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       # taz.de -- „Remigration“, Sylt-Video, die Wahlen: 2024 war eine rechtsextreme Horror-Show
       
       > Die vergangenen 12 Monate sind an unserem Autor vorbeigezogen, wie eine
       > Gruselserie, die man nicht wegzappen kann. Doch es gibt auch Hoffnung.
       
   IMG Bild: Es gibt auch Hoffnung: Demo des Bündnisses #ZusammenGegenRechts am 21. Januar in Berlin
       
       Ein Superheld ist 2024 nicht vom Himmel gefallen. Das hat das Horrorgenre
       so an sich. Und tatsächlich ist dieses Jahr an mir vorbeigezogen wie eine
       extrem rechte Gruselserie, die sich zudem nicht wegzappen ließ. Ich mache
       mir Sorgen!
       
       Natürlich nicht erst seit diesem Jahr. Doch hat 2024 mir und uns allen noch
       einmal vor Augen geführt, wie bedroht Demokratie und Zivilgesellschaft
       derzeit in Deutschland sind.
       
       Das Jahr war nur wenige Tage alt, da berichteten Journalist:innen von
       „Correctiv“ über ein [1][rechtsextremes Vernetzungstreffen in Potsdam].
       Politiker der AfD, Unternehmer, Mitglieder der Werteunion und Neonazis
       dinierten im Landhaus Adlon und sprachen über „Remigration“. Und darüber,
       wie sie ihre extrem rechten Inhalte im medialen und gesellschaftlichen
       Diskurs platzieren können. Es geht ihnen um die Verschiebung des Sagbaren.
       Um die Normalisierung menschenfeindlicher Positionen.
       
       Im Frühjahr [2][dann Sylt], und die Erkenntnis, dass neonazistische Parolen
       in allen Milieus gegrölt werden. Adrett gekleidet und gut gelaunt feierte
       man in der Pony-Bar in Kampen und versah Gigi D’Agostinos Hit „L’amour
       toujours“ mit neuem Text. Videos dieser Art gibt es zahlreiche, auch aus
       anderen Orten.
       
       Nach der Europawahl im Juni und den Landtagswahlen im September machte sich
       bei mir und vielen anderen ein Gefühl der Ohnmacht breit. Neben den
       generellen Wahlerfolgen der AfD zeigten Analysen, dass die Partei auch
       [3][bei den Jüngeren] ziemlich gut abschnitt.
       
       Die [4][Störungen zahlreicher CSDs] im Land im Sommer hatten zuvor schon
       deutlich gezeigt, dass die hetzerische Stimmungsmache Jugendliche wirklich
       erreicht. In Bautzen, Zwickau und vielen anderen Städten kam es zu
       bedrohlichen Szenen. Zwar ist das nichts Neues. Doch war die Mobilisierung
       des rechten Rands stärker als in den Jahren zuvor. Das Bild bestimmten hier
       überwiegend junge Männer im Stil der Springerstiefel-Nazis aus den 90ern.
       
       Wäre das Erstarken der extremen Rechten ein schlechter Horrorfilm, ich
       würde wegzappen. Doch es ist reale Dauerschleife. In derselben Woche, in
       der Trump wieder Präsident wird, nehmen Einsatzkräfte acht mutmaßliche
       Rechtsterroristen [5][der „Sächsischen Separatisten“ fest]. Ihre
       „Umsturzpläne“ sollten uns Mahnung sein, wie schnell rechtsextremes
       Gedankengut in Handlungen umschlagen kann.
       
       Und kurz vor Weihnachten dann: Magdeburg. Der Thüringer Verfassungsschutz
       ordnet die Tat, bei der fünf Leute starben, dem rechtsextremen Spektrum zu.
       In der Folge instrumentalisierten Neonazis und die AfD den Anschlag für
       ihre Zwecke.
       
       Kürzlich saß ich in einer studentischen Vollversammlung an meiner
       Universität, zu der die „Studis gegen Rechts“ aufgerufen hatten. Der ganze
       Hörsaal war voll. „Wer von euch hat Angst vor der nächsten Wahl?“, fragte
       eine Rednerin. Fast alle der rund 1.500 Anwesenden hoben ihre Hand. Ich
       auch.
       
       Viele suchen nach Möglichkeiten, um der Drift nach rechts zu begegnen. Die
       Forderungen nach einem AfD-Verbotsverfahren halten an. Die „Studis gegen
       Rechts“ fahren zum Parteitag der AfD nach Riesa, um ihrer Angst und Wut
       Ausdruck zu verleihen. Alles gut und richtig, bloß: Selbst wenn der
       Parteitag blockiert, die Partei verboten wäre – bestehen würde das Problem
       weiterhin. Rechte Einstellungen durchziehen unsere Gesellschaft, sie gehen
       durch alle Schichten und Milieus. Es braucht langfristige Lösungen.
       Initiativen der politischen Bildung, Deradikalisierung und Beratungsteams
       sind seit Jahren dort, wo es brennt. Was ihnen fehlt, sind [6][verlässliche
       staatliche Finanzierungen].
       
       Doch es gibt auch Dinge, die mir Hoffnung machen. Die bundesweiten
       Massenproteste gegen rechts zu Beginn dieses Jahres, die mutigen Menschen,
       die trotz der Bedrohungen zu Tausenden CSD feierten. Vielleicht können wir
       es ja doch: irgendwann das Programm wechseln.
       
       29 Dec 2024
       
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