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       # taz.de -- Deutsche und das syrische Regime: In der Tiefe
       
       > Die Assad-Diktatur hat sich von Nazis, DDR und Bundesrepublik inspirieren
       > lassen. Die Geheimdienstarchive dürften manche Überraschung bereithalten.
       
   IMG Bild: Auf den Spuren der Täter im Sednaya-Gefängnis, 9. Dezember 2024
       
       Ja, mit KZ-Vergleichen sollte man sparsam sein. Doch manchmal sind sie
       naheliegend.
       
       Etwa dieser Tage, wenn die Syrer nach dem Fall des Assad-Regimes die Türen
       von [1][Sednaya] bei Damaskus aufbrechen und Beobachter sich an die
       Befreiung von Buchenwald erinnert fühlen. Sednaya war kein einfaches
       Gefängnis, sondern ein Ort, an dem Menschen verschwinden sollten.
       
       Hier folterte und ermordete das Regime gezielt politische Gegner oder
       Menschen, die es dafür hielt. Auf der Suche nach Überlebenden dringen die
       Helfer immer tiefer vor, mit jedem weiteren Stockwerk, das sie finden, tut
       sich ein weiterer Kreis der Hölle auf. Die Überlebenden sind ausgemergelt,
       viele haben über die Jahre ihren Verstand verloren. Sednaya war kein
       überirdisches, mit Stacheldraht umzäuntes KZ, sondern eines, das sich in
       die Tiefe bohrte.
       
       Das Assad-Regime war nicht gänzlich faschistisch, doch es ließ sich
       durchaus inspirieren – auch aus Deutschland. Die Vordenker des Baathismus,
       wie [2][Michel Aflaq], standen dem Kommunismus näher, lehnten aber die
       marxistische Theorie des Klassenkampfes ab. Dagegen brachten die Baathisten
       eine panarabische Nation in Stellung, die die arabische Welt wieder zu
       alter Größe bringen würde, angeführt von einer revolutionären
       Herrschaftselite in einem Einparteiensystem.
       
       ## Syrien und Alois Brunner
       
       In Damaskus lebte jahrzehntelang ein älterer deutscher Herr mit blauen
       Augen, der sich Georg Fischer nannte. Fischer hieß in Wirklichkeit
       [3][Alois Brunner] und hatte unter den Nazis als hochrangiger Beamter im
       Sonderkommando der Sicherheitspolizei hunderttausende europäischer Juden in
       Vernichtungslager deportiert. Aus Damaskus lieferte Brunner später
       „Expertise“ über den Nahen Osten an den Bundesnachrichtendienst, der ihm im
       Gegenzug Geld schickte.
       
       Auch dem syrischen Geheimdienst stellte Brunner seine Dienste zur
       Verfügung. So berichtete der irische [4][Journalist Robert Fisk], der auf
       seine alten Tage die Giftgasverbrechen Baschar al-Assads leugnen sollte,
       Jahrzehnte vorher noch über die Verstrickungen Syriens mit Brunner. Fisk
       zufolge riet Brunner dem Geheimdienst Muchabarat in den 1960ern,
       [5][Abhör-Equipment aus der DDR] zu kaufen. Folterpraktiken gehörten
       ebenfalls zu Brunners Consulting-Portfolio. 1984 erwarb der Geheimdienst
       ein Instrument, das in Syrien nur als „deutscher Stuhl“ bekannt war. Das
       Opfer wurde darauf festgeschnallt und sein Rückgrat langsam gebrochen.
       
       Berührungsängste mit selbsterklärten Faschisten hatte Baschar al-Assad
       nicht. 2005 nahm er die [6][Syrische Soziale Nationalistische Partei]
       (SSNP) in seine Koalition der „Nationalen Fortschrittsfront“ auf. Die SSNP
       bezieht sich im Gegensatz zur Baath-Partei direkt auf den Faschismus. Auf
       ihrer schwarzen Flagge sieht man einen weißen Kreis, worin, in leicht
       abgewandelter Form, ein rotes Hakenkreuz prangt. Als Assad ab 2011 sein
       eigenes Land in Blut ertränkte, kämpften SSNP-Einheiten der „Adler des
       Wirbelsturms“ an der Seite der Regimetruppen gegen die revolutionäre
       Opposition.
       
       Deutsche Politiker, besonders aus der SPD, haben sich dennoch immer wieder
       mit Assad eingelassen. So gab [7][Frank-Walter Steinmeier] 2002 als
       Kanzleramtschef von Gerhard Schröder sein Einverständnis für eine
       Kooperation deutscher Sicherheitsbehörden mit den Folterknechten des
       syrischen Militärgeheimdienstes.
       
       ## Vom Regime hofiert
       
       Deutsche Firmen lieferten Überwachungstechnologie und Chemikalien, die zur
       Herstellung des Giftgases [8][Sarin] verwendet werden können – eine
       geächtete Waffe, die Assad später gegen die Zivilbevölkerung einsetzte. In
       den vergangenen Jahren reisten Politiker der AfD [9][immer wieder nach
       Syrien] und ließen sich dort vom Regime hofieren.
       
       Deutschland sollte nicht nur bei KZ-Vergleichen aufhorchen, sondern genau
       hinschauen, wenn die Syrer die Folterverliese und die Aktenschränke in den
       Geheimdienstarchiven öffnen. Die Aufarbeitung wird lange dauern, doch sie
       wird mit Sicherheit neue Verstrickungen zwischen Assad und deutschen
       Behörden, Firmen, Parteien und Persönlichkeiten ans Tageslicht bringen. Wie
       gut, dass es heute so viele Deutschsyrer gibt, die uns daran erinnern
       können.
       
       11 Dec 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Syrischer-Menschenrechtsanwalt-al-Bunni/!5403803
   DIR [2] /!787879/
   DIR [3] /Verfassungsschutz-hielt-NS-Akten-zurueck/!5940446
   DIR [4] /Medien-und-Krieg-in-Nahost/!5028035
   DIR [5] https://www.bpb.de/themen/deutschlandarchiv/539993/verdeckte-waffendeals-der-ddr-mit-syrien/
   DIR [6] https://de.wikipedia.org/wiki/Syrische_Soziale_Nationalistische_Partei
   DIR [7] https://www.zeit.de/online/2007/51/syrien-zammar-steinmeier
   DIR [8] /Fakten-Wahrheit-und-der-Krieg-in-Syrien/!5548974
   DIR [9] /AfD-Reise-nach-Syrien/!5641646
       
       ## AUTOREN
       
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