw überrollt wird.
       
       Die Mutter kommt über den Tod nie hinweg. Seinen Vater, in der NS-Zeit bei
       der Waffen-SS, erlebt Klaus Maeck nur als prügelndes Ekel, das die Mutter
       misshandelt. Das Text-Ich sucht sich bald Ersatzväter in Literatur und
       Musik (Captain Beefheart). Familiäres Trauma wird Maecks Leben begleiten,
       auch wenn er schon in der Pubertät gegen die Enge des Alltags rebelliert,
       die Schule vorzeitig abbricht und auszieht.
       
       ## Dias de los Muertos
       
       In „Volle Pulle ins Verderben“ findet Maeck Trost auf Reisen. Mexiko, Peru,
       China, reportageartig taucht er ein in fremde Welten und blendet ab, bevor
       es zu ethnografisch wird. Nach Mexiko kehrt er regelmäßig zurück, um der
       mehrtägigen traditionellen Totenfeier „Dias de los muertos“ beizuwohnen.
       
       Die elf Kapitel im Buch mischen Autofiktion mit Interviewausschnitten und
       Drehbuchskizzen. Zwischen jedem Kapitel ist eine Collage gesetzt. Zum
       Finale in einem lakonisches Cut-up-Gedicht mit unterschiedlichen
       Schrifttypen, blitzt die Medienguerilla kurz auf: „Virusarten im
       Quicktime-Garten der Ewigkeit“, Ende offen, trotzdem alles gut. Die
       Begebenheiten mögen haarsträubend sein, Klaus Maeck hat sie aufgeschrieben,
       das Anverwandeln hilft ihm beim Sortieren des Erlebten.
       
       21 Nov 2024
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Julian Weber
       
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