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       # taz.de -- Bandengewalt in Haiti: Sie morden, weil sie es können
       
       > 180 Menschen werden in einem Vorort von Haitis Hauptstadt brutal
       > ermordet, die meisten davon Alte. Die Internationale Polizeimission
       > richtet nichts aus.
       
   IMG Bild: Straße in Haitis Hauptstadt Port-au-Prince: Hier herrschen die Banden
       
       Frankfurt/M. taz | Sie tun es, weil sie es tun können. Es gibt Formen von
       sinnloser und monströser Gewalt, die sich nur mit diesem Satz erklären
       lassen. Dazu zählt das grauenhafte Massaker in Cité Soleil, einem der
       ärmsten Viertel der haitianischen Hauptstadt, das am 6. und 7. Dezember
       stattfand.
       
       Offenkundig auf Anweisung des Gang-Führers Monel „Mikano“ Felix wurden 180
       zumeist über 60-jährige Menschen in Wharf Jeremie, dem am kleinen Hafen von
       Cité Soleil gelegenen Viertel, mit Messern und Macheten ermordet, weil sie
       angeblich Vodoo praktizierten, eine offiziell anerkannte Religion. Felix
       machte sie verantwortlich für die schwere Erkrankung seines Sohnes, der, so
       berichtet das haitianische Menschenrechtsnetzwerk RNDDH, am Samstag
       gestorben sei.
       
       Erst am Sonntag drangen Berichte über die Massentötung aus Cité Soleil an
       die Öffentlichkeit, auch deshalb, weil die Gang offenbar in der Lage ist,
       die Internetverbindung zu kontrollieren und den Informationsfluss zu
       unterbrechen. Die Gang unter Felix ist für ihre besondere Grausamkeit
       bekannt. Sie soll schätzungsweise 300 Mitglieder haben und auch in
       benachbarten Vierteln agieren.
       
       Dass solche Massaker auch eine Form der Herrschaftskommunikation
       darstellen, darüber hat die argentinische Anthropologin [1][Rita Segato] am
       Beispiel der Frauenmorde in der mexikanischen Stadt Ciudad Juarez
       geforscht. „Diese Grausamkeit“, so Segato, „hat keinen Sinn und ist nicht
       die des klassischen Krieges. Den größten Schrecken kann man verbreiten,
       wenn man extreme Gewalt an einem unschuldigen Körper vollzieht.“ Das
       ereignet sich in Haiti gerade.
       
       ## USA fordern UN-Friedenstruppe statt Polizeimission
       
       Die bewaffnete Truppe aus Cité Soleil gehört dem Gang-Zusammenschluss Viv
       Ansamn unter Führung von [2][Jimmy Chérizier] „Barbecue“ an. Barbecue
       versucht sich immer wieder als rationaler Gang-Führer mit einer politischen
       Botschaft ins Spiel zu bringen, wie zuletzt in einem Video des Rolling
       Stone Magazine. In dem im November veröffentlichten Film posierte er als
       schützender Patriarch in seinem Viertel, in dem sich die Menschen vor
       Übergriffen seiner Gang sicher sein könnten. Das jüngste Massaker seines
       Bündnispartners in Cité Soleil wirft dieses mühsam gezimmerte Image eines
       möglichen Führers für Haiti allerdings über den Haufen.
       
       Tatsächlich markiert das Massaker in Cité Soleil aber auch die Ohnmacht der
       US-finanzierten [3][Internationalen Polizeimission unter Führung von
       Kenia], die seit Frühsommer dieses Jahres eigentlich die Ganggewalt
       einschränken soll. Sie hat bislang den gegenteiligen Effekt.
       
       Allein in diesem Jahr wurden mehr als 4.500 Menschen in Haiti umgebracht.
       Darunter im November über 100 Menschen in Porte Sonde, einer Provinzstadt
       in der fruchtbaren Region von Artibonite. Die Begründung der Gangs: Die
       Selbstverteidigung der Bewohner habe sie gehindert, Straßenzölle
       einzunehmen.
       
       Die erneute Eskalation erhöht den Druck auf den UN-Sicherheitsrat, in dem
       die USA immer wieder fordern, aus der Polizeimission eine offizielle
       UN-Peacekeepingmission zu machen. Das scheitert bislang am Veto von China
       und Russland.
       
       ## Aufbau einer rechtsstaatlichen Infrastruktur notwendig
       
       Den USA geht es vor allen Dingen um die Finanzierung eines solchen
       Einsatzes, die als UN-Mission gesichert wäre. Jetzt schon gibt es von
       kenianischen Offiziellen dementierte Gerüchte, dass die 400 im Einsatz
       befindlichen Kenianer keinen Sold bekommen hätten. Finanziert ist der
       internationale Einsatz bis März nächstens Jahres. Bis dahin dürfte sich das
       Problem in Haiti nicht erledigt haben.
       
       Unteressen hat die US-amerikanische Menschenrechtsorganisation Human Rights
       Watch einen Vorschlag vorgelegt, wie ein solcher UN-Einsatz nicht einfach
       nur die Fehler vergangener Missionen wiederholen könnte. Sie fordert unter
       anderem die institutionalisierte Einbeziehung haitianischer
       Menschenrechtsorganisationen in einen solchen Einsatz, um damit auch den
       Aufbau einer rechtsstaatlichen Infrastruktur zu verbinden.
       
       Das ist zum ersten Mal eine Idee, die quer liegt zur Priorisierung der
       militärischen Sicherheit. Letztere folgt im Fall von Haiti gern
       ausländischen Interessen. Es geht darum, die Verbreitung der Ganggewalt auf
       die Nachbarländer zu verhindern, ungehindert nach Haiti Flüchtlinge
       abschieben zu können und humanitäre Hilfe zu ermöglichen, aber nicht um
       eine Perspektive für Haiti.
       
       9 Dec 2024
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Katja Maurer
       
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