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       # taz.de -- Evangelische Kirche im Osten: Wer will heute noch Pfarrer werden?
       
       > Ostdeutschland ist recht säkular. Aber oft sind es Kirchen, die
       > Zivilgesellschaft Raum geben. Keine leichte Aufgabe angesichts der
       > erstarkenden AfD.
       
   IMG Bild: Vikarin Franziska Zellmer
       
       Berlin, Wittenberg und Leipzig Es passieren schon merkwürdige Dinge in
       einer Kirche. Ausgerechnet als der Sarg im Altarraum steht, ist plötzlich
       ein Schmetterling da, flattert über den Köpfen der Trauernden durchs
       Kirchenschiff, als wäre draußen Sommer. Dabei ist Winter, die
       Feldsteinkirche eiskalt, Insekten liegen erstarrt in Fensterritzen, die
       Finger der jungen Organistin auf der Empore sind steif, und unten am Sarg
       predigt der Pastor von der Auferstehung. Und dann hüpft da dieser
       aufgetaute Schmetterling durch die Luft. Wie tröstlich. Wer seine Augen
       offen hält, sieht überall Wunder – eigentlich keine schlechte Botschaft am
       Ende des Jahres 2024.
       
       Diese Geschichte vom auferstandenen Schmetterling stammt aus Franziska
       Zellmers Jugend. Die Erinnerung aus ihrem Heimatdorf im Märkischen, mit
       Psalmversen angereichert, ist heute die Predigt der angehenden Pfarrerin.
       Vorn am Altar brennt eine Fülle von Kerzen. Jeder Besucher hat eine davon
       entzündet, jede eine Erinnerung, ein Wunsch, ein Gebet. Das „Hallelujah“
       von Leonard Cohen, das ein Musiker auf der Gitarre angestimmt hat, ist
       verklungen. Auf einer der Kirchenbänke schluchzt leise eine Frau. Es ist
       der 24. November, Totensonntag, in der Apostel-Paulus-Kirche in
       Berlin-Schöneberg.
       
       Etwa sechzig Menschen sitzen hier auf den Bänken, genug, dass die Kirche,
       eine der größten von Berlin, belebt wirkt. Sie würde locker das Zehnfache
       fassen. Doch für die Hauptstadt sind sechzig Gläubige, abseits des stets
       gut gefüllten Berliner Doms, eine stattliche Gemeinde. Das Backsteingewölbe
       wird von einem mächtigen Radleuchter erhellt, und in den Mauersimsen dösen,
       wie in jeder Kirche, Insekten, die im Kirchenraum umherirren könnten, wenn
       Kerzenwärme sie weckt.
       
       Franziska Zellmer lächelt und huscht mit wehendem Talar zur Sakristei. Der
       Gottesdienst ist vorbei. Sie ist jetzt dreißig Jahre alt und weiß, dass
       Gott bei der Sache mit dem Schmetterling in ihrer Dorfkirche, wo sie damals
       zu vielen Anlässen die Orgel spielte, nicht die Hand mit im Spiel hatte.
       Jedenfalls nicht direkt. Man muss als Predigerin das, was man erlebt,
       deuten können, in eine Erzählung betten, mit dem eigenen Glauben abgleichen
       und zum „Narrativ“ machen. Und es muss das Herz der Menschen erreichen.
       
       Franziska Zellmer ist das gelungen. Die junge Frau steht kurz vor ihrem
       Berufsziel. Sie wird Pastorin in der evangelischen Kirche im Osten
       Deutschlands. Die ist für den christlichen Glauben seit der vierzigjährigen
       SED-Herrschaft ein ausgetrockneter Weinberg. Was dort aber noch besonders
       prächtig gedeiht, ist das Gedankengut der [1][AfD]. Trotzdem wirkt Zellmer
       sehr zufrieden, vielleicht sogar glücklich.
       
       Bundesweit [2][verlieren die Kirchen massiv an Mitgliedern]. Ende 2023
       gehörten noch rund 18,5 Millionen Menschen einer der zwanzig evangelischen
       Landeskirchen an, was einen Rückgang binnen Jahresfrist um gut 3 Prozent
       bedeutet. Der Schwund hält seit Jahren an. Eine Vorhersage der EKD, der
       Evangelischen Kirche in Deutschland, geht inzwischen davon aus, dass sich
       im Jahr 2060 kaum noch 10 Millionen Evangelische im Mutterland der
       Reformation finden könnten. Im Osten, der Heimat des [3][Reformators Martin
       Luther], noch einmal deutlich weniger. 1 Million evangelischer Christen
       könnte es dann noch geben, heute sind es 2,4 Millionen. Wer will mit
       solchen Aussichten Pastorin werden?
       
       „Auf gar keinen Fall habe ich gedacht, jetzt werde ich mal Pfarrerin“,
       beginnt Franziska Zellmer und erzählt, wie sie als junge Frau, die aus
       einem kirchlich geprägten Elternhaus in Brandenburg stammt, zunächst
       Medizin studieren will. Das aber scheitert am Numerus clausus. Dann beginnt
       sie ein Pharmaziestudium, das an den endlosen chemischen Formeln scheitert.
       Zellmer lacht. „Und dann habe ich überlegt: Was ist das, was du eigentlich
       machen willst?“
       
       Hat sie nicht schon mehrere Jahre mit ihrem Orgelspiel, das sie eher
       zufällig erlernt hatte, Gottesdienste, Trauungen, Taufen und jede Menge
       Beerdigungen erlebt? Pastorinnen und Pastoren dabei beobachtet, wie sie mit
       Menschen umgegangen sind, die an den Weggabelungen des Lebens stehen, den
       schönen und den beängstigenden. Und wie dankbar viele dabei waren?
       
       ## Mutter im Gemeinderat
       
       Ihre Mutter ist in der kleinen Dorfgemeinde Vorsitzende im
       Gemeindekirchenrat, dem Selbstverwaltungsgremium in jeder Kirchengemeinde,
       in dem schon zu DDR-Zeiten demokratisches Handeln eingeübt werden konnte.
       Überhaupt, die DDR. „Die Kirche hat sich immer nach Widerstand und Protest
       angefühlt. Das hat mich als Kind total fasziniert“, sagt Zellmer. „Ich
       selbst bin zu spät geboren für ‚Schwerter zu Pflugscharen‘ und zu früh für
       ‚Fridays for Future‘.“ Dort der pazifistische Protest von Christen in der
       DDR, hier die länderübergreifende Protestbewegung für Klimaschutz –
       dazwischen die junge Studentin, die gerade ihr Pharmaziestudium abgebrochen
       hat.
       
       Auf die Selbstbefragung folgt ein Studium der evangelischen Theologie an
       der Berliner Humboldt-Universität. Ihre Examensarbeit schreibt Zellmer über
       eine junge, alleinstehende Frau, die im frühen 20. Jahrhundert als
       Missionsschwester nach China ging – zu einer Zeit, in der es in Berlin
       verpönt war, wenn Frauen Fahrrad fuhren, und das Geschäft der Mission von
       Männern betrieben wurde, die ihre Ehefrauen nur als Helferinnen in die
       Überseegebiete mitnahmen. Die Missionarin hatte sich damals gegen alle
       Widerstände durchgesetzt und eine Schule für chinesische Mädchen gegründet.
       
       Für Zellmer ist das die Geschichte einer Emanzipation und irgendwie auch
       Teil ihrer eigenen Geschichte. Frisch getrennt von ihrem Mann, kam sie
       Anfang des Jahres an die Apostel-Paulus-Kirche ins Vikariat. Das
       Gemeindeumfeld passt. Mit täglich geöffneter Kirche, mit Konzertprogramm,
       mit Musik und Segen zum Ökomarkt und mit Sonntagsgottesdiensten, die
       kulturell-religiösen Events gleichen, an diesem Sonntag von einem
       Gitarristen begleitet.
       
       Auch die wilhelminische Bauweise passt zum Bild einer zeitgemäßen
       evangelischen Kirche. Eigentlich wurde sie 1894 eingeweiht, um die Berliner
       Untertanen des Preußenkönigs wieder auf den Herrn Christus auszurichten.
       Deren Köpfe hatten die Sozialdemokraten mit ihrem Messias, dem
       Drechslergesellen August Bebel, gehörig vernebelt. Doch heute surrt hier im
       Keller ein Blockheizkraftwerk, das, mit Biogas gespeist, das 2021
       verabschiedete Klimaschutzgesetz der Landeskirche erfüllt. Im Winter lädt
       die Kirche Bedürftige ein, sich zu wärmen. Dazu zwei Theologinnen im
       Pfarrdienst – und die dritte ist derzeit Zellmer. Heiligabend, so viel ist
       sicher, wird es zur Christvesper brechend voll. Franziska Zellmer gestaltet
       dann den Gottesdienst mit.
       
       Der Sprung in die Praxis ist ihr trotzdem schwergefallen, räumt Zellmer
       ein. „Ich kann so lange studieren, wie ich will, ohne an Gott zu glauben.
       Aber irgendwann muss ich bekennen, woran ich glaube.“ Und sei es mit einer
       Geschichte über einen Schmetterling. Doch diese Gemeinde, dieses Milieu,
       werde eine Zwischenstation bleiben. Ihr Vikariat, also ihr
       Vorbereitungsdienst, endet im Dezember 2025.
       
       Und dann? Die Wahrscheinlichkeit, dass sie ihre erste Pfarrstelle fernab
       von Berlin zugewiesen bekommt, ist groß. Das Konsistorium, die oberste
       Kirchenverwaltung der Evangelischen Landeskirche
       Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO), schickt den Nachwuchs
       meist in die Brandenburger Weite. In die Prignitz oder in die Lausitz, auf
       Pfarrstellen mit acht, zehn oder mehr Dörfern und ebenso vielen
       Predigtstellen, mit kleinen Gemeinden und eher konservativen Mitgliedern.
       Oft Regionen, in denen die AfD die stärkste politische Kraft darstellt. Wie
       soll man damit umgehen? Was, wenn ein [4][Kfz-Meister aus dem
       Gemeindekirchenrat plötzlich für die AfD] im Kreistag sitzt? So geschehen
       in Zellmers märkischer Heimat. Was, wenn ein Pfarrerskollege als Vertreter
       der AfD zum stellvertretenden Stadtratsvorsitzenden gewählt wird, wie in
       Quedlinburg in Sachsen-Anhalt?
       
       ## In Wittenberg wappnen sie sich
       
       Für solche Fragen ist Wittenberg womöglich ein passender Ort. Luther hat
       von hier aus nicht nur die Römische Kirche in ihren Grundfesten
       erschüttert, sondern auch die mittelalterliche Gesellschaft. Die
       Reformation war auch ein politischer Umbruch. Es ist Ende Oktober, kurz vor
       dem Reformationsjubiläum. Vor der Schlosskirche, wo Luther 1517 seine
       Thesen veröffentlichte, verlieren sich ein paar Touristen.
       
       Gleich dahinter hat sich in den oberen Geschossen des ehemaligen
       Wittenberger Schlosses das Evangelische Predigerseminar ausgebreitet. Die
       Kurse im Seminar, zu der die Vikarinnen und Vikare aus ihren
       Kirchengemeinden in Ostdeutschland zusammenkommen, gehören zur letzten
       Ausbildungsphase, die mit dem zweiten Theologischen Examen endet. Die
       anschließende Ordination, die feierliche Einsetzung ins Pfarramt, ist der
       Beginn des Lebens als Pastorin, als Pfarrer.
       
       Aus Fenstern im Predigerseminar kann man weit über die Elbauen blicken. Da,
       in der Ferne, irgendwo zwischen Cottbus, Leipzig und Magdeburg, alles
       dornenreiche Äcker für den Glauben, könnte die erste Pfarrstelle warten.
       
       Während die anderen in der Küche plaudern, hat sich Franziska Zellmer in
       der Pause zwischen zwei Seminarblöcken mit zwei weiteren Vikarinnen in die
       Bibliothek zurückgezogen. Eine davon ist Eva Hohmuth. „Die Diskussionen
       unter den sächsischen Kursteilnehmerinnen und -teilnehmern kreisen viel um
       das Thema Rechtsextremismus und Rechtspopulismus“, sagt Hohmuth, Vikarin
       der sächsischen Landeskirche. Da gebe es einerseits die Angst und die
       Ohnmacht, überhaupt etwas bewirken zu können. Und andererseits das Wissen,
       vielleicht zu den wenigen zu gehören, die sich überhaupt noch trauen, etwas
       zu sagen, und die Räume öffnen können für Menschen, die einander zuhören.
       „Das ist eine riesengroße Aufgabe.“
       
       Hohmuth stammt aus Werdau in Westsachsen, ihr Vikariat absolviert sie in
       Leipzig. Wenn sie auf die Aufgabe blickt, die vor ihr liegt, schwingt auch
       Unsicherheit mit. „Das ist auch bei mir mit Emotionen belegt“, sagt
       Hohmuth. „Es zieht sich ja auch durch Familien.“ Es – damit meint sie das
       rechte Gedankengut, die verhärteten Fronten. Letzteres kennt sie auch aus
       ihrem eigenen Umfeld. „Und trotzdem finde ich es aus christlicher
       Perspektive wichtig, Grenzen zu ziehen und zu sagen: Das stimmt nicht mit
       christlichem Glauben überein.“ Gleichzeitig weiterhin das Gespräch zu
       suchen, „das ist die große Gratwanderung. Und da bin ich auch manchmal ein
       wenig ratlos, ob es gelingen kann. Wenn, dann nur mit Gottes Geist.“
       
       Kirche muss offen bleiben für AfD-Wähler, aber eben auch klare Ansagen
       machen, sagt Zellmer. Weil es doch zutiefst christlich sei, Menschen
       aufzunehmen, ihnen eine Chance zu geben und sich in ihre Lage
       hineinzuversetzen. „Und wenn mir jemand ganz überzeugt sagt, diese
       Menschen, die vor Krieg und Not geflüchtet sind, gehören nicht hierher,
       würde ich auch ganz ehrlich fragen, warum glaubst du denn, dass du in diese
       Kirche gehörst mit dieser Überzeugung? Das ist absolut nicht das, was Jesus
       predigt.“
       
       „Wir haben keine einfachen Antworten“, sagt Franziska Zellmer. „Wir sind
       viele Menschen mit unterschiedlichen Meinungen. Und die eine Meinung liegt
       auf dem Spektrum eher rechts, die andere eher links. Wir müssen viel
       aushandeln und das ist unbequem und tut weh.“
       
       Es ist eben ein Unterschied, ob Bischöfe und Kirchengranden in Hannover,
       Hamburg oder Berlin erklären, dass völkischer Nationalismus nicht mit dem
       christlichen Glauben vereinbar ist, wie im Frühjahr geschehen. Oder, ob
       Vikarinnen und Vikare um Positionen ringen, die sie auch in einer
       Pfarrstelle in der Oberlausitz oder im Erzgebirge bekennen müssen.
       
       Was auffällt: Die männlichen Vikare sind inzwischen deutlich in der
       Minderheit. Pauline Wendel, die dritte Vikarin, mit der Zellmer in der
       Bibliothek Kaffee trinkt, kennt das von ihrer Heimat am Niederrhein noch
       anders. „Ich kannte nur Männer im Pfarramt und konnte mir das als Frau gar
       nicht vorstellen.“ Erst langsam ist ihr klar geworden, dass dieser Beruf
       auch für sie selbst offensteht. Mittlerweile liegen die drei Frauen im
       Trend. Bei den Beschäftigten in der evangelischen Kirche insgesamt steigt
       der Frauenanteil langsam, aber stetig, 2022 waren fast 78 Prozent Frauen.
       Weil die Kirche durch den Macht- und Bedeutungsverlust für Männer schlicht
       nicht mehr so attraktiv sei, sagt Eva Hohmuth mit spöttischem Blick.
       Eigentlich müsste das traditionsreiche Wittenberger Seminar, das 1817 vom
       Preußenkönig gegründet wurde und bis heute zuverlässig immer neuen
       Pfarrgenerationen den letzten Feinschliff verpasst, seinen Namen ändern –
       in Predigerinnenseminar.
       
       ## In Pirna braucht der Pfarrdienst Mut
       
       In Sachsen gehen die Uhren manchmal anders, an einem Tag im November etwa.
       Einzig im Freistaat ist der Buß- und Bettag als gesetzlicher Feiertag
       erhalten geblieben, für alle anderen wurde er 1994 gestrichen. In die
       sächsischen Kirchen drängt es die Menschen allerdings nicht. Vor dem
       Leipziger Hauptbahnhof ist es am Morgen noch wie ausgestorben.
       
       Eva Hohmuth ist in der Michaeliskirche schon auf den Beinen. Sie trägt
       einen dicken Schal um den Hals, gibt den dreißig Konfirmandinnen und
       Konfirmanden, die sich eingefunden haben, letzte Anweisungen und versucht,
       Ruhe in die Kirchenbänke zu bringen. Ihre Stimme ist erstaunlich laut und
       fest. Die Rolle hier ist eine ganz andere als kürzlich in Wittenberg.
       Zwischen den Jugendlichen würde sie kaum auffallen, hätte sie nicht ein
       Mikrofon in der Hand. Eva Hohmuth, eine sportliche Frau von 27 Jahren, ist
       hier ganz in ihrer Welt.
       
       Als die Orgel zu donnern beginnt, sitzen alle Jugendlichen auf den Plätzen.
       Es folgt ein kurzweiliger Gottesdienst mit Orgelgebraus und vielen
       Akteuren, statt einer Predigt gibt es ein Dialogformat, und in den Bänken
       sitzen stolze Eltern und Großeltern, die ihren Nachwuchs fotografieren.
       Zwei Wuschelköpfe spenden zum Schluss den Segen, den sie vom Smartphone
       ablesen. Segnend heben sie je eine Hand und strahlen. Lachen steigt aus den
       Bänken empor. So könnte eine Kirche der Zukunft aussehen. Wer will, kann
       passend via Smartphone die Kollekte entrichten.
       
       Wenig später, die Kirche ist wieder leer, die Orgel verklungen, sitzt
       Hohmuth vorn in einer Bank. Das Viertel um die Michaeliskirche sei
       bildungsbürgerlich geprägt, erzählt sie. Das färbe auf die Gemeinde ab.
       Viele sind politisch engagiert. Auch die große Zahl an Teilnehmerinnen und
       Teilnehmern am Konfirmandenunterricht ist außergewöhnlich. Ihre Zeit hier
       endet im Februar 2026. Was dann folgt, weiß sie noch nicht.
       
       Eva Hohmuth überlegt, wohin es sie dann verschlagen könnte. Ins Erzgebirge?
       Ins Vogtland? Zumindest sollte es ein Ort sein mit einer tragfähigen
       Zivilgesellschaft. Aber ebenso mit einer funktionierenden Infrastruktur. Es
       geht nicht nur um Herausforderungen wie die AfD, auch um elementare Dinge
       wie Schulen, Nahverkehr und Arztpraxen.
       
       Das alles gibt es zum Beispiel in Pirna, im Elbsandsteingebirge. Harmlos
       ist es dort trotzdem nicht. Der Pfarrer hat zum CSD in diesem Jahr die
       Regenbogenfahne gehisst, erzählt Hohmuth. Der Oberbürgermeister, als
       Kandidat der AfD Anfang des Jahres ins Amt gekommen, hatte die Fahne vor
       dem Rathaus untersagt. Stattdessen wehte sie vorm Kirchturm. „Ich möchte
       mir nicht vorstellen, was der Kollege aushalten musste. Auch der
       Kirchenvorstand hat das mitgetragen. Diesen Mut hat nicht jeder.“ Gleich
       drei Buttons in Regenbogenfarben heften an Hohmuths Jackenkragen. Es ist
       auch ein altes biblisches Hoffnungszeichen, es fehlt nur noch ein
       Schmetterling.
       
       Apropos Schmetterling – Franziska Zellmer überlegt inzwischen, vorerst in
       Berlin zu bleiben. Sie will gerne über die Frau promovieren, die einst als
       Missionsschwester nach China aufgebrochen war. Bis sie ihre erste
       Pfarrstelle übernimmt, wird es also noch dauern.
       
       Die Leipziger Michaeliskirche, von der aus Eva Hohmuth in einem Jahr in die
       erste eigene Gemeinde geschickt wird, erzählt selbst vom Aufbruch. Vor 35
       Jahren war sie eine der vier Innenstadtkirchen, die beim Friedensgebet am
       9. Oktober 1989 die Menschenmassen aufnahmen, die gegen die SED-Herrschaft
       protestierten. Da standen in der Michaeliskirche dicht gedrängt
       Gemeindemitglieder neben Arbeitern im Blaumann, die schon lange keine
       Kirche mehr betreten hatten. Der sächsische Bischof platzte herein und
       verkündete das Wunder: Polizei und Armee hatten sich zurückgezogen. Kein
       Blutbad in Leipzig!
       
       Es war der Beginn der Friedlichen Revolution. Beim Hinausströmen bekam
       damals jeder ein Weizenkorn in die Hand gedrückt – ein Hinweis, dass
       Menschen zu Großem fähig sind. Gerade wenn sie daran zweifeln.
       
       3 Jan 2025
       
       ## LINKS
       
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