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       # taz.de -- Der Gasthof als Sozialstation: Diese Tür ist niemals zu
       
       > In den Gasthof unseres Autoren kommen immer wieder Überraschungsbesucher.
       > Manche suchen Hilfe, manche nur eine Toilette. Willkommen sind sie alle.
       
   IMG Bild: Freundliche Wirte öffnen trotz Ruhetag
       
       Montag hat das Gasthaus Ruhetag – kein Licht brennt, kein Betrieb in der
       Gaststube. Es war weit nach zehn Uhr abends, kurz bevor das Licht auf der
       Straße für die Nacht ausgeht, als es vor ein paar Wochen trotzdem
       klingelte. Ich öffnete einer älteren Dame die Tür, hinter ihr tuckerte ein
       Mercedes Coupé. Ihr Mann habe sich verfahren, sagte sie, und die Landstraße
       am Ortsausgang sei auch gesperrt. Sie wüssten jetzt gar nicht mehr, wie sie
       [1][nach Nürnberg weiterkommen]. Ich lud das Paar ins Haus und machte Licht
       im Gastraum.
       
       Es gibt Menschen, für die ist eine abgesperrte Gasthaustür ein Widerspruch
       in sich. Und auch ein großes Hinweisschild auf den Ruhetag ist für sie
       völlig belanglos. Ich gehe inzwischen neugierig zur Tür. Die Leute haben
       schon ihre Gründe, warum sie läuten. Der Paketbote hat was abzugeben, der
       Nachbar hat eine lose Dachpfanne bemerkt, ein fremdes Gesicht sagt: „Mir
       ist das neue Gasthausschild aufgefallen. Ist wieder offen?“ – „Ja, [2][seit
       über zwei Jahren], aber nicht heute.“ Und dann gibt es Leute, die wollen
       einfach ein Zimmer buchen.
       
       Regelmäßig aber klingeln Menschen aus Not. Zugegeben: die meisten, weil sie
       aufs Klo müssen. Oder weil sie sich, [3][trotz Navi], total verfranzt
       haben. Dass die Landstraße am Ortsausgang gesperrt ist, wird seit über
       einem Jahr kilometerweit groß vor unserem kleinen Ort angekündigt. Trotzdem
       strandet täglich jemand vor der Sperre.
       
       Besonders häufig erwischt es Lkws aus Osteuropa. Die Trucker klingeln dann,
       um nach dem Weg zu fragen – als Erstes bei uns, beim Gasthaus. Ebenso
       kommen Wanderer, die ihre Trinkflasche auffüllen wollen. Wir hatten auch
       schon Radfahrer mit Platten oder E-Biker mit leerem Akku, und jedes Jahr
       bricht ein Auto genau vor dem Gasthaus zusammen.
       
       Ich mag die Anziehungskraft des Gasthofs auf Leute, die Hilfe suchen. Es
       folgt einem über tausendjährigen Erbe. [4][Die Römer] nannten Häuser mit
       Fremdenzimmern „hospitium“. Bis in das Mittelalter war es für Wirte Pflicht
       und Ehre, Pilger oder arme Reisende kostenlos aufzunehmen. Dann
       differenzierte sich das Herbergswesen – für Kranke gab es das Hospital, für
       Reisende das Hotel. Wenn es heute um gewerbsmäßige Gastfreundlichkeit geht,
       spricht die Gastronomie inzwischen neudeutsch von „Hospitality Management“.
       Nur meint sie damit oft gerade nicht, dass das Gasthaus manchmal auch eine
       Sozialstation sein muss, in der nicht jeder Service in Geld gemessen werden
       kann.
       
       Aber ich finde, genau das ist notwendig. Denn das ist der Grund, der ein
       Gasthaus – egal ob kleine Pension oder Nobelherberge – zu einem Kulturgut
       macht.
       
       6 Dec 2024
       
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