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       # taz.de -- Diskriminierung von Frauen in Elternzeit: Mütter zahlen drauf
       
       > Britta J. verklagt die Stadt Hamburg nun schon in zweiter Instanz. Der
       > Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes benachteilige Mütter in
       > Elternzeit.
       
   IMG Bild: Carearbeit ist in Deutschland nach wie vor ungerecht verteilt – das schlägt sich finanziell nieder, als Armutsrisiko für Mütter
       
       Hamburg taz | Die Frauenquote im Saal ist hoch. Gut 80 Prozent der
       Zuschauer*innen, die am Mittwoch zum Hamburger Landesarbeitsgericht
       gekommen sind, sind Frauen. Sie wollen Britta J. in ihrem Kampf gegen
       Diskriminierung in der Elternzeit unterstützen.
       
       J. hat die Stadt Hamburg verklagt, weil diese ihr eine höhere Gehaltsstufe
       zu gegebener Zeit versagte. J. arbeitet als Juristin bei der Sozialbehörde,
       bekommt also Lohn nach dem Tarifvertrag der Länder. Nach drei Jahren in der
       Entgeltgruppe drei hätte sie in Gruppe vier eingestuft werden müssen.
       
       [1][Das geschah jedoch nicht, weil sie zwischenzeitlich elf Monate
       Elternzeit genommen hatte.] J. ist alleinerziehende Mutter zweier Kinder.
       Die elf Monate müsse sie nacharbeiten, um den gleichen Erfahrungsschatz zu
       erlangen wie andere, argumentierte die Sozialbehörde.
       
       J. sieht darin eine strukturelle Diskriminierung aufgrund des Geschlechts,
       da im Durchschnitt [2][weitaus mehr Frauen Elternzeit nehmen als Männer].
       Im Jahr 2022 beantragten Mütter durchschnittlich 14,6 Monate, Väter dagegen
       nur 3,6 Monate Elternzeit. Doch auch die Gegenseite kann nicht ohne
       Weiteres von ihrem Standpunkt abweichen, denn das hätte enorme Auswirkungen
       auf Millionen Beschäftigte.
       
       ## Potenziell weitreichende Folgen
       
       Der Tarifvertrag der Länder, der die Entgeltstufen für Angestellte des
       öffentlichen Dienstes regelt, gilt für alle Bundesländer außer Hessen. Der
       Tarifvertrag müsste überall geändert werden und Betroffene könnten ihre
       Lohndifferenz plus Schmerzensgeld wegen Diskriminierung einklagen.
       
       So war es nicht überraschend, dass das Arbeitsgericht die Klage in erster
       Instanz abwies. J. ging in Berufung. Nun muss sich das Landesarbeitsgericht
       mit dem Fall befassen. Auch hier tut sich die Kammer schwer. „Juristisch
       ist der Fall kompliziert“, sagt der Richter, nachdem beide Seiten Argumente
       ausgetauscht haben.
       
       Zwar hat das Bundesarbeitsgericht 2011 in einem ähnlichen Fall geurteilt,
       dass eine Diskriminierung nicht vorliege. Das Bundesverfassungsgericht
       jedoch kam in einem anderen Fall zu dem Schluss, dass der Umgang mit
       Arbeitnehmer*innen in Elternzeit sehr wohl diskriminierend sei – eben
       weil er hauptsächlich Frauen treffe. Dabei ging es allerdings nicht um den
       Lohntarif, sondern um Kündigungsschutz.
       
       Vor dem Landesarbeitsgericht führt J.s Anwältin Friederike Boll an, dass
       zahlreiche Studien belegen, dass der Erfahrungsschatz von Müttern und
       Vätern in Elternzeit sehr wohl steige – etwa, was Kommunikations- und
       Organisationsfähigkeiten, Verhandlungsführung und Kompromissbereitschaft
       angehe. Dem stimmt sogar der Vertreter der Stadt zu: „Jeder, der ein Kind
       hat, weiß das“, sagt er.
       
       Trotzdem: Im Tarifvertrag gehe es speziell um die Arbeitserfahrung. „Dann
       aber“, sagt Boll, „dürften [3][auch Langzeitkranke] nicht höher gestuft
       werden.“ Der Tarifvertrag sieht vor, dass Langzeitkranke erst ab der 40.
       Krankheitswoche im Höherstufungsverfahren pausieren. Sprich: 39 Wochen
       krank sind kein Problem, 39 Wochen Elternzeit hingegen schon.
       
       Der Richter lässt durchblicken, dass er das ebenfalls für problematisch
       hält. Doch auch andersherum könnte es problematisch werden, sagt er:
       „Angenommen, jemand ist zwölf Jahre angestellt, bekommt alle drei Jahre ein
       Kind und nimmt jeweils drei Jahre Elternzeit.“ Zu behaupten, dass die
       Person den gleichen Erfahrungsschatz habe wie jemand, der zwölf Jahre
       gearbeitet habe, sei auch nicht richtig.
       
       Britta J. geht es um das Grundsätzliche. „Es kann nicht sein, dass Mütter
       ein Leben lang finanziell bestraft werden“, sagt sie. Die Lohndifferenz,
       die ihr verwehrt worden war, beträgt 363 Euro im Monat. „Aber das setzt
       sich ja fort bis in die Rente“, sagt J. Karriereknick, Elterngeld statt
       vollem Lohn und Teilzeit zugunsten von unbezahlter Carearbeit wirkten sich
       oftmals [4][als Armutsrisiko für Mütter aus].
       
       „Motherhood Lifetime Penalty“ nennt man diese lebenslange finanzielle
       Benachteiligung von Müttern gegenüber Kinderlosen und Vätern. „Wo der Staat
       dagegen vorgehen kann, wie im öffentlichen Dienst, muss er es tun“, sagt J.
       
       Heute tut er es nicht. Die Kammer vertagt die Entscheidung wegen ihrer
       Komplexität auf Ende Januar. Doch egal, wie die Entscheidung ausgehen wird:
       Entweder wird Britta J. oder die Stadt Hamburg in Revision gehen. Die
       nächste Instanz wäre dann das Bundesarbeitsgericht – oder das
       Landesarbeitsgericht verweist den Fall direkt an den Europäischen
       Gerichtshof.
       
       18 Dec 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Diskriminierung-im-oeffentlichen-Dienst/!6003575
   DIR [2] /Ungerechtigkeit-in-der-Elternschaft/!6006168
   DIR [3] /Personalmangel-in-den-Schulen/!5908061
   DIR [4] https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/themen/aktuelle-meldungen/2024/juni/trotz-arbeit-haben-alleinerziehende-noch-immer-das-hoechste-armutsrisiko
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Katharina Schipkowski
       
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