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       # taz.de -- Neues Album der Musikerin Soap & Skin: Anverwandeln und zerdehnen
       
       > Die Musikerin Soap & Skin covert Songs von Sufjan Stevens, Shirley
       > Bassey, David Bowie und The Doors. Was macht das neue Album „Torso“ so
       > besonders?
       
   IMG Bild: Es ist etwas tröstend Artifizielles an diesen Liedern: Soap & Skin
       
       Mit den Liedern und Texten der Wienerin Anja Plaschg fahren alle, Sängerin
       und Hörer:in, immer straight nach unten. Unter dem Namen Soap & Skin hat
       die 34-jährige Österreicherin in ihrem Sound eine große Ästhetik der
       Depression kultiviert. Darin hat sie in vielen Aspekten Überschneidungen
       mit anderen Pathosmusiken, unterscheidet sich von einigen aber fundamental:
       So fällt das Weise und Priesterhafte von Nick Cave bei Plaschg weg, das
       latent Larmoyante, das vielen Indie-Melancholikern eigen ist, ebenfalls.
       
       Was genau beim neuen Werk „Torso“ anders klingt, lässt sich trotzdem nicht
       ohne Weiteres bestimmen. Es könnte aber damit zu tun haben, dass Anja
       Plaschg das Performative in ihrer Musik und ihrem Gesang immer hervorkehrt
       und nach vorne bringt. Ihr Signaturinstrument, das Klavier, klingt
       rabenschwarz und schwer, Streicherarrangements dröhnen, wenn nötig, und die
       Songtexte gehen immer ans Eingemachte.
       
       Trotzdem geht alles das bei Soap & Skin immer mit dem eigentlich
       behaglichen Gefühl einher, einer Aufführung von etwas beizuwohnen. Auch
       wenn es wehtut. Zum Beispiel in dem Song „Vater“, zu hören auf dem
       Soap-&-Skin-Album „Narrow“ von 2012. „Wo immer ich aufschlage, find ich
       dich / Du fällst im Schatten der Tage als Stille und Stich“, singt Plaschg
       da. „Ich trink auf dich dutzende Flaschen Wein / Und will doch viel lieber
       eine Made sein“.
       
       Nichts an dieser Musik und diesen Texten ist ironisch oder anderweitig
       abgefedert. Und doch wird man nicht von der Anmaßung eines echt sein
       wollenden Ausdrucks belastet, der als glaubwürdig und damit auch als
       wahrhaftig verstanden werden will. Der an die literarische Tradition
       Österreichs anschließende Gestus von Plaschgs Selbsthass und
       Selbstzerfleischung erzeugt Intensität.
       
       Und doch singt die Künstlerin wie eine Schauspielerin, ihre Musik ist
       hörbar Kunstmusik und kommt eher aus einem Theaterkosmos und nicht etwa aus
       dem Blues. Es ist etwas tröstend Artifizielles an diesen Liedern, die
       deswegen aber, und das ist das eigentlich Paradoxe am bisherigen Werk,
       nichts von ihrer doch immensen Affektaufladung einbüßen.
       
       ## Aneignung von Material
       
       Eins zu eins im Sinne der Method-Acting-Tradition agiert Anja Plaschg
       interessanterweise eher dann, wenn sie als Schauspielerin in Erscheinung
       tritt, zuletzt als suizidale Bäuerin im Spielfilm „Des Teufels Bad“. In
       weitere Anspannung gerät die Diskrepanz zwischen Artifiziellem und
       Glaubwürdigem, wenn sie sich das Material anderer Künstlerinnen und
       Künstler aneignet.
       
       Auf dem neuen Soap-&-Skin-Album „Torso“ sind ausschließlich Coverversionen
       zu hören. Die Plaschg singt unter anderem Songs von Velvet Underground,
       Shirley Bassey und The Doors („The End“ – was sonst?), aber auch neuere
       Lieder, zum Beispiel einen von [1][David Bowies „Blackstar“-Album,] einen
       Track von US-Indie-Singer-Songwriter [2][Sufjan Stevens] und einen Hit vom
       kalifornischen Superstar Lana Dey Rey.
       
       Das Originalmaterial wird auf verschiedene Weisen verwandelt, ohne dass es
       gegen den Strich gebürstet würde. Das Klavier ersetzt die Gitarre, alles
       ist ein paar Lagen tiefer gestimmt und klingt stets nach einem Stück von
       Soap & Skin: das kann Filmmusik von Hans Zimmer genau so betreffen wie ein
       Stück der 4 Non Blondes.
       
       Fast immer aber wirken die Songs nun reicher, und wenn es nicht so anmaßend
       wäre, könnte man man meinen, der Titel „Torso“ bezieht sich hier auf die
       Originale, die sozusagen den Rumpf für die ganzen Körper der
       Cover-Versionen abgeben. Die Metapher haut spätestens bei Velvet
       Underground natürlich nicht hin, „Pale Blue Eyes“ ist schon im Original ein
       perfekter Song. Also geht es Plaschg darum, mit der Coverversion keinen
       Quatsch zu fabrizieren. Als Soap & Skin macht sie ein verlangsamtes Stück
       Dronefolk daraus – auch schön.
       
       ## Bowies Kiekser in der Stimme
       
       Überhaupt ist Verlangsamung ein Merkmal, das fast die gesamte Songauswahl
       auf „Torso“ durchzieht. Sufjan Stevens’ „Mystery of Love“, im Original
       äußerst melancholisch gestimmt, aber doch auch zärtlich-heiter, wird in der
       Bearbeitung von Anja Plaschg, die das Stück am Klavier begleitet und nicht
       mit der Gitarre, zu einem durchweg traurigen Liebeslied. Shirley Basseys
       „Born to Lose“ wird auf knapp sechs Minuten zerdehnt und wirkt damit
       hoffnungslos. „Girl Loves Me“ vom „Blackstar“-Album ist ein sehr genaues
       Reenactment des Bowie-Stücks, in dem Anja Plaschg dessen Kiekser in der
       Stimme exakt nachahmt.
       
       Die drei genannten Versionen sind hörbar Hommagen. Andere Verwandlungen
       gehen sogar noch weiter. Die Interpretation von „Voyage Voyage“ von Kate
       Ryan lässt eine Disco-Nummer zum Klagelied werden, das aber so klingt, als
       sei dies im Original immer verborgen gewesen. „What’s Up?“ von 4 Non
       Blondes klingt nun nicht mehr trotzig, sondern tiefempfunden ratlos.
       
       Anja Plaschg spielt die Stücke also nicht, wie eine Schauspielerin des
       Originals, nach (was auch, siehe zuletzt [3][Cat Powers
       Bob-Dylan-Reenenactment] „Cat Power Sings Dylan“, sehr interessante
       Verschiebungen ergeben kann).
       
       Auf „Torso“ werden die Ausgangsstücke wie Partituren behandelt, die von
       einem Orchester gespielt werden. Es besteht im Wesentlichen aus der
       Solistin Soap & Skin, die zugleich Musikerin, Dirigentin und Sängerin ist
       und sie zu einem neuen Leben erweckt.
       
       7 Dec 2024
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Benjamin Moldenhauer
       
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