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       # taz.de -- Kriegsrecht in Südkorea: Wachsam für die Demokratie
       
       > Erst vor wenigen Jahrzehnten haben sich die Koreaner ihre Demokratie
       > erkämpft. Nach dem kurzzeitig ausgerufenen Kriegsrecht sind sie bereit,
       > sie zu verteidigen.
       
   IMG Bild: Erinnerung an 1985: Tausende Studenten fordern die Absetzung des damaligen Präsidenten Chun Doo Hwan
       
       Als der 21-jährige Nam am Dienstagabend auf sein Smartphone blickt, traut
       er kaum seinen Augen. „Ich dachte: Ist das ein Film?“, erinnert sich der
       Student, der vor der Yonsei-Universität in Seoul gerade eine Raucherpause
       macht. Doch was wie ein Action-Blockbuster anmutet, ist bittere Realität:
       Militärhubschrauber, die im Mondlicht auf dem Dach des Parlaments landen.
       
       Soldaten, die die Nationalversammlung weiträumig abriegeln. Und ein
       Präsident, der von „pro-nordkoreanischen Kräften“ fabuliert. All dies
       kennen koreanische Millenials nur aus Geschichtsbüchern über die Zeit der
       Militärdiktatur. Doch spätestens seit dieser Woche ist jene überwunden
       geglaubte Vergangenheit kurzfristig wieder zurück gekehrt.
       
       „Präsident Yoon sollte zurücktreten“, findet Student Nam. Und bevor er
       wieder in die Uni huscht, fügt er noch hinzu: „Viele Ausländer denken, dass
       es jetzt gefährlich ist in Korea. Aber das stimmt nicht. An allen Unis im
       Land verteidigen Studenten ihre Demokratie.“
       
       ## Erinnerungen an frühere Staatsgewalt
       
       Seine Worte sind weit mehr als nur rhetorische Floskeln. Vor nicht einmal
       vierzig Jahren hüllten fast täglich dicke Nebelschwaden das Eingangstor der
       Yonsei-Universität ein und Polizisten gingen mit Tränengas gegen
       protestierende Studenten vor. Einer von ihnen, der damals 22-jährige Lee
       Han Yeol, wurde dabei von Sicherheitskräften getötet. Eine Tafel erinnert
       bis heute an den „Märtyrer der Demokratiebewegung“.
       
       Weil sich die Koreaner ihre Freiheit so hart erkämpft haben, sind sie
       besonders wachsam – selbst über die eigenen Lager hinweg.
       
       So hat der Vorsitzende der Regierungspartei, Han Dong Hoon, am
       Freitagmorgen unmissverständlich klargemacht: Präsident Yoon Suk Yeol müsse
       seines Amtes enthoben werden. Nur wenige Minuten zuvor hatte Han die
       schaurigen Details von Yoons Plänen erfahren: Yoon hatte demnach die
       Verhaftung mehrerer Abgeordneter befohlen, auch aus den eigenen Reihen.
       
       ## Hohes Bildungsniveau, bürgerrechtliches Bewusstein
       
       „Für mich klang das alles nach Nordkorea-Zeugs“, sagt Chan Yeong, ebenfalls
       Student. Doch Sorgen um sein Heimatland hat er nicht: Das Bewusstsein für
       Bürgerrechte in Südkorea sei hoch, das Bildungsniveau auch. Sein Freund
       Jeon stimmt zu: „Ich habe Vertrauen in unsere Verfassung. Wir haben das
       schließlich alles schon mal erlebt, während der Zeit der Militärs.“
       
       Und wahrscheinlich genau deswegen sind die Koreaner bereit, für ihre
       demokratischen Werte aktiv einzustehen. Am Freitagabend formierten sich
       entlang der breitspurigen Sejong-Straße Zehntausende Demonstranten beider
       Lager: Die konservativen Befürworter Yoons, fast ausschließlich ältere
       Menschen, schwenkten wahlweise Südkorea- oder USA-Flaggen. Ihnen gegenüber
       marschierten die Anhänger der Opposition auf, zahlenmäßig überlegen.
       Getrennt wurden sie von Bereitschaftspolizisten, die ansonsten dem Treiben
       friedlich zuschauten.
       
       Tatsächlich wurde Südkoreas Demokratie in den vergangenen Tagen auf eine
       harte Bewährungsprobe gestellt. Doch bisher sieht es so aus, als würde das
       Land sie bestehen. Der neue Verteidigungsminister, erst seit wenigen
       Stunden im Amt, hat dies ebenfalls unterstrichen: [1][Einem Befehl für ein
       erneutes Kriegsrecht] werde er nicht Folge leisten. „Gestern war Südkorea
       eine dynamische, manchmal chaotische, aber durch und durch friedliche
       Demokratie“, sagt der Holländer Jacco Zweetsloot, der seit Jahrzehnten in
       Seoul lebt: „Heute ist es das immer noch. Die Koreaner können stolz auf
       sich sein.“
       
       Bis zum Samstagabend werden die Abgeordneten [2][nun über ein
       Amtsenthebungsverfahren abstimmen], das große Aussicht auf Erfolg hat. Vor
       dem Parlamentsgebäude, wo noch vor wenigen Jahrzehnten Militär
       aufmarschierte, werden Hunderttausende laut ihre Meinung kundtun. Und dafür
       einstehen, dass ihr Land politisch nicht in die Vergangenheit zurückfällt.
       
       7 Dec 2024
       
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   DIR Fabian Kretschmer
       
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