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       # taz.de -- Dossier über kritische Äußerungen: Hannovers SPD spielt Stasi
       
       > Die Ratsfraktion der SPD hat Kritisches von Stadt-Mitarbeiter:innen in
       > einem Dossier zusammengefasst. Nach öffentlicher Kritik gibt es
       > Entschuldigungen.
       
   IMG Bild: Nur vertraulich wollte die SPD übers Misstrauen in Mitarbeiter sprechen – Stasi-Doppeltüren in einer Ausstellung in Hannover 1997
       
       Hannover taz | Da ist zum Beispiel eine Verwaltungsmitarbeiterin in
       Hannover, die sich ehrenamtlich in einem Verein engagiert. Er gehört zu den
       Vereinen, denen auf Betreiben der informellen „Deutschland-Koalition“ aus
       SPD, CDU und FDP die städtischen Zuschüsse gekürzt werden sollen. Auf ihrem
       privaten Facebook-Account teilt sie einen Aufruf zur Demo gegen diese
       Kürzungen. Sie ahnt nicht, dass sich kurze Zeit später die
       Geschäftsordnungskommission und der Verwaltungsvorstand im hannoverschen
       Rathaus über diesen Beitrag beugen werden.
       
       Die Geschäftsordnungskommission ist das Gremium, in dem sich die
       Fraktionsspitzen und die Verwaltung über grundsätzliche Verfahrensfragen
       austauschen. Üblicherweise in vertraulicher Sitzung. Die
       [1][SPD-Ratsfraktion] hat das Thema auf die Tagesordnung gesetzt. Und
       mindestens fünf solcher Beiträge zu einem kleinen Dossier zusammengestellt:
       Aufrufe zu Demonstrationen, die auf Facebook geteilt wurden; jemand, der im
       Netzwerk Linkedin einen kritischen Beitrag zur Rolle rückwärts in der
       Verkehrspolitik geteilt und kommentiert hat; Leserbriefe von
       Verwaltungsmitarbeiter:innen an die Hannoversche Allgemeine
       Zeitung. 
       
       Das ginge doch so nicht, fand die SPD-Ratsfraktion. Und forderte den
       Oberbürgermeister und seine Verwaltungsspitze auf, zu prüfen, ob hier das
       Neutralitäts- und Mäßigungsgebot verletzt wurde. Schließlich sei der Rat
       Haushaltssouverän und Dienstherr, da dürfe man doch etwas Zurückhaltung
       erwarten.
       
       Die Verwaltung hat die Vorwürfe geprüft und in einem Gutachten
       zurückgewiesen. Alle Äußerungen waren von privaten und nicht von
       dienstlichen Accounts getätigt worden. Zwar war teilweise erkennbar, dass
       es sich um Mitarbeiter:innen der Stadt handelte – zum Beispiel, weil
       das im Profil steht – aber in keinem Fall hatten die betreffenden Personen
       ihre politischen Äußerungen ausdrücklich mit ihrer dienstlichen Funktion in
       Verbindung gebracht oder suggeriert, dass sie im Namen einer Behörde
       sprachen.
       
       ## Intern brodelt es
       
       Doch intern brodelte es, wie Thomas Schremmer, Vorsitzender des
       Gesamtpersonalrats, bestätigt. „Natürlich spricht sich so etwas im Betrieb
       herum.“ Besonders entsetzt seien er und seine Vorstandskolleg:innen
       darüber gewesen, dass es hier offenbar durchgehend um einfache Angestellte
       ging. „Beim Spitzenpersonal, bei Wahlbeamten wie den Dezernenten, da guckt
       man da ja anders drauf als bei der Sachbearbeiterebene. Ich habe den
       Eindruck, dass hier Wahlkampf auf dem Rücken der Beschäftigten gemacht
       wird. Das geht gar nicht.“
       
       Denn natürlich seien die rund 12.000 Beschäftigten der Stadt in erster
       Linie auch Bürger:innen dieser Stadt, für die nun einmal die
       Meinungsfreiheit gelte. Besonders ärgerlich für den Personalrat: Gerade an
       diesem Montag stellt die Stadt eine neue Kampagne zur Gewinnung von
       Personal vor.
       
       Denn wie in vielen anderen Bereichen leidet man auch hier unter dem
       Fachkräftemangel. 750 Stellen sind derzeit unbesetzt. Mit der Kampagne „Für
       alle & dich“ möchte man sich als moderner, offener Arbeitgeber in Szene
       setzten. Dazu passt diese Affäre nicht besonders gut. „Da hat überhaupt
       niemand etwas von“, ärgert sich Schremmer, „am Ende fällt das doch auf alle
       zurück, die Politik steht schlecht da und die Verwaltung auch“.
       
       Oberbürgermeister [2][Belit Onay (Grüne)] stellte sich mit einem Statement
       deutlich vor seine Mitarbeiter:innen. Er bezeichnete das Kontrollieren und
       Sammeln privater Äußerungen als Grenzüberschreitung, die er nicht
       akzeptiere, da sie Angst und Unsicherheit schürt. Er habe im Übrigen volles
       Vertrauen, dass die Mitarbeiter:innen der Stadtverwaltung ihren
       Aufgaben und Pflichten nachkommen – ganz unabhängig davon, welche
       persönliche Meinung sie vertreten.
       
       ## SPD-Fraktionsvorsitzender tritt zurück
       
       Und die SPD? Gibt sich angesichts der massiven Kritik kleinlaut. Nachdem
       die Vorwürfe am Wochenende durch die Hannoversche Allgemeine Zeitung
       öffentlich geworden waren, distanzierte sich der Stadtverband als Erstes.
       Man sei enttäuscht über das Bild, das nun entstanden sei, und bitte die
       Mitarbeiter:innen der Landeshauptstadt um Entschuldigung, heißt es da.
       Man wolle die Vorgänge aufarbeiten und entsprechende Schlüsse ziehen.
       
       Beim Vorsitzenden der Ratsfraktion, Lars Kelich, den viele für die
       treibende Kraft hinter der Aktion halten, klingen die Entschuldigungen noch
       gewundener. Man habe das Ganze wohlbedacht in einem vertraulich tagenden
       Gremium zur Debatte gestellt. Die Sammlung habe man doch überhaupt erst
       angelegt, als die Verwaltung um konkrete Beispiele gebeten habe. Dass
       daraus ein falscher Eindruck entstanden sei, bedaure er sehr und bitte um
       Entschuldigung. Am Montagmittag schiebt er eine weitere Erklärung
       hinterher: Er übernehme die Verantwortung und trete sowohl als
       Fraktionsvorsitzender als auch als Ratsmitglied zurück.
       
       In einem ersten Statement war noch die Rede davon gewesen, „die Fraktionen“
       hätten diese Frage bloß einmal grundsätzlich klären lassen wollen, weil sie
       eine entsprechende Verunsicherung in Teilen der Belegschaft wahrgenommen
       hätten. CDU und FDP machten jedoch schnell klar, dass dies ein SPD-Thema
       gewesen ist. Er sei einigermaßen fassungslos über diese Sammlung gewesen,
       aus der die SPD dann auch noch genüsslich vorgelesen habe, sagt der
       FDP-Fraktionsvorsitzende Wilfried Engelke.
       
       Auch sein CDU-Kollege habe sich an den Kopf gefasst. „Ich habe mich auch
       schon über viele Social-Media-Äußerungen geärgert, vor allem wenn wir in
       die Nähe zur AfD gerückt werden“, sagt Engelke. „Aber so lange es den
       Regeln entspricht, muss man das [3][als Mandatsträger eben auch mal
       abkönnen.] Da sind die Genossen im Moment einfach zu empfindlich.“
       
       9 Dec 2024
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Nadine Conti
       
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