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       # taz.de -- Aktionäre wollen Entschädigung: Mammutprozess um Wirecard-Skandal beginnt
       
       > Das Musterverfahren gegen Ex-Manager und Wirtschaftsprüfer des
       > mutmaßlichen Betrugskonzerns startet. Tausende Anleger haben Ansprüche
       > angemeldet.
       
   IMG Bild: Der Wirecard-Musterprozess: die Verhandlung zu Schadenersatzansprüchen tausender Aktionäre hat begonnen
       
       München taz | Ist da noch was zu holen für die geprellten Anleger des
       [1][Wirecard]-Konzerns, der im Juni 2020 Knall auf Fall zusammengekracht
       war? Darüber verhandelt seit Freitag das Bayerische Oberlandesgericht in
       einem sogenannten Kapitalanleger-Musterverfahren.
       
       Das bedeutet: Stellvertretend für die vielen Aktionäre wird die Klage eines
       Geschädigten gegen die früheren Wirecard-Verantwortlichen grundsätzlich vor
       Gericht behandelt und entschieden, ob und von wem eine Entschädigung zu
       leisten ist. Dieses Urteil liefert dann eine klare Richtung, wie mit den
       vielen anderen mutmaßlich betrogenen Aktionären umzugehen ist.
       
       Es geht um sehr viel Geld, und es ist ein Prozess, der in vielerlei
       Hinsicht die Dimensionen sprengt. Das beginnt mit dem Ort: Verhandelt wird
       nicht in einem Gerichtssaal, sondern an der Messe München im großen
       Wappensaal. Denn dort ist deutlich mehr Platz für die vielen
       Verfahrensbeteiligten, Zuschauer und Journalisten.
       
       Insgesamt haben 8.500 Aktionäre Ansprüche angemeldet gegenüber den
       Wirecard-Managern um Vorstandschef Markus Braun sowie der
       Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst and Young (EY) mit Hauptsitz in
       Stuttgart, [2][welche über Jahre die mutmaßlich gefälschten
       Wirecard-Bilanzen abgesegnet hatte].
       
       ## Ansprüche von insgesamt 750 Millionen Euro
       
       Um 10.20 Uhr eröffnet die Vorsitzende Richterin Andrea Schmidt, Präsidentin
       des Obersten Landesgerichtes, die Verhandlung. Der Saal bietet ein
       beeindruckendes Bild. Vorne unter der Richterbank sitzen sich Kläger und
       Beklagte gegenüber, dann kommen mehrere Reihen mit sogenannten
       „Beigeladenenvertretern“. Das sind an die 80 Anwälte, die verschiedene
       Aktionäre vertreten.
       
       Dahinter sitzen die Medien und an die 80 Zuschauer. Der Saal ist 100 Meter
       lang und 40 breit, die mit Intarsien verzierte Decke befindet sich sehr
       weit oben in 20 Metern Höhe. An den Wänden sind prunkvolle Wappen
       verschiedener bayerischer Städte angebracht – Straubing, Bamberg,
       Rosenheim.
       
       Insgesamt geht es um Ansprüche von 750 Millionen Euro, die sich die Kläger
       holen wollen. Es ist ein Zivilverfahren, das anderen Regeln folgt als ein
       Strafprozess. Nicht zu verwechseln ist es mit dem Prozess, [3][der seit
       Ende 2022 gegen Markus Braun] und die Manager Oliver Bellenhaus sowie
       Stephan von Erffa im Hochsicherheits-Gerichtssaal am Gefängnis Stadelheim
       läuft.
       
       Die drei, Markus Braun ist weiterhin in Haft, sind nun in der Wappenhalle
       auch beklagt, aber nicht erschienen – müssen sie in einem Zivilprozess auch
       nicht. Ebenso nicht da ist der vom Gericht bestimmte Musterkläger Kurt
       Ebert. Dieser ist ein früherer Banker und Wirecard-Aktionär. Ebert weilt,
       wie sein Anwalt Peter Mattil in einer Verhandlungspause erzählt, in den
       Wintermonaten in Südafrika.
       
       In ihrer Einführung berichtet die Richterin Schmidt knapp, wie Wirecard
       innerhalb weniger Tage implodierte, nachdem die Firma eine Mitteilung an
       die Aktionäre herausgegeben hatte, dass auf den Konten verbuchte 1,9
       Milliarden Euro nicht vorhanden seien.
       
       Den Aktionären, die – wenn überhaupt – nur einen Bruchteil ihres Verlustes
       zurückerhalten könnten, macht Schmidt ein wenig Hoffnung. Sie meint, sie
       denke bei Zivilverfahren immer an eine „gütliche Einigung“ – darin kann man
       interpretieren, dass sie die Beklagten zumindest prinzipiell nicht für
       schuldlos hält.
       
       ## Kommt die Verjährung vor Verfahrensende?
       
       Der Prozess richtet sich, das sagen die Kläger offen, hauptsächlich gegen
       EY und deren Prüfer. Denn von den einstigen Wirecard-Führungskräften dürfte
       kaum mehr etwas zu holen sein, falls sie im Strafprozess verurteilt werden.
       Obendrein hatte Markus Braun nach eigenen Angaben den Großteil seines
       Vermögens in Wirecard-Aktien gesteckt, die nun nichts mehr wert sind.
       
       Ob sich aber EY wiederum so sehr schuldig gemacht hat, daran bestehen nach
       einer vorläufigen groben Einschätzung der Richterin gewisse Zweifel.
       Sinngemäß sagt sie über EY, dass deren Leute nicht mutwillig gelogen
       hätten, sondern ihnen falsche Zahlen gegeben worden waren.
       
       Es ist das größte Zivilverfahren, das es in der Bundesrepublik je gab. Und
       es dürfte sich über Jahre ziehen – so lange, so fürchten die Anleger, bis
       mögliche Ansprüche verjährt sind.
       
       22 Nov 2024
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Patrick Guyton
       
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