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       # taz.de -- Juso-Chef über Bundestagswahlkampf: „Das ist unsere Bedingung“
       
       > Juso-Chef Philipp Türmer über die „Shit-Show“ der SPD und was er Olaf
       > Scholz erzählen will, wenn er ihn demnächst trifft.
       
   IMG Bild: Die Jusos und ihr Vorsitzender Philipp Türmer fordern ein 1-Billion-Investitionsprogramm
       
       taz: Herr Türmer, Olaf Scholz war zum Jusokongress eingeladen, hat aber
       abgesagt. Sind Sie erleichtert oder enttäuscht? 
       
       Philipp Türmer: Ich hätte es gut gefunden, wenn er gekommen wäre. Da hätten
       wir wirklich gute Debatten gehabt.
       
       taz: Sie haben die Debatte um die Kandidatur als „Shit-Show“ bezeichnet. 
       
       Türmer: Ja.
       
       taz: Sich aber dennoch daran beteiligt. 
       
       Türmer: Aber konstruktiv – hoffe ich zumindest. Wir haben gesagt, wir
       brauchen da schnelle Entscheidungen, aber keine Selbstkrönung.
       
       taz: Jetzt hat Scholz aber doch die Krone auf.
       
       Türmer: Aber es gab keine Selbstkrönung.
       
       taz: Und finden Sie das Ergebnis ok? 
       
       Türmer: Die letzten zwei Wochen mit dieser Debatte haben uns nicht wirklich
       gutgetan. Und ich werde sie nicht wieder eröffnen.
       
       taz: Kam die Entscheidung für Scholz gerade noch rechtzeitig oder viel zu
       spät? 
       
       Türmer: Mit dem Kanzler als Kanzlerkandidat in den Wahlkampf zu ziehen,
       diese Entscheidung hätten wir auch schon vor zwei Wochen treffen können.
       
       taz: Hängen die Jusos jetzt doch Plakate mit Olaf Scholz’ Konterfei auf? 
       
       Türmer: Es ist richtig, dass Olaf Scholz sich in der Vergangenheit große
       Kritik hat anhören müssen von uns. Zuletzt rund um das Sicherheitspaket.
       Aber am Ende geht es darum, dass wir für diese Partei und für die richtigen
       Inhalte kämpfen. Und dann bin ich mir ganz sicher, dass Jusos Plakate
       aufhängen werden. Bei einem Wahlkampf, der die richtigen Schwerpunkte
       setzt, sind wir mit voller Überzeugung dabei. Das ist unsere Bedingung.
       
       taz: Die SPD steht in Umfragen bei 14 Prozent, die Union liegt mit 32
       Prozent meilenweit vorn. Wie soll man diesen Vorsprung noch aufholen? 
       
       Türmer: Indem man den Wahlkampf über die richtigen Themen und Inhalte
       führt. Da kann Dynamik entstehen.
       
       taz: Womit kann die SPD Dynamik entfachen? 
       
       Türmer: Wir haben richtige Probleme mit Wirtschaft, Wachstum und Industrie
       in diesem Land. Und das, was von der Union kommt, ist dermaßen
       rückwärtsgewandt, da heißt es, man müsse einfach das Bürger*innengeld
       abschaffen. Ach, und die wichtigste Sache: Die Cannabislegalisierung
       zurückdrehen. Das ist doch Mumpitz. Wir müssen endlich richtig investieren,
       das hat Merz und seine Union immer noch nicht gecheckt.
       
       taz: Die Jusos fordern jetzt einfach mal eine Billion für Investitionen. 1
       Billion Schulden. Echt jetzt? 
       
       Türmer: 1 Billion, das klingt im ersten Moment hoch. Aber tatsächlich ist
       das genau das Ausmaß, in dem gerade andere Industrieländer investieren. Die
       USA haben ein 1-Billion-Investitionsprogramm aufgelegt, China investiert
       gerade 774 Milliarden Euro. Wir machen all das nicht. Und das Verrückte
       ist, wenn der Staat diese Summe morgen aufnehmen würde, hätten wir immer
       noch die geringste Schuldenquote von allen Industrieländern.
       
       taz: Trauen Sie Olaf Scholz zu, der als Finanzminister sehr stark auf die
       Schuldenbremse gepocht hat, dass er sich für eine derart massive Reform
       einsetzt, die die Aufnahme solcher Summen erlaubt? 
       
       Türmer: Ich glaube, da hat er seine Meinung geändert. Am Ende ist die
       Koalition an der Schuldenbremse zerplatzt.
       
       taz: Sie fordern auch eine WG-Garantie von 400 Euro. Wieso nicht gleich
       einen generellen Mietendeckel? 
       
       Türmer: Der steht auch in unserem Antrag. Aber wir machen ja vor allen
       Dingen Politik für junge Menschen. Und die finden im Moment einfach gerade
       in den großen Städten keine WG-Zimmer mehr, die sie sich noch leisten
       können. Und das ist inakzeptabel.
       
       taz: Ministerin für Bauen und Wohnen ist Klara Geywitz von der SPD. Gab es
       da Versäumnisse? 
       
       Türmer: Offensichtlich. Beim sozialen Wohnungsbau und auch bei Azubi- und
       Studierendenwohnheimen, da ist auch etwas passiert. Aber wir wollten
       400.000 Wohnungen pro Jahr bauen. Das haben wir nicht geschafft. Da muss
       dringend mehr passieren.
       
       taz: Mit welcher progressiven Erzählung sollte die SPD in diesen Wahlkampf
       ziehen? Es reicht doch nicht, zu fordern: „Wir müssen verhindern, dass
       Friedrich Merz ins Kanzleramt einzieht.“ 
       
       Türmer: Wir wollen dieses Land rundum sanieren, so dass niemand über das
       WLAN in der Bahn verzweifelt, man nicht überall im Stau steht und nirgendwo
       einfach mal so eine Brücke zusammenbricht. Und gleichzeitig wollen wir
       endlich wieder für Verteilungsgerechtigkeit in diesem Land sorgen. Es ist
       inakzeptabel, dass jemand mit mittlerem Einkommen rund 50 Prozent an
       Steuern und Sozialabgaben zahlt, aber Milliardär*innen, die von ihren
       Kapitalerträgen leben, pauschal nur 25 Prozent auf diese Kapitalerträge
       zahlen. Ich will, dass wir wieder in einem Land leben, in dem wieder neuer
       Wohlstand erarbeitet und nicht nur alter vererbt wird. Ich finde, das ist
       eine starke Erzählung.
       
       taz: Die SPD soll sich also für eine Wiedereinsetzung der Vermögenssteuer
       oder eine Erbschaftssteuerreform starkmachen? 
       
       Türmer: Eins von beidem muss man auf jeden Fall machen.
       
       taz: Scholz hat sich nicht gerade damit hervorgetan, dass er für eine
       Vermögenssteuer gekämpft hat oder für eine faire Besteuerung von
       Erbschaften. 
       
       Türmer: Beides ist Beschlusslage der SPD. Wenn wir eins aus den letzten
       zwei Wochen mitnehmen, dann, dass Olaf Scholz der Kanzlerkandidat der SPD
       sein will. Dann gehe ich auch davon aus, dass er mit diesen SPD-Beschlüssen
       in den Wahlkampf zieht.
       
       taz: Haben Sie auch Gelegenheit, ihm das persönlich zu sagen? 
       
       Türmer: Bestimmt. Wir sind miteinander verabredet.
       
       24 Nov 2024
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Anna Lehmann
   DIR Amelie Sittenauer
       
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