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       # taz.de -- Kürzungen beim Strafvollzug in Berlin: „Es ist absolut irre, was da gerade kaputtgeht“
       
       > Olaf Heischel, langjähriger Vorsitzender des Berliner Vollzugsbeirats, zu
       > den Einsparplänen in der Straffälligen- und Resozialisierungshilfe.
       
   IMG Bild: Gefangenentheater aufBruch bei der Premiere „Die Hermannschlacht“ im Juni 2022 in der JVA Tegel
       
       taz: Herr Heischel, haben Sie so [1][eine Kürzungsorgie] der
       Senatsverwaltung für Justiz bei der Straffälligen- und
       Resozialisierungshilfe schon mal erlebt?
       
       Olaf Heischel: Nein. Ich bin seit 35 Jahren Mitglied im [2][Berliner
       Vollzugsbeirat] und muss schon sagen, das ist sehr grob, wie das die Freien
       Träger jetzt trifft.
       
       taz: Vorgesehen ist eine Streichung von 4,5 Millionen, das wären 60 Prozent
       der bisherigen Mittel. Können Sie bei den Kürzungen Kriterien erkennen? 
       
       Heischel: Nein. Vielleicht ist einer zu klein, um sich zu wehren, oder groß
       genug, um das zu verkraften? Auch persönliche Präferenzen können eine Rolle
       gespielt haben. Fakt ist: Das Verfahren zu diesen Kürzungen war vollkommen
       undemokratisch und intransparent. Wir vom Berliner Vollzugsbeirat haben am
       vergangenen Freitag lediglich mitgeteilt bekommen, wen es mit welcher Summe
       trifft.
       
       taz: Werden Sie versuchen, Einfluss zu nehmen? 
       
       Heischel: Auf jeden Fall! Es geht hier nicht um ein privates Engagement im
       Strafvollzug, sondern um eine grundsätzliche gesellschaftliche Frage. Der
       Einsatz von Freien Trägern ist bei der Integration und Resozialisierung von
       straffällig gewordenen Menschen unerlässlich. [3][Mangelnde
       Resozialisierung führt bekanntlich zu einer erhöhten Rückfallquote].
       
       taz: Justizsenatorin Felor Badenberg (CDU) gibt lieber Geld für neue
       Drogenspürhunde in den Knästen aus. 
       
       Heischel: Mein Eindruck ist, dass von diesem schwarz-roten Senat eine
       Klientelpolitik betrieben wird. Das kann man auch in anderen Bereichen des
       Haushalts sehen. Die Anwohnerparkgebühren sind mit 10 Euro pro Jahr seit 16
       Jahren unverändert.
       
       taz: Welche Kürzungen bei der Straffälligenhilfe schmerzen besonders? 
       
       Heischel: Die Kürzungen bei der religiösen Betreuung für Muslime in den
       Gefängnissen tun weh. Dafür ist ein neuer Posten von 750.000 Euro für
       christlich religiöse Betreuung von Gefangenen geschaffen worden. Und das,
       obwohl die Mehrheit der Gefangenen in Berlin, so weit sie überhaupt
       religiös sind, nicht mehr dem christlichen, sondern dem muslimischen
       Spektrum zuzurechnen ist. Die Betreuung von bedrängten Minderheiten durch
       Vollzugshelfer:innen soll drastisch gekürzt werden. Wir wissen aus
       Umfragen von Mann-O-Meter, die diese Betreuung von Gefangenen übernehmen,
       dass Angriffe und Beleidigungen in den hiesigen Strafvollzugsanstalten
       horrende sind. Heftig Federn lassen soll auch [4][das Gefängnistheater
       aufBruch], das seit 27 Jahren existiert und für seine Integrationsarbeit
       weit über Berlin hinaus bekannt ist.
       
       taz: Das Gefangenentheater soll zwei Drittel seiner Mittel aus dem
       Justizetat verlieren. 
       
       Heischel: Das heißt, statt drei Aufführungen vielleicht nur noch eine
       machen zu können. Die Arbeit und die Strukturen, die die Theaterleute in
       den Haftanstalten aufgebaut haben, brächen damit zusammen. Auch die
       Bediensteten der Haftanstalten äußern sich mir gegenüber absolut begeistert
       über das Projekt. Sie merken, wie gut die Theaterarbeit ist, für die
       Gefangenen und auch für die Bewältigung von internen Problemen im Knast. Es
       ist absolut irre, was da gerade alles kaputtgeht, sollten die Kürzungen
       tatsächlich so durchgehen. Die Bediensteten in den Knästen können das nicht
       auffangen, so viel ist klar. Sie haben dazu weder die Ausbildung noch die
       Zeit.
       
       taz: Was heißt das für die Insassen? 
       
       Heischel: Sie werden ohne Wohnung und Betreuung entlassen. Sie werden sich
       alleingelassen fühlen. Meine Befürchtung ist, wer sich alleingelassen
       fühlt, sagt sich: Ihr könnt mich auch mal.
       
       9 Dec 2024
       
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