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       # taz.de -- Defensives Meisterwerk
       
       > Bayer Leverkusen überzeugt beim knappen Erfolg gegen Inter Mailand mit
       > einem starken Auftritt. Überhaupt wähnt sich der amtierende Deutsche
       > Meister wieder auf dem Weg zu alter Stärke
       
   IMG Bild: Matchwinner: Nordi Mukiele feiert seinen entscheidenden Treffer
       
       Aus Leverkusen Daniel Theweleit
       
       Womöglich ist es nicht so schwer, Yann Bisseck zu beeindrucken, der
       deutsche Profi von Inter Mailand ist gerade erst dabei, sich auf dem
       höchsten Niveau des Weltfußballs einzurichten. Erst seit wenigen Wochen ist
       der in Köln geborene Verteidiger ein fester Bestandteil des stabilsten
       Bollwerks der Champions League, das am Dienstagabend im laufenden
       Wettbewerb in der 90. Minute des siebten Spiels zum ersten mal überwunden
       wurde. Von einem Deutschen Meister, der Bisseck mächtig imponiert hatte.
       Leverkusen habe „als Mannschaft enorm gut gearbeitet“, sagte der auch von
       Bundestrainer Julian Nagelsmann beobachtete Profi, „die haben den Ball gut
       laufen lassen“. Und Inter, auch das gehörte zu diesem Abend, war nicht
       weniger gut hinterhergelaufen.
       
       Denn der Hinweis auf die viele Arbeit war keine Höflichkeitsfloskel,
       tatsächlich wurde auf einem außergewöhnlichen Niveau gerannt, verschoben,
       zugestellt und nach Lücken gesucht. Wodurch dieser auf den ersten Blick
       unspektakulär wirkende 1:0-Sieg der Rheinländer gegen die Lombarden zu
       einem besonderen Fußballspiel wurde. Zu einem kleinen Meisterwerk, das
       jenen Teil des Publikums, der auf der Suche nach leichter Unterhaltung war,
       herausforderte. Das aber allerfeinsten Stoff für Freunde von kollektiver
       Defensivkunst auf Weltklasseniveau bot.
       
       Die Mischung aus Aufmerksamkeit, Disziplin und Gelassenheit, mit der die
       Italiener verteidigten, war spektakulär. Und dennoch war Leverkusen an
       diesem Abend nicht nur mit Ball leicht überlegen, sondern auch in der
       Defensive ebenbürtig. „Wir hatten eine gute Stabilität, eine gute Struktur,
       gute Bewegungen“, sagte Granit Xhaka. Der Chefstratege aus dem Mittelfeld,
       der mit seiner umsichtigen Spielweise auch den zuletzt so gefeierten
       Florian Wirtz überragte, sprach von einem Prozess, den die zu Saisonbeginn
       etwas nachlässige Mannschaft durchlaufen habe. „Wenn man diese
       Aggressivität, diesen Hunger wieder zurück hat, gewinnt man auch Spiele“,
       sagte er zu der kleinen Serie von mittlerweile sechs Pflichtspielsiegen in
       Folge.
       
       Obgleich es weiterhin schwächere Leistungen gibt, wie beim wenig souveränen
       2:1 gegen St. Pauli zuletzt, glauben sie in Leverkusen an eine Entwicklung,
       die dazu führen soll, auch ohne den Rausch des Vorjahres Wege zum Erfolg zu
       finden. Dabei stehen Begriffe wie „Geduld“ (Xhaka), eine „gute Reife“
       (Trainer Xabi Alonso) und eine „erwachsene Spielweise“ (Kapitän Jonathan
       Tah) im Zentrum. Auch Alonso war anzumerken, wie tief er in dieses Spiel
       eintauchte. Ständig verschob er per Handzeichen Spieler, zwei Meter nach
       hinten oder nach innen, und diskutierte in Unterbrechungen mit seinen
       Anführern. Mit Ball suchten die Leverkusener Lücken, die es eigentlich
       nicht gab in den virtuos zugestellten Räumen, und gegen den Ball erzeugte
       die Elf in den richtigen Zonen Druck. Kein einziges Mal verloren sie den
       Ball in einer Situation, aus der ein gefährlicher Konter entstehen konnte,
       was einen zentralen Aspekt in der hohen Kunst der Risikovermeidung
       darstellte.
       
       Gegenpressing sei „ein Grundbaustein“ des Leverkusener Spiels, sagte
       Kapitän Jonathan Tah, birgt aber auch Gefahren. „Das haben wir heute sehr
       gut gemacht“, erläuterte Tan, denn es sei immer gelungen, „den richtigen
       Moment“ zu finden, um wieder in die Kompaktheit zurückzukehren und sich in
       der eigenen Hälfte zu formieren. „Das war viel besser als am Anfang der
       Saison“, sagte Xhaka, „so was kann man eben erst machen, wenn man viel
       Kontrolle hat, wenn man sehr eng zusammensteht.“ Im doppelten Sinne.
       
       In diesem Klima entwickeln sich nun Spieler, die zuvor weniger im Fokus
       standen. Im Pokal köpfte der von der Bank gekommene Nathan Tella das
       Siegtor. Gegen Inter traf der von Paris Saint-Germain ausgeliehene Nordi
       Mukiele in der 90. Minute zum 1:0. „Er wird von Woche zu Woche besser“,
       sagte Alonso über den früheren Leipziger, „er kennt die Bundesliga, in den
       großen Spielen hat er es gut gemacht, das Tor ist ein Highlight.“
       
       Vieles deutet darauf hin, dass für Bayer 04 eine neue Phase begonnen hat:
       Das Meisterjahr ist überwunden, in der Bundesliga hat das Team eine
       Lauerstellung zu den etwas enteilten Münchnern eingenommen, und in den
       Pokalwettbewerben sind sie voll da. Nach 13 Punkten aus sechs Spielen in
       der Champions League beginne er langsam auch die Tabelle anzuschauen, sagte
       Alonso zufrieden. Bayers Ausgangslage ist hervorragend, wahrscheinlich
       reicht der Mannschaft ein weiterer Sieg für den direkten Einzug ins
       Achtelfinale.
       
       12 Dec 2024
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Daniel Theweleit
       
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