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       # taz.de -- Musik verschenken: Entsorgt bloß die CD-Player nicht!
       
       > Unsere Autorin verschenkt gerne Musik, aber kaum jemand kann noch CDs
       > abspielen. Da geht etwas Schönes und sehr Persönliches verloren, findet
       > sie.
       
   IMG Bild: Mit der CD verschwindet auch das Haptische, das Visuelle, die Geschichte, die Erinnerung, ja selbst das Akustische
       
       Was bringe ich mit? Diese eine Frage. Musik bringe ich mit. Ich will eine
       Freundin besuchen, die sich getrennt hat von ihrem Mann, eine Freundin, die
       nur deshalb noch in Berlin lebt, weil Berlin die Heimat ihrer Tochter ist.
       Sie selbst weiß nicht mehr, wo sie hingehört. Vor fast zwanzig Jahren kam
       sie aus China.
       
       Weil sie gerade keine Verbindungen zu irgendeinem Ort hat, hält sie sich am
       Berlin ihrer Tochter fest. Noch vier Jahre, dann ist der Teenager
       volljährig. „Und danach, wer weiß?“, fragt sie.
       
       Also, ein Besuch. Und ein Geschenk, das sie, so hoffe ich, erfreut. Ich
       packe eine CD mit Kompositionen zur Entspannung ein. Kein KI-generiertes
       Ambientgeklimper, sondern anspruchsvolle, aber weiche Musik, die einem das
       Atmen erleichtert. Ich will etwas von mir geben – eine Musik, die auch mir
       gefällt, und die sie aufseufzen lässt.
       
       Am Ende des Abends allerdings nehme ich das Geschenk wieder mit nach Hause.
       Die Freundin, ein Vierteljahrhundert jünger, fasst die CD an, dreht sie um
       und sagt dann: „Aber – ich habe doch gar keinen CD-Player mehr.“ Sie hört
       digital, hat Spotify abonniert. Deren [1][Jahresumsatz 2023]: 13,25
       Milliarden Euro. Bei den Musiker*innen kommen davon meist nur
       [2][Peanuts] an. Mitunter auch: [3][nichts]. Bei CDs sieht es besser aus,
       vor allem, wenn man sie [4][bei den Künstler*innen] bezieht.
       
       Musik verschenken ist etwas Intimes, denn ich verschenke nur, was mich
       berührt, verschenke nur das, was etwas in mir zum Schwingen bringt. Gut,
       mein Musikgeschmack gilt als exzentrisch. Ich sehe das nicht so, aber wenn
       doch, war es früher schlimmer. Es ist lange her, da wohnte ich mit meiner
       Schwester zusammen. Einmal kam sie in mein Zimmer, Musik lief. Sie sagte:
       „Immer, wenn ich bei dir reinkomme, denke ich, das ist die schrecklichste
       Musik, die ich je gehört habe. Wenn ich dann aber wieder in dein Zimmer
       komme, läuft noch was viel Schrecklicheres.“
       
       Das erzähle ich nur, weil es eine so schöne Anekdote ist. Mit dem
       eigentlichen Grund für diesen Text hat es nichts zu tun. Denn tatsächlich
       will ich hier allen ins Gewissen reden, bloß ihre CD-Player nicht zu
       entsorgen, weil zu viel damit verloren geht, nicht nur die Freude, Schönes
       zu teilen. Oder teilen zu wollen. Es verschwindet damit auch das Haptische,
       das Visuelle, die Geschichte, die Erinnerung, ja selbst das Akustische.
       
       Mit einer CD hat man die Musik nicht nur im Hörgedächtnis, sondern auch in
       den Händen. Mit einer CD bekommt man eine Vorstellung der Menschen, die die
       Musik gemacht haben. Hintergrundtexte, Fotos – sie sind Facetten einer
       Geschichte. Und durch die Songtexte, die oft abgedruckt sind, wird einem
       ein neuer Horizont geschenkt. Denn im Ernst, wie viel vom Gesungenen
       versteht man sonst schon? Nicht zuletzt bekommt man mit einer CD ein
       Musikbouquet, das die Musiker*innen zusammengestellt haben und nicht
       der Algorithmus.
       
       ## Multitonale Kommunikation
       
       Natürlich, wendet [5][Anna Bianca Krause], eine renommierte
       [6][Musikjournalistin] und Freundin von mir am Telefon sofort ein, gelte
       das auch für Vinyl, das schon länger seine Renaissance erlebt.
       Schallplatten sind allerdings etwas für Spezialist*innen, antworte ich. CDs
       sind auf Augenhöhe.
       
       Eine CD verschenken, das ist wie multitonale Kommunikation. Klar, das
       Risiko, dass man nicht verstanden wird, die Musik also nicht gefällt, ist
       da. Nur – und das ist unersetzbar in der digitalen Gegenwart, deren
       Gedächtnis aus Nullen und Einsen besteht und nicht aus etwas, was man sehen
       und anfassen kann – hat man zumindest den Versuch gemacht, in einen
       Austausch zu gehen und sich zu zeigen.
       
       8 Dec 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/297081/umfrage/umsatz-und-gewinn-von-spotify/
   DIR [2] https://zdfheute-stories-scroll.zdf.de/spotify-mehr-klicks-mehr-geld/index.html
   DIR [3] https://www.deutschlandfunkkultur.de/spotify-bezahlung-kuenstler-verguetungsmodell-100.html
   DIR [4] https://www.markusvollmer.net/blog/wer-verdient-am-meisten-mit-streaming-die-musiker-nicht
   DIR [5] https://www1.wdr.de/radio/wdr3/ueber-uns/anna-bianca-krause-102.html
   DIR [6] https://www1.wdr.de/suche/index.jsp?pageNumber=1&q=Anna+Bianca+Krause#customForm-cptblock-wdrsucheinclude100
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Waltraud Schwab
       
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